Digitale Souveränität ist zu einem Schlagwort der Digitalpolitik geworden. Es fällt häufig, wenn es um europäische IT-Infrastruktur geht. Die einen begrüßen die Idee und sehen sie als Emanzipation aus der Abhängigkeit von großen Tech-Konzernen. Andere sehen darin die Gefahr, dass sie für Nationalismus und gegen die Interessen der Nutzer:innen missbraucht werden könne. Doch wie genau definiert die Regierung eigentlich „Digitale Souveränität“?
Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin für die Bundestagsfraktion der Linken, hat nachgefragt. Als Antwort bekam sie eine Basis-Definition aus der Datenstrategie der Bundesregierung. Dort heißt es: „Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit sowohl von Individuen als auch der Gesellschaft, die digitale Transformation – mit Blick auf Hardware, Software, Services, sowie Kompetenzen – selbstbestimmt zu gestalten. Digital souverän zu sein bedeutet im Rahmen des geltenden Rechtes, souverän zu entscheiden, in welchen Bereichen Unabhängigkeit erwünscht oder notwendig ist.“
Nationalstaaterei oder individuelle Unabhängigkeit?
Nach Nationalstaaterei klingt diese Antwort mit ihrer Betonung von Individuen und Gesellschaft erstmal nicht. Blickt man jedoch auf die sechs in der Antwort genannten Vorzeigeprojekte der Bundesregierung zu digitaler Souveränität, wird ein anderer Fokus gelegt. Da nennt die Regierung etwa Gaia-X, das „die europäische digitale Souveränität und den Wettbewerb im Bereich Daten und Cloud“ stärken soll. Dafür sollen gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur entwickelt werden, mit offenen Schnittstellen und Standards. Große US-Datenkonzerne sind zwar an Gaia-X beteiligt, gleichzeitig soll Gaia-X aber auch für mehr Unabhängigkeit von ihnen sorgen.
Als anderes wichtiges Projekt für digitale Souveränität nennt die Regierung die „Deutsche Verwaltungs-Cloud-Strategie“. Mit dem Vorhaben soll ein Problem angegangen werden: Föderale Systeme sind nur begrenzt kompatibel, Anwendungen können kaum von mehreren Stellen aus Bund, Länder und Kommunen genutzt werden. Das soll sich etwa durch Standardisierung ändern. Außerdem sollen so „kritische Abhängigkeiten von Anbietern durch standardisierte, modulare IT-Architekturen“ reduziert werden.
Bereits in der Liste, aber noch in Planung, ist das „Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung“. Dessen Ziel: „Europäische Lösungen und Open-Source-Software-Ansätze“ sollen Abhängigkeiten in der Verwaltung auflösen. Das geplante Zentrum soll ein „Bindeglied“ zwischen Verwaltung und Open-Source-Akteur:innen sein.
Viel Wirtschaft, wenig Nutzer:innen
Um einzelne souveräne Nutzer:innen geht es in den Projekten kaum. Im Vordergrund stehen Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft. Domscheit-Berg kritisiert das: „Es ist gut, dass sich die Bundesregierung auch die Förderung von Open Source auf die Fahnen geschrieben hat, aber vor allem scheint sie das Thema Digitale Souveränität mit einer Förderung von Cloud-Infrastrukturen zu verbinden, denn drei der sechs genannten Projekte befassen sich damit“, so die Digitalpolitikerin. Das geplante Zentrum zur Digitalen Souveränität begrüßt sie, wünscht sich aber auch „eine allgemeine Förderung von Open-Source-Entwicklungen“. Diese könnten Nutzer:innen auch außerhalb der öffentlichen Verwaltung mehr Unabhängigkeit von dominanten Plattformen und mehr Selbstbestimmung bringen.
Zwischen der Definition der Bundesregierung und den priorisierten Projekten sieht Domscheit-Berg einen Widerspruch. Die Definition umfasse zu Recht die digitale Befähigung und Selbstbestimmung von Individuen und der Gesellschaft. Aber die genannten größten Maßnahmen und Projekte „fokussieren auf eine wirtschaftliche und/oder staatliche Unabhängigkeit, etwa von dominanten Cloud-Anbietern aus den USA.“ Ihr fehlt die Perspektive der Zivilgesellschaft und der Nutzer:innen. „Mit dieser Sichtweise der Bundesregierung sehe ich nicht, wie das in der Definition beschriebene Ideal der Digitalen Souveränität für Individuen und Gesellschaft erreicht werden soll.“
Domscheit-Berg will nun noch einmal nachfassen, denn nicht all ihre Fragen wurden beantwortet, etwa zur Förderhöhe und zum Förderzeitraum der Projekte. Eine Fortsetzung folgt.
