Vor kurzem feierte die Sendung Terra X ihren 40. Geburtstag. Nicht nur wegen dieser beachtlichen Laufzeit ist das ZDF-Dokuformat eines der Aushängeschilder des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland. Von ersten CGI-Gehversuchen in den späten 80er-Jahren hin zu der Entwicklung einer starken Online-Präsenz in den letzten zehn Jahren: Terra X ging oft mit großem (technischen) Innovationsgeist voran und modernisierte so das deutsche Wissensfernsehen ein ums andere Mal.
Pionierstatus besitzt Terra X auch durch seine offene Distributionsstrategie. So werden jede Woche neue Terra-X-Ausschnitte unter Creative-Commons-Lizenzen (CC BY bzw. CC BY-SA) veröffentlicht. Dadurch können diese Inhalte rechtssicher von Lehrkräften im Unterricht verwendet und auch in freie Wissensprojekte wie die Wikipedia eingebaut werden.
Letzteres geschieht seit über drei Jahren mit sehr großem Erfolg, wie ZDF-Programmdirektorin Nadine Bilke auf der diesjährigen re:publica unterstrich: Mehr als 2,6 Millionen Aufrufe monatlich allein in der Wikipedia, Tendenz steigend, und insgesamt über 50 Millionen Aufrufe. Sie sprechen für den großen Bedarf, den es für diese Art von frei lizenziertem Videomaterial gibt.
Zwar öffnet sich auch die ARD allmählich für Creative-Commons-Lizenzen. So hat der Bayerische Rundfunk angekündigt, sein Lehr- und Lernformat Telekolleg als kolleg24 multimedial umzubauen und ab 2023 weitestgehend unter der Lizenz CC BY-SA zur Verfügung zu stellen. Aber frei verfügbare öffentlich-rechtliche Inhalte sind immer noch die Ausnahme und nicht die Regel.
Dabei ermöglichen wir alle mit unserem Rundfunkbeitrag gut recherchierte und aufwändig produzierte Wissens- und Bildungssendungen. Dementsprechend müssen diese gemäß dem Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen auch der breiten Gesellschaft frei zur Verfügung stehen. Dass dies nicht der Fall ist, sorgt vor allem im Klassenzimmer für einige rechtliche Unsicherheit.
Was ist im Unterricht erlaubt?
Lehrkräfte wissen oft nicht, wie und ob sie urheberrechtlich geschützte Medien wie beispielsweise Wissensclips der Öffentlich-Rechtlichen im Unterricht oder in Uni-Seminaren nutzen dürfen. Um hier mehr Klarheit zu schaffen, hat Wikimedia Deutschland ein Rechtsgutachten bei Prof. Dr. Gerald Spindler, Professor am Institut für Wirtschafts- und Medienrecht in Göttingen, in Auftrag gegeben.
Der renommierte Jurist geht darin der Frage nach, ob die Wiedergabe solcher Medien im Unterricht eine öffentliche Wiedergabe darstellt. Denn nur dann wird das Urheberrecht überhaupt relevant, genauer gesagt greifen nur dann die Bildungs-Sonderregeln des Urheberrechtsgesetzes.
In seinem Gutachten kommt Professor Spindler zu dem Schluss, dass Unterricht im stabilen Klassen- oder Kursverband, Seminare an der Universität und digitale Lehrformate mit Zugangsbeschränkung nicht öffentlich sind. Also dürfen Lehrkräfte oder Dozierende in diesen Fällen öffentlich-rechtliche Wissenssendungen und auch andere urheberrechtlich geschützte Inhalte bedenkenlos wiedergeben, etwa direkt aus der Mediathek.
Doch bei der reinen Wiedergabe endet die Bedenkenlosigkeit. Alles, was darüber hinausgeht, ist und bleibt als urheberrechtliche Nutzungshandlung klärungs- beziehungsweise erlaubnisbedürftig.
Wollen Lehrkräfte beispielsweise eine Videodatei herunterladen, weil das WLAN im Klassenzimmer zu langsam für das Abspielen aus der Mediathek ist, gilt dies als Vervielfältigung. Dafür brauchen Lehrkräfte die Erlaubnis der jeweiligen Urheber*innen ‒ beziehungsweise greifen hier die Quotenregelungen im Urheberrechtsgesetz. Die besagen, dass etwa zur Veranschaulichung des Unterrichts bis zu 15 Prozent eines Werks vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben werden dürfen. Bei einer anderthalbstündigen Dokumentation wäre das ein Ausschnitt von nicht einmal 15 Minuten.
Die Verwendung von Werken in Arbeitsmaterialien stellt zudem nicht nur eine Vervielfältigung, sondern auch noch eine Bearbeitung dar und betrifft somit gleich zwei Urheberrechte. Dabei könnte gerade die Möglichkeit, Inhalte zu verändern, sie an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen und sie in Arbeitsmaterialien einzuarbeiten, den Schulunterricht weitaus mehr bereichern als ihre bloße Wiedergabe.
