Polizeigesetz NRWEine Woche ohne Anklage in Gewahrsam

Nach der Blockade eines Kohlebaggers sind mehrere Klimaaktivist*innen seit Tagen in Polizeigewahrsam. In den meisten Bundesländern wäre das nicht möglich. Doch die Laschet-Regierung in NRW verschärfte 2018 das Polizeigesetz – es enthält eine Regelung, die sich vor allem gegen Klimaproteste richtet.

Menschen sitzen auf einem Kohlebagger
Nach der Blockade eines Baggers sind mehrere Braunkohlegegner*innen noch nach Tagen in Gewahrsam. – Alle Rechte vorbehalten Gegenangriff gutesLeben

Am vergangenen Freitag haben Klimaaktivist*innen einen Kohlebagger im Tagebau Garzweiler im rheinischen Braunkohlerevier blockiert, um für einen früheren Kohleausstieg zu protestieren. In Garzweiler will der Energiekonzern RWE noch dieses Jahr das Dorf Lützerath für den Braunkohleabbau abreißen.

Nach der Räumung der Blockade durch die Polizei befinden sich noch immer neun Personen in Gewahrsam – ohne Anklage. Die Begründung dafür ist, dass die Aktivist*innen ihre Personalien nicht freiwillig angeben und „mit der Manipulation ihrer Fingerkuppen“ die Feststellung ihrer Identität unmöglich machen würden.

„Lex Hambi“ ermöglicht langes Gewahrsam

Seit der Einführung des neuen Polizeigesetzes in NRW darf die Polizei im bevölkerungsreichsten Bundesland Personen für bis zu sieben Tage festhalten, um ihren Fingerabdruck zu nehmen. In den meisten Bundesländern geht das nur für zwölf Stunden.

Diese Regelung stand schon vor Verabschiedung des Gesetzes in der Kritik. Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der HRW Berlin, bezeichnete die Verlängerung der Gewahrsamszeiten in einer Anhörung im NRW-Innenausschuss als „eine[n] der dramatischsten Eingriffe in den Grundrechtsschutz seit 1949“. Teilweise wurde das Gesetz als direkte Reaktion auf die Klimaproteste gegen den Kohlekonzern RWE gedeutet, weshalb es im Bezug zu den Protesten im Hambacher Forst auch „Lex Hambi“ genannt wird.

Nach der Blockade am vergangenen Freitag nahm die Polizei zunächst alle 22 Besetzer*innen in Gewahrsam. Inzwischen sind alle bis auf neun Personen wieder frei (Stand 5.10., 17:20). Bis zum Wochenende könnten sie noch eingesperrt bleiben. 

Die Gruppe „Gegenangriff – für das Gute Leben“, von der die Aktion ausging, kritisiert gegenüber netzpolitik.org das Vorgehen der Polizei:

Es kann nicht sein, dass die Polizei Menschen wegsperrt, die das tun, was die Politik seit Jahren verspricht und was bitter notwendig ist, nämlich effektiven Klimaschutz.

Schon mehrfach gegen Klimaproteste angewendet

Schon die erste Anwendung des Gesetzes Anfang 2019 richtete sich gegen Teilnehmende einer Blockade eines Kohlebaggers. Und auch im Jahr 2020 sperrte die Polizei zwölf Menschen nach einer Baggerbesetzung für mehrere Tage ein.

Identitätsverweigerung ist bei Klimaprotesten als Akt des zivilen Ungehorsams verbreitet, oft verkleben Aktivist*innen ihre Fingerkuppen oder bemalen sich das Gesicht, um die Abnahme von biometrischen Daten zumindest kurzfristig zu erschweren. Da das Strafrecht bei Blockaden in der Regel keine Untersuchungshaft rechtfertigt, bleibt den Behörden meist nichts anderes übrig, als die nicht identifizierten Menschen nach ein paar Stunden einfach gehen zu lassen. Durch verlängerte Gewahrsamszeiten erhofft sich die Polizei, Personen doch noch identifizieren zu können.

Weitere Verschärfungen geplant

Anonyme Aktivist*innen scheinen nicht nur der NRW-Landesregierung ein Dorn im Auge zu sein. Im Juni sprach sich die Innenminister*innenkonferenz für eine bundesweite Verlängerung der möglichen Gewahrsamszeiten und für höhere Bußgelder bei Identitätsverweigerung aus.

Versammlungsfreiheit und Proteste stehen in NRW nicht nur wegen des Polizeigesetzes unter Druck. Das geplante neue Versammlungsgesetz erschwert die Anmeldung und Durchführung von Demonstrationen für Veranstalter*innen. Zudem erleichtert der Gesetzentwurf polizeiliche Vorkontrollen und Personalienfeststellungen bei Versammlungen und weitet die Videoüberwachung aus.

Beim einem sogenannten „Militanzverbot“ bezieht sich der Gesetzentwurf direkt auch auf die Klimabewegung: Die bei Protesten oft verwendeten weißen Maleranzüge werden in eine Reihe mit den Uniformen von SS und SA gestellt. Wer durch Uniformierung „Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt“, soll in Zukunft mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können. Nachdem das Gesetz nach Polizeiübergriffen auf Gegenproteste bundesweit in Kritik geriet, wurde die Verabschiedung zuletzt auf nach der Bundestagswahl verschoben. Eine Verabschiedung wird derzeit im November erwartet. 

