Immer mehr Menschen werden von deutschen Polizeibehörden mithilfe von Gesichtserkennung identifiziert. Seit 2018 hat sich ihre Zahl jedes Jahr verdoppelt, 2020 waren dies 4.403 Personen. Das schreibt das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine Schriftliche Frage zum polizeilichen Gesichtserkennungssystem (GES). Rund ein Drittel der Betroffenen wurden dabei von der Bundespolizei namhaft gemacht.
Das GES wird seit 2008 zentral beim Bundeskriminalamt geführt und steht neben der Bundespolizei allen 16 Landeskriminalämtern zur Verfügung. Eine Abfrage im GES kann erfolgen, wenn eine Person tatverdächtig, ihr Name aber nicht bekannt ist. Die Art der vorgeworfenen Straftat ist dabei unerheblich, das System kann auch bei einer Beleidigung oder einem Ladendiebstahl durchsucht werden.
Nutzung auch bei Ladendiebstahl
Für die Suchläufe verwendet die Polizei Fotos oder Standbilder aus Videokameras, auf denen mutmaßliche Täter:innen abgebildet sind. Im GES wählt dann ein Algorithmus Bilder mit der höchsten Übereinstimmung aus. Diese werden anschließend von Ermittler:innen mit dem Foto der unbekannten Verdächtigen verglichen.
Die GES-Software recherchiert im zentralen Informationssystem der Polizei (INPOL-Z), das ebenfalls beim BKA angesiedelt ist. Die recherchefähigen Bilder in dieser größten deutschen Polizeidatenbank stammen vorwiegend aus erkennungsdienstlichen Behandlungen, die nach einer Festnahme vorgenommen werden können. Zur Zeit sind dort rund 5,8 Millionen Portraitbilder von 3,6 Millionen Personen gespeichert. Diese Zahl ist dynamisch, ältere Fotos werden gelöscht, neue kommen hinzu. Im Jahr 2020 wurden etwa 740.000 Bilder entfernt und 649.000 hinzugefügt.
Dem bayerischen Landeskriminalamt zufolge benutzt die Polizei zunehmend Bilder aus sozialen Netzwerken für die INPOL-Abfrage. Die Gesichtserkennung soll auch funktionieren, wenn die gesuchten Personen auf dem Foto eine Mund-Nasen-Schutzmaske tragen.
Ausbildung von „Lichtbildexperten“
Das GES stammt von der Firma Cognitech aus Dresden. Vor zwei Jahren hat das BKA einen „leistungstechnischen Vergleich“ beauftragt, um das in die Jahre gekommene System mit Software anderer Hersteller zu vergleichen, darunter NEC, AnyVision, Idemia und VisionLabs. Alle Anwendungen nutzen laut dem Bundesinnenministerium „Methoden des maschinellen Lernens“. Die Untersuchungen wurden vor einem Jahr abgeschlossen, eine Neubeschaffung erfolgte bisher nicht.
In einer früheren Antwort hatte das Innenministerium auch die Zahlen der Suchläufe mitgeteilt. Insgesamt wurde das GES im vergangenen Jahr 76.535 abgefragt, rund die Hälfte dieser Zugriffe erfolgten durch das BKA. Rund 31.000 Recherchen stammten von den Landeskriminalämtern. 4.574 Abfragen erfolgten 2020 durch die Bundespolizei. Um diese Zahl gab es Verwirrung, weil sie zuvor mit 4.024 angegeben wurde.
Den Widerspruch erklärt das Ministerium damit, dass es sich bei der höheren Zahl um die „technische Erhebung im System“ handele. Gezählt werden alle Zugriffe, egal zu welchem Zweck. Darin enthalten sind auch jene Abfragen, die nicht für Ermittlungsverfahren, sondern im Rahmen der Ausbildung von „Lichtbildexperten“ durchgeführt werden.
Menschliche Superwiedererkennung
Neben der computergestützten Gesichtserkennung setzen immer mehr Polizeien auch sogenannte Super-Recogniser ein. Dabei handelt es sich um ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, die sich besonders gut Gesichter merken und diese in Menschenmengen wiedererkennen können. Entdeckt hat dies der britische Wissenschaftler Josh Davis bei einer Untersuchung innerhalb der Metropolitan Police. Auf Anforderung der Polizei Nordrhein-Westfalen hatten die britischen Beamt:innen zuerst nach der Silvesternacht 2015/16 in Köln bei der Aufklärung von Straftaten geholfen.
Anschließend half Davis der Polizei in Bayern beim Aufbau einer solchen Einheit, die mittlerweile in hunderten Fällen bei der Aufklärung geholfen haben soll. Auch Baden-Württemberg hat seit 2018 mehrere Super-Recogniser in den eigenen Reihen ausgemacht, nach Berlin plant auch Sachsen ein entsprechendes Pilotprojekt. Sechs bayerische Beamt:innen haben nach dem G20-Gipfel 2017 die Polizei in Hamburg bei der Suche nach mutmaßlichen Straftäter:innen unterstützt. Weitere Einsätze der humanoiden Gesichtserkennung erfolgten in München etwa nach dem Oktoberfest und in Stuttgart nach der dortigen „Krawallnacht“ vor einem Jahr.
Wie das GES im BKA können auch die Super-Recogniser angeblich Personen erkennen, wenn diese ihr Aussehen mit Mütze, Bart, Sonnenbrille oder Bemalung verändern. Dies hat die bayerische Polizei nach eigener Aussage bei der Handhabung von Protesten gegen den Weiterbau der A49 im Dannenröder Forst erfolgreich demonstriert. Anschließend hat die Truppe 45 Frankfurter Beamt:innen geschult, die nun ebenfalls zur Superwiedererkennung eingesetzt werden sollen.
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