Ampel-KoalitionMehr Transparenz wagen

Auf einer Konferenz wird deutlich: Es wird noch dauern, bis die Bundesregierung ein Transparenzgesetz vorlegt. Expert:innen haben bei der Veranstaltung Empfehlungen für das Vorhaben formuliert und fordern: Transparenz muss Verfassungsrang erhalten.

Sehr viele Papier-Akten gestapelt
Gehören bald hoffentlich der Vergangenheit an: Mauern aus Papierakten. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Wesley Tingey

Besonders viel sagen konnte er nicht, dafür hatte Markus Richter einen Zeitplan im Gepäck: Bis Ende dieses Jahres will das Innenministerium ein Eckpunkte-Papier für ein Transparenzgesetz vorlegen. Das verkündete der IT-Staatssekretär Ende September auf einer Konferenz der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Nachdem im ersten Regierungsjahr wenig von dem Vorhaben zu hören war, kamen zuletzt Zweifel auf, ob die Ampel das Großprojekt rechtzeitig umsetzen wird. Richter versicherte nun: Das Bundesinnenministerium arbeite mit Hochdruck daran. Er könne keine Versprechen machen, hoffe aber, im Laufe des Jahres 2023 einen Gesetzentwurf vorlegen zu können.

Das Transparenzgesetz ist eine von der Zivilgesellschaft bereits seit langem geforderte Reform, die das Handeln von Staat und Regierung besser nachvollziehbar und überprüfbar machen soll. Nach den bestehenden Informationsfreiheitsgesetzen (IFG) haben Bürger:innen zwar Anspruch auf viele staatliche Informationen, müssen diese jedoch einzeln anfragen. Oft gibt es Rechtsstreitigkeiten darum, welche Informationen unter welchen Bedingungen herauszugeben sind. Das Transparenzgesetz würde „aus der Holschuld des Bürgers eine Bringschuld des Staates“ machen, fasst der ehemalige Vorsitzende von Transparency International, Hartmut Bäumer, diesen Paradigmenwechsel auf der Konferenz zusammen.

Staatliche Informationen wie etwa Gutachten, Umweltdaten oder Verträge müssten Verwaltungsbehörden dann proaktiv in einem Transparenzportal zugänglich machen. Welche Informationen tatsächlich veröffentlicht werden und mit welchen Begründungen Behörden sie weiter unter Verschluss halten dürfen, ist auch beim Transparenzgesetz Aushandlungssache. Diesen Prozess wollte die Europäische Akademie mit ihrer Konferenz befeuern und dafür sorgen, „dass das Vorhaben nicht in Vergessenheit gerät“, so Gastgeber Alexander Dix.

Hamburg als Vorbild

Dem Eindruck eines vernachlässigten Projekts trat Staatssekretär Richter in seinem Eröffnungsvortrag entschieden entgegen. Nicht nur ihm, sondern auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sei das Transparenzgesetz ein besonderes Anliegen. Konkrete Aussagen zur Gestaltung allerdings waren dem IT-Beauftragten der Bundesregierung nicht zu entlocken. Stattdessen betonte er die Komplexität des Vorhabens, da es nicht nur Verwaltungsprozesse tiefgreifend verändere, sondern auch Schnittstellen zu vielen anderen Gesetzen aufweist, etwa zum Open-Data- oder zum E-Government-Gesetz.

Hätte er die Konferenz nicht kurz nach seinem digital zugeschalteten Eröffnungsvortrag verlassen müssen, Markus Richter hätte wichtige Anregungen für die Ausgestaltung des Gesetzes mitnehmen können. So drängte etwa der Freiburger Staatsrechtler Friedrich Schoch die Bundesregierung aus dem Publikum zu Eile und höheren Ambitionen. Sie müsse die Gelegenheit nutzen, mit der Transparenzreform auch gleich die Open-Data-Strategie zu überarbeiten.

