DemokratieprotesteZehntausende demonstrieren mit Menschenkette in ganz Georgien

Zehntausende haben heute in Tiflis und anderen Städten des Landes mit einer Menschenkette gegen ihre immer autokratischer werdende Regierung protestiert. Sie fordern Neuwahlen und die Freilassung der beim Protest festgenommenen Menschen. Ein Bericht aus Tiflis.

Menschen stehen auf einer Straße, es ist eine Europafahne zu sehen.
Die Menschenkette ging über die zentralen Verkehrsadern von Tiflis. CC-BY-NC-SA 4.0 Markus Reuter

Zehntausende Menschen haben am Samstagnachmittag mit einer Menschenkette in Tiflis und anderen Städten Georgiens gegen die umstrittene Regierung des Oligarchen Bidsina Ivanishvili protestiert. Die Demonstrationen finden in einer entscheidenden Phase des Konfliktes um die Zukunft der Demokratie statt. Am morgigen Sonntag endet die Amtszeit der Präsidentin Salome Surabischwili, die sich für die Belange der Opposition einsetzt und von dieser als letzte legitime Vertreterin des Staates angesehen wird. Sie hat angekündigt, im Amt zu bleiben. Für diesen Fall hat die Regierung angedeutet, Surabischwili festnehmen zu wollen.

Update: 
Präsidentin Salome Surabischwili hat die Bevölkerung in einem Facebook-Posting dazu aufgerufen um 10 Uhr am Sonntagmorgen zum Präsidentenpalast zu kommen. Dort wolle sie weitere Ankündigungen machen. 

Das Regime hingegen will am Sonntagmorgen voraussichtlich um 11 Uhr unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Parlament einen neuen Präsidenten vereidigen. Sie stützt sich dabei auf eine knappe Parlamentsmehrheit, die sie in einer Betrugsvorwürfen begleitete Wahl erhielt. Ebenfalls für Sonntagmorgen sind deswegen weitere Proteste rund um das Parlament zu erwarten, von denen wir fortlaufend auf Bluesky und Mastodon berichten.

Die „Kette der Einheit“ in Tiflis hatte um 15 Uhr begonnen, Treffpunkte waren alle Brücken über den Fluss Kura in der Innenstadt. Von dort aus strömten die Menschen zu tausenden auf Straßen und Autobahnen, um die Kette zu verbinden. Auf den Brücken standen die Menschen teilweise in mehrfachen Ketten nebeneinander. Auch die Präsidentin Surabischwili nahm an der Aktion teil. Um einen Eindruck der Größe der Menschenkette zu bekommen, ist der Autor diese mehrere Kilometer entlanggelaufen. Luftaufnahmen zeigen die großen Teilnehmerzahlen.

Der Verkehr in der Hauptstadt kam teilweise komplett zum Erliegen, obwohl die Polizei die Blockaden der Hauptverkehrsadern mit Einheiten aus maskierten Beamten auflöste. Auch in anderen Landesteilen gab es Menschenketten, so auch in der Küstenstadt Batumi. Sogar auf einer 3.676 Meter hohen Wetterstation im Kaukasus-Gebirge und auf der historischen Stätte Dmanisi bildeten Menschen eine Kette. Gegen 16:30 Uhr bewegten sich dann Teile der Tifliser Menschenkette zum Parlament auf der Rustaveli Avenue, wo am Samstagabend tausende Menschen demonstrieren.

Die Protestform der Menschenkette hat in Georgien Tradition. Vor 16 Jahren hatten zehntausende Menschen mit einer Kette gegen die russische Besatzung demonstriert. Auf diese Aktion haben die Gegner:innen der russlandfreundlichen Regierung in ihrer Mobilisierung Bezug genommen.

Menschenketten als Zeichen der Solidarität sind in 40 Städten weltweit angekündigt, auch in Deutschland, Frankreich und Australien gehen Menschen für die Demokratie in Georgien auf die Straße. Auch auf dem CCC-Kongress in Hamburg ist für den Abend eine Aktion angekündigt.

Menschenkette
Protestierende laufen als Menschenkette in Richtung Parlament. - CC-BY-NC-SA 4.0 Markus Reuter

Seit einem Monat auf den Straßen

Seit nunmehr vier Wochen protestieren jeden Tag Menschen im ganzen Land, vor allem aber vor dem Parlament in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Sie fordern Neuwahlen und die Freilassung aller während des Protests Festgenommenen. Entzündet hatte sich der Konflikt nach der von Betrugsvorwürfen begleiteten Wahl und der Entscheidung der Regierungspartei „Georgischer Traum“, den Beitritt zur Europäischen Union auf Eis zu legen.

Zu Beginn hatte die Regierung mit Brutalität und Repression auf die Proteste reagiert und damit immer mehr Menschen auf die Straße getrieben. Die Gewalt wurde von Menschenrechtsorganisationen verurteilt, Staaten wie USA, Großbritannien sowie die Baltischen Staaten belegten Mitglieder der Regierung als Reaktion mit Sanktionen. Am Freitag hatten die USA den Oligarchen Bidsina Ivanishvili mit weitreichenden Sanktionen belegt. Deutschland hat angekündigt, Hilfsgelder einzufrieren und möchte über ein Ende der EU-Beitrittsgespräche diskutieren, wenn die aktuelle Regierung nicht einlenkt.

Mit Wut, Tanz und Courage

Nach der Phase der Gewalt hatte die Regierung in der vergangenen Woche versucht, die Proteste versanden zu lassen und die Polizei weitgehend zurückgezogen. Dennoch protestierten immer wieder Zehntausende, an mehreren Tagen vermutlich mehr als 100.000 Menschen abends vor dem Parlament in der Hauptstadt Tiflis, aber auch in kleinerem Umfang in anderen Städten des Landes. Georgien hat nur 3,7 Millionen Einwohner:innen, die Zahl der Protestierenden ist angesichts dessen sehr hoch.

Update 22:30 Uhr:
Präsidentin Salome Surabischwili hat die Bevölkerung in einem Facebook-Posting dazu aufgerufen, um 10 Uhr am Sonntagmorgen zum Präsidentenpalast zu kommen. Dort wolle sie weitere Ankündigungen machen.

Unterdessen haben beim CCC-Congress in Hamburg Menschen eine Solidaritätsaktion für die Proteste durchgeführt. Mit einem Banner mit der Aufschrift „Hacker lieben die Proteste in Georgien“, sie forderten zudem wie die Protestbewegung im Land „Neuwahlen und Freiheit für die Gefangenen“.


Menschen stehen mit einem Banner vor der CCC-Rakete.

 

0 Ergänzungen

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.