Förderprogramm für freies WissenWikimedia auf der Suche nach frischem Wind

Bei dem Förderprogramm „UNLOCK Accelerator“ können sich derzeit alle bewerben, die eine gute Idee zur Vermittlung von freiem Wissen haben. Wir haben mit der Projektleiterin über ihre Vorstellungen und Ziele gesprochen.

Blaue Treppe mit Füßen in roten Schuhen, die nach oben gehen.
Schritt für Schritt zum fertigen Konzept. Mit dem neuen Programm „UNLOCK Accelerator“ möchte Wikimedia Deutschland fünf neue Ideen für freies Wissen fördern. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Lindsay Henwood

Der UNLOCK Accelerator ist ein Förderprogramm, das von Wikimedia Deutschland konzipiert wurde mit dem Ziel, eine offene und informierte Wissensgesellschaft zu fördern. Konkret heißt das, dass das Programm fünf ausgewählte Teams dabei unterstützen will, ihre Ideen in fünf verschiedenen Bereichen rund um Wissensnetzwerke, Wissenskompetenz oder Wissensproduktion weiterzuentwickeln.

Dafür gibt es über drei Monate hinweg individualisierte Coachings und auch Finanzierung, wenn nötig. Die Bewerbung ist noch bis zum Montag, 15. Juni 2020, möglich. Wir haben mit Kannika Thaimai gesprochen, die das UNLOCK-Programm für Wikimedia Deutschland konzipiert und umgesetzt hat.

netzpolitik.org: Warum hat Wikimedia Deutschland das Programm UNLOCK Accelerator gestartet?

Kannika Thaimai: Das wurde mit unserer neuen strategischen Ausrichtung ins Leben gerufen mit dem Ziel, neue Impulse zu setzen. Außerdem wollen wir so neue Zielgruppen in die Bewegung holen. Ich glaube, dass die freie Enzyklopädie Wikipedia und ihre Schwesterprojekte in den vergangenen Jahren eine massive Bewegung für freies Wissen in Gang gesetzt haben. Wir wollen mit dem Programm diese Bewegung weiter ausbauen: Da draußen gibt es definitiv viel Potenzial für Wissen, Bildung und vor allem auch freies Wissen. Genau für Menschen mit diesem Potenzial ist das Programm.

netzpolitik.org: Was genau kann ich mir denn unter dem UNLOCK Accelerator vorstellen?

Thaimai: Wir suchen nach Menschen, die sich in Teams von mindestens zwei und maximal fünf Personen für eine offene und informierte Wissensgesellschaft engagieren. Das können genauso Freiwillige aus den Wikimedia-Projekten sein, aber auch Menschen außerhalb unserer Bewegung, etwa Engagierte aus Initiativen oder auch Social Entrepreneurs mit Projekten in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung.

Themen können genauso aus der Online- wie auch aus der Offline-Welt kommen, also von der technischen Schnittstelle, um Wissen aus unterschiedlichen Quellen noch besser zu vernetzen oder auch Projekte, die die Diskussionskultur im Netz fördern bis hin zu solchen, die für einen fairen Wissensaustausch sorgen. Beispiele wären ein Wissenscafé oder eine Bibliothek 4.0 oder ein freies Instagram. Wie auch immer das dann aussieht. Ich glaube, da kommen viele Themen infrage.

Wegen Corona wird das Programm komplett virtuell stattfinden. Deshalb hatten wir auch schon Anfragen aus Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden. Dabei machen wir keine Einschränkungen. Die Arbeitssprache sollte aber deutsch sein.

netzpolitik.org: Wie weit entwickelt muss denn meine Idee schon sein?

Thaimai: Ich glaube, es wäre gut, wenn die Idee nicht gerade auf der Serviette entstanden ist, also schnell ausgedacht und hingekritzelt. Wir suchen tatsächlich schon Konzepte, die Menschen in ihren Teams schon ein bisschen durchdacht haben: Für wen könnte das spannend sein? Wer könnte unsere Zielgruppe sein? Vielleicht gibt es auch schon erste Prototypen oder kleine Versuche.

Es könnten aber auch ausgereifte Projekte sein, die es bereits in einer Beta-Version gibt. Dann könnten wir helfen auszuprobieren, ob die Idee skalierbar ist. Auch dafür bieten wir Coachings und Hilfestellungen an, um den Reifegrad noch weiter zu entwickeln.

netzpolitik.org: Es gibt ja Schulen oder Volkshochschulen. Warum braucht es denn da noch Wikimedia Deutschland, um das Wissen in der Gesellschaft zu fördern?

Thaimai: Ich glaube, dass es viele Möglichkeiten gibt im Bildungswesen oder auch in der Erwachsenenbildung, allgemein Wissen zu vermitteln und zu erfahren. Diese Möglichkeiten haben sich enorm weiterentwickelt in den letzten Jahren. Trotz dieser großen Vielfalt, die es schon gibt, stehen viele vor der Herausforderung, neue Ansätze für ihren Bereich zu entwickeln und umzusetzen.

