Anlasslose MassenüberwachungBundesjustizminister Buschmann will Quick-Freeze statt Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist als politischer Zombie kaum totzukriegen und taucht immer wieder als Forderung von Innenpolitiker:innen auf. Der Bundesjustizminister will dem jetzt ein Ende bereiten.

Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz am 9.12.2021. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Photothek

Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will die Vorratsdatenspeicherung „endgültig aus dem Gesetz streichen“. Das sagte er in einem Interview mit Medien der Funke-Mediengruppe. Die Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen die Grundrechte. „Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert wird, dann fühlt sich niemand mehr frei“, so Buschmann weiter. 

Der Bundesjustizminister stellt sich damit gegen einen Beschluss der letzten Innenministerkonferenz, die darauf drängt, dass die anlasslose Massenüberwachung wieder eingeführt wird. Derzeit liegt sie wegen mehrerer Gerichtsentscheidungen auf Eis, selbst wenn sie weiterhin im Gesetz steht. Zuletzt hatte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs in seinen Schlussanträgen der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine Absage erteilt

Buschmanns Gegenvorschlag nennt sich Quick-Freeze und war immer wieder als grundrechtsschonendere Alternative zur Vorratsdatenspeicherung im Gespräch. „Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können“, so Buschmann.

Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der die Daten aller Bürger:innen gespeichert werden, solle das aber nur anlassbezogen bei bestimmten Personen bei Verdacht auf schwere Straftaten erfolgen. Buschmann nennt dieses Verfahren „rechtsstaatlich sauber“, es würde gleichzeitig den Ermittlern wieder ein Instrument für die Aufdeckung von Straftaten in die Hand geben. Für Quick-Freeze hatte sich die damalige FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eingesetzt, war aber beim schwarzen Koalitionspartner damit nicht durchgekommen.

Buschmann will „Bürgerrechte stärken“

Angesprochen auf die zukünftige Zusammenarbeit mit der neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte er, dass sie sympathisch und pragmatisch sei. Als eines der ersten gemeinsamen Projekte wolle man die Überwachungsgesamtrechnung angehen und die Sicherheitsgesetze evaluieren. Es gehe darum, die Bürgerrechte zu stärken.

Die Vorratsdatenspeicherung, also das mehrmonatige anlasslose Speichern von Kommunikationsdaten, wer mit wem wann wo telefoniert oder wer wann welche IP-Adresse im Internet benutzt, ist seit Anbeginn heftig umstritten. Sie wurde im Jahr 2006 von der Europäischen Union beschlossen und 2007 das erste Mal in Deutschland eingeführt. Sie löste große Proteste und Demonstrationen aus, wie die Demo „Freiheit statt Angst“, bei der in manchen Jahren bis zu 25.000 Menschen teilnahmen.

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6 Ergänzungen

  1. Wie jetzt? Konstruktiv an Lösungen arbeiten die mit der Verfassung vereinbar sind ist eine Option? Ich dachte die Vorratsdatentotalspeicherung sei alternativlos und wir bräuchten sie unbedingt, einfach weil sie eben etwas nutzt, und Bedenkenträger und Grundgesetz sollten bitte mal einen Schritt zur Seite treten und Platz machen, danke auch.
    Es geht also auch anders. Ein völlig neues Erlebnis, nach 16 Jahren CDU+CSU und Nix-als-Schmu im Innenministerium.

  2. Aber so lange unsere schuldigen Geheimdienste Staatstrojaner haben ohne Archivpflicht
    (keine Offenlegung/Beweislastumkehr: => keine Verantwortung für das eigene Tun)
    und so lange der EU-Whistleblowerschutz für Edward Snowden fehlt (der Whistleblowerschutz aus der EU-Richtlinie ist ja wohl seit dem 18.12.21 in Kraft, reicht aber nicht im Fall Snowden, trotz EU-Resolution für Snowdens Schutz aus 2015, nicht wahr?)
    – so lange kann ich auch der neuen Regierung nicht vertrauen. Leider.
    Ich hatte gefragt, habe aber noch keine Antwort von Herrn Buschmann zu 1. Geheimdienst-Staatstrojanern, 2. Archivpflicht, 3. Whistleblowerschutz für Snowden.

    Alle Gesetzeskorrekturen, mit denen wir endlich zurückkehren zur Umsetzung der EUGH-Urteile, zur Einhaltung unserer konstitutionellen Grundwerte, zur rule-of-law bei Geheimdiensten, zählen natürlich als gut, – sobald sie vollbracht sind (also wenn Wort gehalten wird).

  3. Der Vorschlag von Buschmann macht zunächst einmal Hoffnung. Nicht mehr und nicht weniger. Jetzt muss er auch liefern. Ob damit das Geplärr aus den Ländern aufhört ist auch noch nicht entschieden. Zumindest deutet sich ein Schritt in die richtige Richtung an. Nachdem der olle Ex-Bundeshorst jetzt nicht mehr ständig damit beschäftigt ist das Grundgesetzt immer weiter zu dehnen sondern sich intensiv seiner Modelleisenbahn widmet kann mancher Schaden, denn er angerichtet hat endlich korrigiert werden.
    Die SPD hat in der GroKo zwar vielem Mist zugestimmt, aber vielleicht zeichnet sich doch eine andere Politik ab, die ein Umdenken erkennen läßt. Nötig wärs.

  4. Es gibt eine leichte Hoffnung, das mit der jetzigen Regierung eher die Pragmatiker eingezogen sind. Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht (und war nie) juristisch sinnvoll einzuführen. Genau hinsehen muss man bei den Ausnahmen – die es sicher geben wird für Nachrichtendienste und ähnlich. Und es muß auch daran gedacht werden die Netzbetreibenden zu verpflichten Daten sehr früh zu anonymisieren und entsprechend auch bald zu löschen.

  5. Eine sinnvolle Entscheidung,
    und es spricht auch sehr für Buschmanns Prioritäten, dass er das im ersten Monat angeht!

    Allerdings darf man nicht übersehen:
    Er schafft eine Regelung ab, die schon lange nicht mehr wirkt.

    Stattdessen führt er eine sinnvollere, aber eben auch zusätzliche Überwachungsmöglichkeit ein. Die finde ich nicht beanstandenswert, und sie ist auch im Sinne der Strafverfolgung zu wünschen –
    eine wirkliche Entlastung der Bürger vom Überwachungsdruck, der auch ohne Vorratsdaten gewaltig ist, bedeutet das gerade nicht.

  6. Hallo netzpolitik.org, ich habe jetzt erst auf Umwegen gefunden, dass Marco Buschmann sehr zufrieden ist damit, dass unser Bundesrat die Mitwirkungspflicht bei Staatstrojanern gekippt hat (super! Mein Dank gilt hier besonders dem unermüdlichen Klaus Landefeld von eco e.V., der offenbar zuvor an den Bundesrat appelliert hatte. Erfolgreich! ) ! Dass unseren neuen Justizminister dies auch freut habe ich einem Artikel des BR entnommen ( https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/bundesrat-stoppt-hilfspflichten-gesetz-fuer-staatstrojaner,Ss8TeGp ).

    Bleiben also noch echter Whistleblowerschutz (Snowden!) und die Archivpflicht für die Geheimdienste. Mal sehen, – läuft ja bisjetzt irgendwie in die richtige Richtung, scheint’s.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.