Daniel Schlep ist selbstständiger Musiker und Medienkünstler und arbeitet als Medienpädagoge mit Menschen vom Kindergarten- bis zum Seniorenalter. Digitale Werkzeuge waren für ihn schon immer wichtig, um sich kreativ auszutoben. Seit einigen Jahren nutzt er ausschließlich Freie Software für seine Workshops – und das kommt gut an.
netzpolitik.org: Was heißt Medienkompetenz für Sie?
Daniel Schlep: Der Begriff selbst ist leider fürchterlich inflationär genutzt. Für mich heißt das vor allem ein gesundes Basiswissen und Verständnis dafür, was Freie Software ist. Denn für mich ist das der Schlüssel, um Probleme aus Ökonomie, Ökologie und Datenschutz zu lösen, die mit den Mainstream-Konzepten, an die wir uns seit den 80er Jahren klammern, einfach nicht funktionieren.
Ich erlebe immer wieder, dass in Schulen völlig sorglos Zoom, Skype oder Microsoft Teams genutzt werden – obwohl sogar im Schulministerium NRW auf der Internetseite steht, dass beispielsweise Microsoft Office 365 als bedenklich eingestuft und nicht empfohlen wird. Gleichzeitig sind die Schulen voll von Freier Software – aber meistens nur, weil es umsonst ist. Dabei wird aber schnell vergessen, dass der Nutzen von Freier Software darin liegt, dass das ein Gemeingut ist, wodurch Nutzer:innen kreativ werden können.
Genau da setze ich an: Ich gehe in Schulen rein und diskutiere mit den Schüler:innen, was Freie Software eigentlich ist – und wo sie schon genutzt wird, zum Beispiel mit Firefox oder LibreOffice. Wir arbeiten ganz praktisch mit den Geräten und wir schauen an, was es in den Bereichen Büro, Grafik, Video, Musik und Spiele oder Spieleentwicklung so gibt. Wir müssen gar nicht alle Systemadministrator:innen oder Spieleentwickler:innen werden, aber ein Grundverständnis davon entwickeln, was möglich ist.
Beats und virtuelle Bauklötze
netzpolitik.org: Haben Sie ein Beispiel, mit welcher Software Sie da arbeiten?
Daniel Schlep: Am liebsten natürlich im Musik-Bereich, das ist ja mein Steckenpferd. Da gibt es verschiedene Programme. Audacity zum Audioschnitt kennen viele Menschen; das kann aber viel mehr, als die meisten wissen. Ich habe beispielsweise schon mit Kindergartenkindern mit der Rhythmus-Maschine Hydrogen gearbeitet. Das ist erstaunlich, wie schnell die da einfache Beats selbst machen und kreativ werden können.
Außerdem merke ich immer wieder, wie viel Spaß Grundschüler, aber auch ältere Menschen haben, das Spiel SuperTux anzupassen. Oder auch Minetest, was die freie Alternative zu Minecraft ist und auch viel weniger Ressourcen braucht. Ich dachte lange, man kriegt die Kinder nur mit Grafik. Das stimmt aber gar nicht. Auch auf Terminal-Spiele fahren die Jugendlichen total ab.
netzpolitik.org: Kann man denn überhaupt mit Freier Software richtig arbeiten? Insbesondere im Kreativbereich schwören ja viele auf proprietäre Software.
Das ist Quatsch, dass man mit Freier Software nicht kreativ und produktiv sein kann. Ich arbeite seit fünf Jahren ausschließlich damit und ich bin professioneller Künstler. Es gibt vorgefertigte Linux-Betriebssysteme wie AV Linux oder Ubuntu Studio, die die wichtigsten Programme schon installiert haben, wie etwa Gimp für Bildbearbeitung, Krita zum Zeichnen oder Darktable für professionelle Foto-Rohdaten.
Damit kann man die gleichen Effekte erzielen, wie mit proprietärer Software auch. Dafür muss ich aber verstehen, wie die Programme funktionieren. Ich sehe, dass viele Anwendungssoftware mit automatischen Effekten funktioniert – das ist für mich aber so weit weg von Kunst, wie es nur geht. Ein anderer Vorteil an Freier Software ist, dass man die sogar vom USB-Stick starten kann und nicht auf Cloud-Systeme, die permanent Internet erfordern, angewiesen ist.
Material ist zweitrangig, wichtiger ist das Wissen
netzpolitik.org: Wenn das so gut funktioniert, warum läuft das dann nicht überall so?
Daniel Schlep: Am wichtigsten ist für mich dabei die Erkenntnis, dass Material zweitrangig ist. Das Wissen muss im Fokus stehen. Das Verhältnis der Budgets ist aber gerade genau andersrum: Fast alles wird für Hardware und Lizenzen ausgegeben, nur ein geringer Bruchteil fließt in Personal und Ausbildung.