Kannika Thaimai von Wikimedia Deutschland organisiert das Förderprogramm „UNLOCK Accelerator“ - CC-BY-SA 4.0 Sandro Halank and Martin Rulsch

Wir sind davon überzeugt, dass es viele sinnvolle und unterstützenswerte Ideen im Bildungsbereich gibt. Leider bleiben aber viele dieser Ansätze Skizzen oder werden aus Geld- und Zeitmangel nicht weiterverfolgt – weil eben die Unterstützung fehlt. Wir wollen genau da ansetzen und dabei helfen, diese Ansätze zu echten Konzepten zu machen, also zu validieren und hoffentlich breitflächig umzusetzen. Sodass dann Institutionen wie Schulen oder andere Bildungseinrichtungen diese Tools nutzen können.

netzpolitik.org: Inwiefern soll der UNLOCK Accelerator auch das digitale Ehrenamt unterstützen?

Thaimai: Wir leben ja von dem digitalen Ehrenamt, von den Tausenden Freiwilligen, die sich in der Wikipedia und anderen Wikimedia-Projekten engagieren. Aber wir wissen auch, dass das eigentlich eine Herausforderung ist und dass die Chancen zur Teilhabe an solchen freien Wissensprojekten für alle Menschen nochmal erweitert werden müssten.

Denn auch digitales Ehrenamt ist Wissensarbeit, die hier geleistet wird. Das heißt, wir müssen auch über eine faire Gegenleistung nachdenken. Wenn es da schon konkrete Ideen gibt, die jemand weiter ausarbeiten möchte: Gerne bei unserem Programm bewerben! Das geht noch bis Montag, also bis zum 15. Juni. Denn das ist auch eines unserer Themenfelder: eine faire Wissensproduktion. Wir haben die Lösung auch noch nicht. Wir sind aber gespannt, wie solche Modelle aussehen können und wollen das fördern.

netzpolitik.org: Welche gesellschaftlichen Lücken soll das Programm denn füllen?

Thaimai: Wir wollen tatsächlich mit diesem Format unsere Vision einer freien, offenen und informierten Wissensgesellschaft weiter vorantreiben. Es gibt nach wie vor enorm große Potenziale – zum Beispiel, wenn es um Wissensvermittlung und Kompetenz geht. Die Themen, die wir in unserem Programm verbinden, sind hochaktuell: Wie kann man Filterblasen zu Platzen bringen? Wie kann man Fake News erkennen? Was müssen Kinder, Schulkinder oder auch Erwachsene heutzutage lernen und wie vermitteln wir das?

Wir fragen uns natürlich auch, wie wir Herausforderungen wie kollaborativem Lernen begegnen oder eine faire Diskussionskultur vermitteln. Es geht uns also auch um den Bereich Digital Literacy, die sich nicht nur auf Technologien, sondern auf das Verstehen, Vermitteln und Bewerten von Wissen bezieht. Welche Informationen gibt es und wie werden die weiterverwertet? Gibt es Hilfestellungen, How-Tos? Das alles wollen wir mehr stärken.

Ich glaube, als Wikimedia Deutschland sind das alles Bereiche, denen wir uns seit Langem widmen. Jetzt wollen wir einen noch stärkeren Beitrag leisten und konkrete Ideen aus diesen Feldern fördern und weiterentwickeln.

netzpolitik.org: Wie geht es dann mit den Konzepten weiter?

Thaimai: Da gibt es verschiedene Optionen: Einerseits ist unser Ansatz, immer wieder auf die Bedarfe der Projekte zu schauen. Das können wir natürlich erst sehen, wenn sie da sind. Eine andere Möglichkeit wäre, dass wir einzelne Projekte aufnehmen, wenn sie zu unserer strategischen Ausrichtung von Wikimedia Deutschland passen und die Teams zu unserer Bewegung dazustoßen wollen.

Genauso wäre aber auch denkbar, dass die Teams vielleicht sogar gründen und selbstständig das Projekt weiter vorantreiben. Es könnte auch sein, dass die Projekte in unseren Netzwerken andere Partnerschaften oder Kollaborationen zu finden. Das wollen wir den Teams aber gar nicht vorgeben, was danach kommen soll. Es sind viele Strategien denkbar, die wir dann mit den Teams gemeinsam definieren wollen.

Unser Anspruch ist es aber, dass die Projekte weiterleben und auch nachhaltig umgesetzt werden. Deshalb ist das auch so ein strukturiertes und zeitintensives Programm über drei Monate. Zusätzlich wir wollen das Format UNLOCK Accelerator langfristig weiterentwickeln, sodass dann auch noch mehr als jetzt nur diese ersten fünf Projekte unterstützt werden.

netzpolitik.org: Vielen Dank für das Gespräch.

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