4 Ergänzungen

  1. „Ziviler Ungehorsam“? Die wollen einfach keine Konsequenzen tragen. Wer sich für diese Form des Protests entscheidet, denen muss auch klar sein, was das für sie bedeutet und sie müssen mit den Konsequenzen leben.

    1. Dieses Standardargument lenkt von der Aktion und den eigentlichen Konsequenzen, um die es geht ab. Es geht in unserem Aktivismus u.a. darum auf die Konsequenzen der Umweltzerstörung hinzuweisen und Konsequenzen der Klimakatastrophe zu minimieren. (Natürlich reicht da eine so kleine Aktion nicht aus.) Über die genaue Form des zivilen Ungehorsams lässt sich sicher streiten, zentral dabei ist aber der bewusste Gesetzesbruch. Nicht als Selbstzweck, sondern um auf eine größere Ungerechtigkeit hinzuweisen.

      Anstatt dieses Engagement für eine lebenswerte Zukunft zu fördern, wird es von Seiten des Staates kriminalisiert. Lieber werden Konzerninteressen und deren Gewinn geschützt, als Umwelt und Klima! (Dabei kann ziviler Ungehorsam längerfristig durchaus stabilisierend für das System sein. Mir scheint hier wird an mehreren Stellen das falsche wertgeschätzt.) Auf einzelne Aktivist*innen kommen neben physischer und psychischer Gewalt, u.U. ein jahrelanger Prozess und hohe Kosten bis zur Privatinsolvenz zu. Der „Schaden“, der für den Konzern entsteht ist dabei relativ gesehen gering. Es ist völlig legitim sich diesen Folgen wenn möglich zu entziehen, um sich nicht vom Aktivismus abhalten zu lassen.

      Ist es nicht auch zuletzt der Staat selbst, der einer solchen Aktion erst Aufmerksamkeit verschafft und Bedeutung gibt, wenn derart mit der Repressionskeule ausgeholt wird?

      Wie teuer ist eigentlich ein Hubschraubereinsatz und 7 Tage Gewahrsam? Haben die Beamten nicht auch etwas Besseres zu tun?

      Ist Ihnen klar, was es bedeuten würde, wie Sie dann leben müssten, wenn wir diesen Aktivismus nicht betrieben?

  2. Ziviler Ungehorsam funktioniert nur so lange, wie nur eine Seite ungehorsam ist. Wenn die anderen auch nicht gehorchen, gibt es Sach- und Personenschäden. Die meist zivilen Lenker von Maschinen und Fahrzeugen müssen also den Befehlen der Zivilisten in der Blokade demütig gehorchen.
    Blokaden kenn ich als Belagerung. Im Mittelalter war das eine militärische Feindseligkeit. Seit dem Mutlangen-Urteil sieht man das anders…
    Vielleicht sind das nächste Mal Windräder dran blokiert zu werden? Oder ein Dorf mit Windradgegnern? Oder eine Straße, wo viele bestimmte Leute wohnen, die andere Leute nicht mögen? Weiße Malerkittel braucht man nur durch eine spitze Mütze zu ergänzen, dann sind die vom Ku-Klux-Clan.
    Wer hier auf Menschenrechte pocht, der besteht auf dem 2. und 3. Gebot für Verbrecher:
    1. lass dich nicht erwischen
    2. Nutze die harte Deckung deiner eigenen Grundrechte, um nach Herzenslust die Menschenrechte anderer Leute zu bekämpfen
    3. Nutze die bürokratische Selbsthemmung des Staates, sodass keiner ein Passierschein A38 zu deinem Nachteil ausstellen kann.

  3. Andere Meinung, schön und gut, aber hier und da sind die Argumente doch ein bischen… plump.

    „Weiße Malerkittel braucht man nur durch eine spitze Mütze zu ergänzen, dann sind die vom Ku-Klux-Clan.“ Also, wenn sich ein Maler einen spitzen Hut aus weißem Zeitungspapier aufsetzt, gibt er sich damit automatisch als Mitglied einer us-amerikanischen, gewalttätigen Rassistenbewegung zu erkennen?
    Wären dann nicht auch alle Baumärkte automatisch wg. Bereitstellung von Material zur Gründung terroristischer Organisationen mitschuldig? Also, weil sie die KKK-Uniformen als „Malerbedarf“ getarnt verkaufen…

    Und wie ist es mit Schützenvereinen? „Wer durch Uniformierung Gewaltbereitschaft vermittelt“ heisst es im Entwurf- auf mich wirken die Schützenvereine schon ziemlich martialisch. Und die Gewaltbereitschaft steckt da ja schon explizit im Namen und Vereinszweck. Wenn die jetzt alle im Knast landen, wäre die wochenlange Ingewahrsamnahme bei zivilem Ungehorsam nach Definition des BVG… ein akzeptabler Preis.

    „Wer hier auf Menschenrechte pocht, der besteht auf dem 2. und 3. Gebot für Verbrecher“. Äh, diese Gebote lautet wie nochmal? Vielleicht „Wer einer Straftat verdächtigt wird, gibt alle Grundrechte auf, denn Menschenrechte gelten nicht für Straftäter, Demonstranten und ihren Nachbarn mit der zu lauten Musik“ – meinen sie das Gebot? Steht auch so irgendwo im Grundgesetz… hat mal wer gesagt.

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