Von dem häufig zitierten Vorbild Hamburg berichtete Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche. 2012 hatte der Stadtstaat als erstes Bundesland ein Transparenzgesetz verabschiedet. Redelfs nutzte das Beispiel, um Gegenargumente zu entkräften, die vor zehn Jahren gegen dessen Einführung vorgebracht worden waren. Weder habe das Gesetz die Verwaltung lahmgelegt noch habe die Stadt einen finanziellen Schaden oder Standortnachteile erfahren. Stattdessen profitieren auch Behörden von den einfach auffindbaren Informationen. Heute verzeichne das Hamburger Transparenzportal monatlich eine Millionen Seitenaufrufe, die Schnittstelle werde mehr als eine halbe Million Mal pro Monat genutzt.

Kurze Fristen, keine generellen Ausnahmen

Redelfs stellte auf der Konferenz auch den Entwurf für ein Bundestransparenzgesetz vor, den in den vergangenen Monaten ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis geschrieben hat. Zusammen mit Organisationen wie Mehr Demokratie, Transparency International und FragDenStaat fordert das Netzwerk Recherche unter anderem einen überaus breiten Katalog veröffentlichungspflichtiger Informationen sowie eine schlanke Liste von Ausnahmegründen mit einer generellen Abwägungsklausel. Anfragen könnten die Behörden dann nicht mehr pauschal unter Verweis auf wichtige Rechtsgüter ablehnen, sondern müssten diese im Einzelfall mit dem öffentlichen Interesse abwiegen. Außerdem soll der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit gestärkt und Auskunftsverfahren bürgerfreundlicher werden. Dazu sollen unter anderem Gebühren abgeschafft und Antwortfristen auf 15 Arbeitstage gesenkt werden, so wie es bei der EU praktiziert wird.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Hamburger Gesetz rief Redelfs den Bundestag dazu auf, nicht auf einen Gesetzentwurf aus dem Innenministerium zu warten, sondern selbst die Initiative zu ergreifen. „Warum strahlt das Beispiel des Hamburger Transparenzgesetz so hell? Weil es nicht von der Ministerialbürokratie erarbeitet wurde, sondern aus der Volksgesetzgebung stammt“, sagte Redelfs. Das Gesetz war damals durch einen Volksentscheid vorangetrieben und von allen Parteien in der Hamburger Bürgerschaft aufgegriffen worden. „Jetzt mehr Transparenz wagen“, lautete deshalb Redelfs Aufruf an die Ampel-Koalition.

In der Tat kann man gespannt sein, ob sich beispielsweise die von ihm und Hartmut Bäumer geforderten verkürzten Antwortfristen und beschleunigten IFG-Gerichtsverfahren in einen Entwurf des Bundesinnenministeriums wiederfinden werden. Der ehemalige Richter, Verwaltungspräsident und spätere Transparency-International-Chef Bäumer unterstrich die Forderung nach schnelleren Verfahren mit Beispielfällen, in denen Informationen von Behörden erst so spät herausgegeben wurden, dass ihr Informationswert erheblich gesunken war. So geschehen etwa bei dem Versuch, vom Bundesverkehrsministerium Informationen zum Diesel-Skandal oder von der baden-württembergischen Landesregierung zum Neubau des Stuttgarter Bahnhofs zu erhalten.

Kelber fordert „Transparency by Design“

Merkliches Unbehagen löste die Vorstellung einer 15-tägigen Antwortfrist bei der Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts aus. Erna Viktoria Xalter meldete sich aus dem Publikum zu Wort und berichtete von der Überlastung der Gerichte, die in immer umfangreicheren Ausmaß prüfen müssten, welche Informationen veröffentlicht werden sollten und welche geheim bleiben müssten. Allein das Anfordern einer betroffenen Akte könne mehrere Tage dauern. Gleichzeitig würden Informationsfreiheitsanfragen immer umfangreicher – Informationsbegehren nach dem Motto „Bitte schicken Sie mir alles zu Thema X zu“ seien heute die Regel.