Digitale Souveränität in der Verwaltung geht nur mit FOSS. Public Money, Public Code. Estland mach das seit vielen Jahren Erfolgreich vor, sowohl die (schmerzhafte) Migration als auch den Betrieb.
Bei uns dürfte es daran scheitern, dass jedenfalls bei Entscheidern der F.D.P. und der SPD (CDU sowieso) noch zu viele schwarze Koffer stehen. https://yewtu.be/watch?v=_ZaDuinGf2o ((das ist ein YouTube-Video ohne Googles Verfolgung; die öffentlich-rechtliche Doku ist ja leider dank des {Fluch eigener Wahl einsetzen} Medienstaatsvertrages nicht mehr in der Mediathek))
Der Rest sind selbst auferlegte Denkverbote und Feigheit. :-(
Zitat: „Digitale Souveränität ist das digitalpolitische Buzzword der Stunde. Der Begriff ist Ausdruck der Sorge, dass die digitale Transformation die staatliche und individuelle Selbstbestimmung bedroht.
Nach den Snowden-Enthüllungen und dem Aufstieg von Big Tech macht sich das Fehlen eines normativen Rahmens in der Digitalpolitik bemerkbar. Die Debatte in Deutschland und Europa wird von einer wirtschafts- und sicherheitspolitischen Perspektive dominiert. Ein demokratisch fundiertes Verständnis von digitaler Souveränität muss aber auch die Verteidigung individueller Selbstbestimmung im digitalen Raum umfassen.“
Quelle: Pohle, Julia (2021): „Digitale Souveränität. Das Ringen um Handlungs- und Entscheidungsfreiheit im Netz“. In: WZB-Mitteilungen, H. 171, S. 6-8.
https://bibliothek.wzb.eu/artikel/2021/f-23698.pdf
Mein persönlicher Eindruck ist, dass „digitale Souveränität“ auf Kunden- und Nutzer-Ebene weder von der sog. Digital-Wirtschaft, und noch viel weniger von Regierungen erwünscht ist, weil eine so verstandene Souveränität deren Interessen zuwider läuft.
Die Digital-Wirtschaft ist stets bestrebt Abhängigkeiten und Bindungen von Kunden und Nutzern zu Unternehmen aufzubauen und möglichst zu zementieren. Kunden bzw. Nutzer haben es faktisch mit Quasi-Monopolen bzw. Ogliopolen zu tun, sei es im Bereich Betriebssysteme, Smart?phones, Internet-Plattformen, Provider. Ein Entkommen dieser digitalen Herrschaftssysteme(!) ist allenfalls jenen vorbehalten, die spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Das Gros der „User“ hingegen soll konsumieren, und wird entsprechend medial „bespielt“.
Auch nationale Regierungen innerhalb der EU haben nicht wirklich ein Interesse daran, ihren Bürgern den Weg zu „digitaler Souveränität“ völlig zu ebnen. Zugestanden wird, was die Zivil-Gesellschaft den Regierenden mühsam abgerungen hat. Und das was an digitalen Freiheiten errungen wurde, steht nach jedem Terror-Anschlag erneut zur Disposition (EE-Crypto, Ortung). Aber auch persönliche Daten (z.B. „Gesundheits-Daten“ werden immer stärker Gegenstand staatlicher Begierde, zum Zweck eines fürsorglich-paternalistischen Nudgings.
Insofern steht es an, den Regierenden hartnäckig abzuverlangen, sich ehrlich zu machen. Der bisherige Gebrauch des Begriffs „Digitale Souveränität“ ist in seine Unbestimmtheit und beliebigen Verwendung hervorragend dazu geeignet, ein Narrativ [für Narren] zu erzeugen, dass forcierte Digitalisierung mit „Digitaler Souveränität“ einhergehen kann und wird. Darauf sollten zumindest jene nicht hereinfallen, die weniger gewohnt sind, medial niederschwellige Angebote zu konsumieren.
„Große US-Datenkonzerne sind zwar an Gaia-X beteiligt, gleichzeitig soll Gaia-X aber auch für mehr Unabhängigkeit von ihnen sorgen.“
Welch ein Unsinn ! Europäische (Daten-)Souveränität sieht so aus, dass alle Server in Europa stehen, die Hardware, insbes. alle Router vorzugsweise aus Europa kommen und kein amerikanisches Unternehmen wahlfreien Zugriff auf die Daten hat.
Solange schädliche Verhaltensweisen von Unternehmen immer noch ermöglicht werden, ist das nichts wert.
Technisch gesehen… geht da nichts.