Die Lösung liegt auf der Hand
Freie Lizenzen ermöglichen es allen Nutzer*innen, die so gekennzeichneten Inhalte zu speichern, zu teilen und zu bearbeiten. Hier sind jetzt die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Pflicht. Sie müssen endlich dem Beispiel von Terra X folgen und, wo immer möglich, Bildungs- und Wissensinhalte unter eine freie Creative-Commons-Lizenz stellen – also CC BY-SA oder freier.
So können Lehrkräfte und Bildungsakteure qualitativ hochwertige Inhalte ohne Einschränkungen im Unterricht nutzen. Und so können diese Inhalte in gemeinwohlorientierte Wissensprojekte wie die Wikipedia eingebunden werden. Dort erlangen sie, ganz im Sinne der Sender und der Produzent*innen, nicht nur eine größere Reichweite, sondern fungieren auch als Bollwerk gegen Fake News und Desinformation.
Was hält die Rundfunkanstalten also davon ab, ihre Produktionen unter freie Lizenz zu stellen? Immer wieder begegnet uns bei Wikimedia Deutschland in Gesprächen das Argument, die nachträgliche Rechteklärung sei zu komplex. Gerade, wenn Sendungen neben selbst produziertem auch eingekauftes Material enthalten – was die Regel ist. Das ist aber längst kein Grund, ganz auf freie Lizenzen zu verzichten. Denn Lehrkräfte ebenso wie die Wikipedia-Community benötigen oft gar nicht ganze Produktionen, sondern einzelne, thematisch fokussierte Erklärstücke.
Das Creative-Commons-Projekt von Terra X zeigt: Wenn die öffentlich-rechtlichen Redaktionen einzelne Videopassagen in Eigenproduktion und ohne zugekauftes Material erstellen, lassen sich diese meistens problemlos aus Dokumentationen herauslösen und unter freier Lizenz veröffentlichen.
Doch es muss sich auch etwas daran ändern, dass Rechte immer nachträglich geklärt werden müssen, um freie Lizenzen zu ermöglichen. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland ist es höchste Zeit, einen Standard für künftige Produktionen mit möglichen Freigaben für Lehrkräfte und freie Wissensprojekte zu schaffen, so wie der Bayerische Rundfunk es bei kolleg24 getan hat. Bei wissensrelevanten Formaten müssen passende Vorgaben bereits im Zuge der Produktion, beziehungsweise der Auftragsvergabe bedacht werden. Dass dies nicht zulasten einer angemessenen Vergütung von Filmschaffenden gehen darf, versteht sich von selbst.
Die Entscheider*innen in den Anstalten sollten freie Lizenzen endlich nicht länger als Wagnis, sondern als Chance begreifen. Gerade in Zeiten, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer stärker unter Druck gerät, kann ein klares Bekenntnis zu einer grundlegenden Freigabepraxis für Wissens- und Bildungsinhalte auch ein Befreiungsschlag sein. Und ein Zeichen dafür, dass ARD, ZDF und Co. nichts von ihrer demokratischen Legitimation eingebüßt haben.
Vielen Dank für den Artikel.
Gerade Politiker und Politikerinnen sollten diesen Artikel gut lesen. Denn meiner Erfahrung nach (ich komme aus diesem Bereich) fehlt es einfach an Wissen über Freie Lizenzen und deren Möglichkeiten.
Grundsätzlich eine super Idee. Nur kaufen die öR das meist zu und sind nicht mal Eigentümer dessen, was sie da verbreiten. Grundsätzlich müßten erst mal alle leistungen an die öR unter Creative Commons gestellt werden. Und wenn die Zulieferer nicht daruf eingehen, können die öR immer noch selbst produzieren. Das ist sogar kostengünstiger, da Gewinne für Dritte entfallen.
Freie Lizenzen sind aus meiner Sicht die – wünschenswerte – Maximallösung. Noch vorher müssen wir die Axt an den {Fluch eigener Wahl einsetzen} Medienstaatsvertrag legen. Der zwingt die Öffis dazu, selbst ihre Eigenproduktionen normalerweise nach einem Jahr zu depublizieren. So sind beispielsweise vergangene Ausgaben von „Die Anstalt“ oder die hervorragende Doku „Das Microsoft-Dilemma“ nur noch bei YouTube zu finden. Öffentlich-Rechtliche deutsche Produktionen liefert nur der kommerzielle amerikanische Dienst! Wie pervers ist das denn? Na gut, Googles Datenhunger kann man ja entkommen, indem man eine der Proxy-Instanzen von invidio.us nutzt. Also im Beispiel https://yewtu.be/watch?v=_ZaDuinGf2o. Über die Hintergründe des Medienstaatsvertrags (Machtinteressen der Privaten) brauchen wir hier nicht reden. Fakt ist, er muss weg. Meine 2¢.
Und wie soll der Wertschöpfungs- und damit einhergehend, Datenzugriff der Nutzer durch die dafür dominanten Plattformen verhindert werden. Zumal von Zwangerhobenem Gebühren finanziert. Per Gesetz verpflichtet zu sein, zum Wohle von Google, Chinas TikTok bezahlen zu müssen.Und Die armen Schulkinder dafür als Alibi Nutznießer voranzustellen. Wer denkst sich sowohl wohl aus…..