Das Bundesgesundheitsministerium will die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung fördern. Nicht alle Patient:innen könnten medizinische Informationen ausreichend gut „finden, verstehen, bewerten und in der Praxis umsetzen“. Gerade online geistere viel Desinformation zu Gesundheitsthemen herum – nicht erst seit der Corona-Pandemie. Um Interessierten die Informationssuche zu erleichtern, gibt es seit heute das „Nationale Gesundheitsportal“, das Infos zu Gesundheit und Medizin leicht verständlich zur Verfügung stellen soll.
Im Augenblick gibt es auf der Webseite Informationen zu den 200 häufigsten Erkrankungen, zum Thema „Gesund leben“, zur Pflege und zur digitalen Medizin. Im Service-Teil ist außerdem die „Weiße Liste“ der Bertelsmann Stiftung implementiert, die bei der Arzt- und Krankenhaussuche helfen soll.
Die Artikel zu den einzelnen Krankheiten sollen einen Überblick über Vorsorge, Diagnose, Behandlung und Nachsorge geben. Ein Kernteam aus sechs Redakteur:innen „mit medizinischem und gesundheitswissenschaftlichem Hintergrund“ und Erfahrung in der Aufbereitung von Informationen erstelle die Artikel, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.
Abgrenzung zu bestehenden Angeboten unklar
Die Inhalte seien teilweise in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum oder dem Robert-Koch-Institut entstanden, die mit ihren Expert:innen einen Teil der Qualitätssicherung übernehmen würden, so ein Sprecher. An vielen Stellen in den Artikeln verlinkt das Ministerium auf die Informationsangebote dieser Institutionen, anstatt selbst tiefer gehende Informationen zur Verfügung zu stellen.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, fordert eine Abgrenzung des Nationalen Gesundheitsportals von bereits bestehenden Angeboten. In einer Pressemitteilung befürwortet er den Start der Webseite ausdrücklich. Da diese aber noch unbekannt sei, und „starke und etablierte Konkurrenz“ habe, müsse der Mehrwert deutlicher werden, kritisiert der Verbraucherschützer. Er fordert beispielsweise noch „umfangreichere Möglichkeiten zur Arztsuche oder zum Vergleich von Krankenkassen“.
Gleichzeitig wirft Müller die Frage auf, warum die Initiative erst jetzt an den Start gehe: „Derartige Portale sind im Ausland oft längst Standard und etabliert.“
Wer googelt, findet das Portal (noch) nicht
Die Frage nach der Abgrenzung von konkurrierenden Informationsangeboten aus Wissenschaft und Wirtschaft stellt sich auch bei der Sichtbarkeit der Webseite in Suchmaschinen: Wer mit einem neuen Befund oder einer neuen Diagnose von einem Arzttermin kommt und online nach Informationen sucht, soll nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn zuerst auf das Nationale Gesundheitsportal stoßen, um gesicherte Informationen zu erhalten.
Offen ist, wie das Ministerium erreichen will, dass Suchmaschinen wie Google das neue Informationsportal so weit oben anzeigen, dass Menschen auf der Suche nach Informationen tatsächlich zuerst beim Nationalen Gesundheitsportal landen. Wer aktuell eine Krankheit als Suchbegriff bei Google eingibt, landet weiterhin zunächst bei privaten Informationsangeboten, Medien-Berichten oder Info-Seiten von Forschungseinrichtungen und Universitäten. Um die Homepage besser zu positionieren, wäre es nötig, das Portal bekannter zu machen, damit zum Beispiel viele externe Webseiten auf die Webseite verlinken. Das wirkt sich im Google-Ranking positiv aus.
Budget und personelle Ausstattung gering
Ob eine derart intensive Öffentlichkeitsarbeit beim derzeit im Haushaltsplan der Bundesregierung vorgesehenen Budget von 4,5 Millionen Euro [PDF, S.2342] im Jahr 2020 realistisch ist und ob das Portal gegen die Konkurrenz aus der Privatwirtschaft und der Wissenschaft bestehen kann, ist aber fraglich. Aus dem Gesundheitsministerium gibt es keine konkreten Angaben zur Öffentlichkeitsarbeit und wie man das Portal bekannter machen möchte.
Auch mit Blick auf rasante medizinische Fortschritte, die sich – bei optimaler Kommunikation an die behandelnden Ärzt:innen und an die Patient:innen – direkt auf die Diagnose oder die Behandlung auswirken könnten, erscheint das Budget und die personelle Ausstattung gering. Unter „Qualitätssicherung“ ist zu lesen, dass die Redaktion die Informationen spätestens alle drei Jahre auf ihre Aktualität prüft. Die Frage, ob dieser Turnus aus Sicht des Ministeriums mit der Forschung Schritt halten kann, beantwortet der Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Anfrage nicht.
Keine Abbildung von wissenschaftlichen Kontroversen
Keine Angaben liefert der Sprecher außerdem auf die Frage, wie die Redaktion mit wissenschaftlichen Kontroversen umgehen wird. Gerade der Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen wie beispielsweise dem Mammografie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs sind in der Wissenschaft umstritten. Trotzdem empfiehlt das Nationale Gesundheitsportal im Artikel zu Brustkrebs diese Röntgen-Untersuchung. Die Zweifel an der Methode sind überhaupt nicht abgebildet.
Auch Gefahren durch sogenannte alternative Medizin kommen so gut wie nicht vor, dabei zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung [PDF], dass gerade online schlechte oder falsche Informationen über angebliche alternative Behandlungsmöglichkeiten geteilt werden. Eine Suchanfrage auf der Webseite zum Stichwort „Homöopathie“ ergibt lediglich zwei Treffer, die beide keine Auskunft darüber geben, dass sich die evidenzbasiert arbeitenden Wissenschaftler:innen einig sind, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt.
Politische Unabhängigkeit fraglich
Die Redaktion sei kein Bestandteil des Gesundheitsministeriums und verfolge keine politischen Interessen, heißt es auf der Webseite. Dennoch wird die Kontroverse um Homöopathie bislang nicht abgebildet, was die Unabhängigkeit der Redaktion mindestens fraglich erscheinen lässt, da Minister Spahn die Finanzierung von homöopathischen Behandlungen durch einige Krankenkassen unterstützt.
Außerdem gibt das Portal jetzt schon Informationen zu der für 2021 geplanten elektronischen Patientenakte, ohne im Datenschutz-Abschnitt zumindest zu erwähnen, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber den jetzigen Gesetzesentwurf für rechtswidrig hält.
Von einem Gesundheitsportal, das den Anspruch hat, neutral und unabhängig zu sein, könnte man jedoch erwarten, dass auch Kritik am eigenen Minister wiedergegeben wird – gerade mit Blick auf den Schutz sensibler personenbezogener Gesundheitsdaten.
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