Für Ulrich Kelber aber war genau das eine Steilvorlage. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hatte zuvor nicht nur Irritation geäußert, dass das Innenministerium sein Haus noch nicht in die Konzeption des Gesetzes einbezogen hat, sondern auch „Transparency by Design“ gefordert. Also Verwaltungsprozesse, bei denen die Veröffentlichung von Beginn an mitgedacht wird. Bereits mit der Erstellung einer Akte müssten Informationen in Verwaltungsprozessen klassifiziert und mit entsprechenden Metadaten versehen werden, um so die spätere Veröffentlichung zu erleichtern. Man könne beispielsweise mit unsichtbaren Schwärzungen arbeiten, die bei Bedarf scharf geschaltet werden, oder mit Vormarkierungen, an welcher Stelle Dritte beteiligt sind und informiert werden müssen.

Einzelanfragen würden so für die Verwaltung ihren Schrecken verlieren, pflichtete Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche bei. „Informationsfreiheit sollte nicht immer als Zumutung für die Verwaltung betrachtet werden“, so Redelfs, sondern könne für diese ein echter Gewinn sein. In Hamburg etwa habe die Umstellung auf proaktive Veröffentlichungen im Transparenzportal zu einem Digitalisierungsschub der Verwaltung geführt. Damit es möglichst gut nutzbar ist, müsse das Portal dokumentierte Schnittstellen und maschinenlesbare Formate haben, forderte Kelber.

Wie man es nicht machen sollte

Wie das Bundestransparenzgesetz nicht aussehen sollte, demonstriert nach einhelliger Meinung das Beispiel Sachsen. Die neue Datenschutz- und ab 2023 auch Transparenzbeauftragte des Freistaates, Juliane Hundert, berichtete von dem kürzlich beschlossenen Sächsischen Transparenzgesetz. Dies trägt zwar die Transparenz im Namen, doch die Liste der Ausnahmetatbestände sei länger als die der zu veröffentlichenden Informationen, sagt Hundert. So ist in Sachsen unter anderem die gesamte kommunale Ebene von der Auskunftspflicht ausgenommen. Für Sachsen, das bis dahin als eines der letzten Bundesländer überhaupt kein Informationsfreiheitgesetz hatte, bedeutet dies zwar einen Quantensprung, für den Bund hingegen könnte ein schlecht gemachtes Transparenzgesetz auch ein Rückschritt sein.

Um dies zu verhindern, auch darin waren sich die Panelist:innen einig, dürfe die Ampel nicht zu viele Ausnahmen vorsehen. Ulrich Kelber etwa forderte einen Abschied vom Konzept der Bereichsausnahmen. Und Hartmut Bäumer betonte, dass die von Redelfs genannte Abwägungspflicht auch für solche Informationen gelten müsse, die als vertraulich eingestuft sind oder die privatwirtschaftlichen Interessen Dritter betreffen. Langfristig sollte staatliche Transparenz deshalb Verfassungsrang bekommen, forderten alle drei. Transparenzanliegen könnte dann weder mit pauschalen Hinweisen auf wirtschaftliche oder Sicherheitsinteressen abgebügelt werden, sondern müssten im Einzelfall abgewogen werden.

Gerne hätte man gehört, was Markus Richter zu diesen und den vielen anderen Anregungen denkt, doch der war zu diesem Zeitpunkt schon längst weg. Immerhin ein Versprechen hatte der Staatssekretär zuvor noch abgeben: Dass sein Ministerium bei dem Vorhaben eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten wolle.

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2 Ergänzungen

  1. Morgen, Donnerstag, den 6. Oktober, um 8 Uhr wird abgeordnetenwatch einen eigenen Gesetzentwurf an Staatssekrtär Markus Richter, IT-Beauftragter der Bundesregierung, übergeben, vor dem Eingang des Innenministeriums. Den Transparenzgesetzentwurf hatten sie zusammen mit Mehr Demokratie e.V., FragdenStaat, Netzwerk Recherche, der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit, Transparency International Deutschland, Lobbycontrol, Wikimedia Deutschland und dem Deutschen Journalisten-Verband, sowie mit hunderten Bürger:innen und Expert:innen erarbeitet. Habt Ihr wahrscheinlich auch als mail bekommen?

    1. Hallo Irene, ja, wir sind im Bilde! Das ist der hier im Text erwähnte zivilgesellschaftliche Entwurf.

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