EuropolPolizeiagentur steuert Rüstungskonzerne

Nach Vorbild des US-Verteidigungsministeriums soll Europol zukünftig die europäische Sicherheitsforschung koordinieren. Mit an Bord eines neuen „Innovationszentrums“ ist auch die Rüstungsindustrie. Es soll sich um „disruptive Technologien“ wie verschlüsselte Kommunikation, Waffen aus 3D-Druckern oder vorhersagende Polizeiarbeit kümmern.

Europol soll sich mit dem „Innovationszentrum“ bei Interpol verpartnern. Geforscht wird dort unter anderem zur polizeilichen, aber auch terroristischen Nutzung von Drohnen. – Alle Rechte vorbehalten Interpol

Seit 1984 organisiert die Europäische Union ihre zivile Sicherheitsforschung in mehrjährigen Rahmenprogrammen, das derzeitige Programm trägt den Titel „Horizont 2020“. In vielen Projekten sind daran Rüstungskonzerne beteiligt, sie forschen mit Instituten und Behörden zu Drohnenpanzern für die Grenzkontrolle, zum Anhalten „nicht kooperativer Fahrzeuge“ mit elektromagnetischen Impulsen oder zur Beobachtung von Städten und Grenzen per Satellit. Internationale Abkommen ermöglichen die Einbindung von Drittstaaten, so arbeitet etwa Israels größter Drohnenhersteller seit Jahrzehnten in zahlreichen EU-Vorhaben mit.

Die Mitarbeit der Rüstungskonzerne könnte demnächst mit neuen Finanzmitteln gestärkt werden. So steht es einem Papier von Gilles de Kerchove, dem Anti-Terrorismus-Koordinator der Europäischen Union. Er schlägt vor, dass Europol die zivil-militärische Forschung zukünftig koordiniert. Die Polizeiagentur soll als „Innovationszentrum“ („Innovation Hub“)  für gemeinsame Pilotprojekte fungieren. Vorbild ist die Forschungsstelle des US-Verteidigungsministeriums, Kerchove spricht von einer „DARPA-type methodology“. Als Partner der neuen Einrichtung nennt der Koordinator das geheimdienstliche EU-Lagezentrum INTCEN.

Verwaltungsabkommen der beteiligten EU-Agenturen

Dass Europol eine Schlüsserolle für neue Technologien erhält, hatten die EU-Innenminister bereits im vergangenen Oktober beschlossen. Damals war noch von einem „Innovationslabor“ die Rede. Die Umbenennung zum „Hub“ beziehungsweise „Zentrum“ war nötig, weil ähnliche Abteilungen von EU-Agenturen wie Frontex nicht mit der neuen Einrichtung verwechselt werden sollten. Diese bereits bestehenden „Innovationslabore“ mit eigenem Budget für die Sicherheitsforschung werden zukünftig vom „Innovationszentrum“ bei Europol koordiniert.

Für die gemeinsame Forschung im „Innovationszentrum“ könnten die beteiligten EU-Agenturen laut Kerchove ein Verwaltungsabkommen schließen. Auf diese Weise sollen neben den Geldern aus den EU-Forschungsprogrammen zusätzliche Gelder für einzelne Projekte mobilisiert werden.

Zusammenarbeit mit Verteidigungsagentur und militärischer „Cyber-Akademie“

Zu den weiteren Teilnehmern des Forschungsverbunds zählt der Anti-Terrorismus-Koordinator die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Union, die Agentur zum Betrieb großer Datenbanken eu-LISA oder die EU-Polizeihochschule CEPOL, außerdem das EU-Satellitenzentrum oder die Europäische Weltraumorganisation. Das „Innovationszentrum“ soll außerdem die sogenannten Expertennetzwerke koordinieren. Hierzu gehört etwa ENLETS, das die Nutzung neuer Technik für die Polizei vorbereitet.

Schließlich soll auch die Europäische Verteidigungsagentur an dem „Innovationszentrum“ teilnehmen. Die EU-Militärs haben im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ selbst entsprechende Einrichtungen beschlossen, darunter eine „EU-Cyber-Akademie und Innovation Hub“.

„Next Big Data“, 6G und Verschlüsselung

Das Papier des Anti-Terrorismus-Koordinators nennt auch konkrete Projekte der neuen Einrichtung. Europol soll sich vor allem um sogenannte „disruptive Technologien“ kümmern, die Polizeien und Geheimdienste in den Mitgliedstaaten vor Probleme stellen. Hierzu gehören die Einführung von 5G oder die Vorbereitung auf 6G, „next Big Data“, künstliche Intelligenz oder mit 3D-Druckern hergestellte Waffen. Kerchove erwähnt außerdem das „Predictive Policing“ zur vorhersagenden Polizeiarbeit, die maschinelle Stimmanalyse, die automatisierte Übersetzung und Verarbeitung von Texten und Blockchain-Technik.

Während Verschlüsselung für bestimmte Anwendungen gestärkt werden müsse, will Kerchove Möglichkeiten zum Abhören verschlüsselter Kommunikation ebenfalls im neuen „Innovationszentrum“ beforschen. Alle beteiligten Einrichtungen und Agenturen könnten ihre Informationen in einem gemeinsamen „Datensee“ („data lake“) speichern, der mithilfe von „Werkzeugen der künstlichen Intelligenz“ verarbeitet würde. Kerchove will die Daten beispielsweise nutzen, um „Radikalisierungskipppunkte“ zu erkennen.

Frontex als „Testlabor“

Europol soll im Rahmen des „Innovationszentrums“ auch auf Einrichtungen außerhalb der Europäischen Union zugehen. Hierzu gehört die Kommunikations- und Informationsagentur der NATO, die wie Europol teilweise in Den Haag angesiedelt ist. Als zukünftiger Partner gilt auch das Institut für künstliche Intelligenz und Robotik in Den Haag, einer Unterabteilung des UN-Instituts für die Kriminalitäts- und Justizforschung.

Einem anderen EU-Dokument zufolge soll Frontex als „Testlabor“ von neuen Forschungsprojekten dienen. Europol und die Grenzagentur sollen sich mit Interpol zusammenschließen, das in Singapur ebenfalls ein „Innovationszentrum“ betreibt. Die Interpol-Generalversammlung hat im Oktober in Chile beschlossen, Verhandlungen mit der EU über eine verstärkte Kooperation zu beginnen. Interpol will unter anderem den Informationsaustausch mit EU-Agenturen ausweiten.

Eine Ergänzung

  1. Man will also eine Verkettung von nicht kontrollierbarer Exekutive (Frontex) und Produzenten (also Menschen die am regelmäßigen Einsatz ihrer Ware Interesse haben) schaffen, die wir Europäer quasi bisher nur aus dystopischen Filmen kennen?

    Wow. Das kann ja garantiert nicht schief gehen.

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