Twitter im DigitalausschussTransparenz mit Schattenseiten

Seit der Übernahme von Twitter durch den Milliardär Elon Musk sorgen sich Politik und Aufsichtsbehörden darum, ob das soziale Netzwerk geltende Gesetze einhalten kann. In der heutigen Sitzung des Digitalausschusses des Bundestags versuchte ein Vertreter des Unternehmens, die Zweifel der Abgeordneten auszuräumen – mit nur geringem Erfolg.

Twitter-Chef Elon Musk grübelt.
Derzeit grübeln Politik, Aufsichtsbehörden und auch Twitter-Chef Elon Musk, wie es mit dem sozialen Netzwerk weitergehen soll. CC-BY 2.0 Daniel Oberhaus (2018)

Twitter werde sich an sämtliche gesetzliche Vorgaben halten, versicherte heute ein Vertreter der Plattform dem Deutschen Bundestag. Dies gelte sowohl für das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) als auch für den Digital Services Act (DSA) der EU, der im laufenden Jahr schrittweise in Kraft tritt.

So recht konnte Ronan Costello, der sich bei Twitter um die Beziehungen zur europäischen Politik kümmert, aber kaum jemanden überzeugen. Schließlich hat das Unternehmen, seit der US-Milliardär Elon Musk es Ende Oktober übernommen hat, mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter:innen entlassen, darunter auch viele Inhaltemoderator:innen. Sie habe weiterhin „große Skepsis“, dass Twitter allen Auflagen ausreichend nachkommen kann, sagte Tabea Rößner (Grüne), die Vorsitzende des Digitalausschusses, zum Abschluss der Sitzung.

Das NetzDG schreibt Betreibern großer sozialer Netzwerke wie Twitter vor, ihnen gemeldete illegale Inhalte wie Hassrede oder Verleumdung rasch zu entfernen, in offensichtlichen Fällen binnen 24 Stunden. Der DSA sieht zwar keine fixe zeitliche Frist vor, verlangt aber ebenfalls nach einer unverzüglichen Entfernung rechtswidriger Inhalte. Das erratische Verhalten des neues Twitter-Chefs hatte in den vergangenen Monaten Zweifel daran geweckt, ob das soziale Netzwerk diese und andere Auflagen erfüllen kann. Dann würden hohe Geldstrafen drohen, selbst ein Verbot beziehungsweise Netzsperren sind denkbar.

Automatisierte Inhaltemoderation

Rund 65 Prozent der problematischen Postings erkenne Twitter derzeit mit Hilfe von sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) respektive Machine Learning, sagte Costello. Bei Phänomenen wie Terrorismus oder Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder handle es sich um ein „Verhalten“, das sich maschinengestützt besonders gut aufspüren lasse, so Costello.

Perfekt sind solche Verfahren freilich noch lange nicht: Sollte Twitter zunehmend auf KI ohne menschliche Aufsicht bei der Inhaltemoderation setzen, könnte dies einerseits zu sogenanntem „Overblocking“ führen, also ungerechtfertigt gelöschten Inhalten. Andererseits schreiben sowohl NetzDG als auch DSA bessere Beschwerdemöglichkeiten vor, mit denen sich Nutzer:innen gegen falsche Entscheidungen wehren können. Twitter und andere Online-Dienste werden sich also gut überlegen müssen, wo sie einsparen.

Rund 150 Mitarbeiter:innen sollen sich derzeit um Deutschland kümmern, ließ sich Costello nach mehrfachem Nachfragen entlocken. Besonders problematische oder von vertrauenswürdigen Hinweisgebern gemeldete Inhalte würden automatisch vom System erkannt, priorisiert behandelt und innerhalb weniger Stunden entfernt oder gesperrt, so Costello.

Community Notes ziehen in Europa ein

Als zusätzliches Sicherungsnetz, insbesondere bei fragwürdigen, aber nicht illegalen Inhalten, sollen sogenannte „Community Notes“ dienen, so Costello. Damit können Nutzer:innen mehr Kontext zu einem kontroversen Tweet hinzufügen. Etwa 20.000 Mitglieder würden in den USA hierbei mitmachen, bald soll diese Funktion auch in Europa zur Verfügung stehen, kündigte Costello an.

Nicht nur der personelle Kahlschlag bereitete den Abgeordneten Sorge. So hat der umstrittene Twitter-Chef Musk Tausende extremistische Accounts aus dem rechten Umfeld wieder zurückgeholt, die vor der Übernahme aus dem Dienst geflogen sind. Um wie viele Accounts es sich dabei handelt, konnte oder wollte Costello nicht unmittelbar beantworten. Er betonte allerdings, dass die „Amnestie“ an Bedingungen geknüpft sei. Konten, die das Gesetz gebrochen oder Spam verteilt hätten, seien nicht entsperrt worden. Genaueres werde er den Abgeordneten nachliefern, versprach Costello.

Transparenzportal für politische Werbung

Womöglich von kurzer Dauer könnte die Richtungsänderung bei politischer Werbung auf Twitter sein. Solche Anzeigen hatte das Unternehmen im Nachgang der US-Präsidentschaftswahl 2016 nicht mehr angenommen. Bald sollen sie jedoch wieder erlaubt werden, um diese Einnahmequelle wieder zu erschließen.

Erst vergangene Woche hat sich Elon Musk mit dem EU-Binnenkommissar Thierry Breton in Brüssel getroffen. Dort habe er dem Franzosen ein „Mock-Up“ eines Transparenzportals gezeigt, das in den kommenden Monaten eingeführt werden soll, berichtete Costello. Über das Portal soll sich nachvollziehen lassen, wer welche Anzeigen gebucht hat. Derzeit erwägt die EU die Regulierung politischer Online-Werbung, zuletzt hatte sich das EU-Parlament für eine starke Einschränkung dieser Praxis ausgesprochen.

Für weitere Transparenz soll auch mehr Offenheit beim Einsatz von Empfehlungssystemen sorgen. So habe Elon Musk angekündigt, im kommenden Quartal die Empfehlungsalgorithmen von Twitter öffentlich zu machen. „Dann können Politiker:innen oder Nichtregierungsorganisationen nachsehen, wie das genau funktioniert“, sagte Costello. Um eine potentielle Diskriminierung durch Algorithmen zu umgehen, habe Twitter kürzlich auch eine neue Anzeige eingeführt, mit der Nutzer:innen auf eine simple chronologische Ansicht umschalten können.

Zugang für die Wissenschaft

Zu weniger Offenheit hat hingegen die jüngste Entscheidung geführt, die öffentliche Programmierschnittstelle (API) des Dienstes nicht mehr frei zur Verfügung zu stellen. Darüber können Nutzer:innen auf Twitter zugreifen, die Clients von Drittanbietern dem hauseigenen Client oder die Website vorziehen. Zudem verschafft die API auch Forscher:innen einen weitaus besseren Zugriff auf Twitter, als es bei den abgeschotteten Systemen der Konkurrenz der Fall ist.

Das Abschalten der API widerspricht jedoch gesetzlichen Vorgaben. Denn das NetzDG und der DSA garantieren Forscher:innen einen besseren Zugang zu den Daten der sozialen Netzwerke. An den Details dieses Zugangs arbeite man noch, sagte Costello. Laut Musk könnte dies Hunderte Millionen US-Dollar kosten, so Costello. „Aber wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist, dann setzen wir es um“.

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