Meine Erfahrung damit ist: Es wird Material abgekippt. Dann heißt es, man sei jetzt digital. Bei den Personen, die das umsetzen sollen, fehlt aber das Wissen. Lehrer:innen werden aber gar nicht richtig dafür geschult, sondern müssen sich selbst versuchen, da reinzuarbeiten – und fühlen sich doch unsicher im Umgang. Als Lösung gelten dann häufig iPads, die viel toller sein sollen. An etlichen Stellen kommt dann aber raus, das iPads für Schulen gar nicht gemacht sind.
netzpolitik.org: Warum das?
Daniel Schlep: Für mich sind die Funktionen dort Spielerei. Apple ist sehr, sehr gut mit seiner Werbung. Gute Rechner kann man bis 20 Jahre nutzen, iPads, aber auch ähnliche Microsoft-Geräte halten oft nur drei bis fünf Jahre. Dann wird der Akku zu schwach oder das Gerät zu langsam. Aus ökonomischer Sicht ist das gerade im öffentlichen Sektor nicht nachvollziehbar.
Diese Geräte bieten selbst nur eingeschränkte Möglichkeiten, eine Dateiverwaltung kennenzulernen. Das ist für mich aber das Minimum-Werkzeug, um überhaupt Kontrolle über den eigenen digitalen Haushalt zu haben. Viele Schüler:innen wissen aber gar nicht, was das ist und wie man damit umgeht. Der Begriff Medienpädagogik wird zwar immer in die Dose iPads reingedrückt, funktioniert aber nicht.
Upcycling in der Schule
netzpolitik.org: Wie könnte man das denn besser machen?
Wenn Geräte nicht wirklich repariert werden können, sind sie auch ökologisch fragwürdig. Spätestens, wenn die Software nicht mehr aktualisiert und dadurch unsicher wird, sind die Geräte reif für den Müll. Im Gegensatz dazu steht in den Schulen angeblich Elektro-Schrott.
Meistens ist das gar nicht kaputt, sondern kann einfach repariert werden. Auch das schaue ich mir gemeinsam mit den Schüler:innen an und wir beschäftigen uns mit den Innereien eines Computers. Vieles können wir upcyclen und wenn wir ein Linux installieren, dann läuft das viel besser auch auf älteren Geräten.
Für echte Kompetenz brauchen wir also Zeit – und die Lehrer:innen brauchen Ruhe, um sich damit beschäftigen zu können und entsprechende Fortbildungen. Aber dafür ist kein Geld da, weil das schon für Hardware ausgegeben wurde. Im Zuge des Digitalpakts kommt jetzt gerade Geld. Das sollten wir aber eigentlich in Wissen investieren, in Personal, in Menschen, in Leute, die vor Ort Dinge umsetzen oder Technik instandhalten.
netzpolitik.org: Vielen Dank für das Gespräch.
Vielen Dank für dieses ermutigende Interview!
Wirklich spannend wäre aber vielleicht ein Streitgespräch – oder ein Anschlussgespräch mit einem Lehrer gewesen. Hier würden sich nämlich viele weitere, tiefgehende Fragen ergeben.
Zum Beispiel: Ja, viele PCs aus der Schule lassen sich sicher upcyclen – aber wer soll das wann machen? Das lässt sich immer leicht von außen als Idee einbringen – aber die Computerfummelei liegt auch bei mir schon einige Jahre zurück und inzwischen habe ich auch andere Dinge zu tun, als am Wochenende SSDs einzubauen und PCs zu spiegeln.
Oder: Ja, Teams etc. sind kritisch zu betrachten und es wird an viele Stellen noch am Datenschutz gearbeitet. Aber diese Tools liefern nunmal Features und Möglichkeiten, die mit freier Software einfach nicht drin ist. In der Praxis ist die Sache oft schwieriger, als aus der ideelen Sicht engagierter Idealisten.
Hallo Jan, freut mich, dass dich der Text ermutigt hat! Ich arbeite gerade noch an weiteren Beiträgen zum gleichen Thema. Damit es nicht versehentlich eine Dissertation wird, habe ich mich dafür entschieden, verschiedene Ansätze in einzelnen Texten abzuarbeiten. Ich habe beispielsweise schon mit einem engagierten Lehrer aus Seelze bei Hannover gesprochen, wo es eher um den Hardware-Aspekt ging. Da war es schon Thema, dass er das aus Engagement macht und es ist klar, dass das auch zuverlässiger finanziert werden muss.
In diesem Interview wollte ich die pädagogische Seite abbilden. Du schreibst, dass kommerzielle Tools mehr Features und Möglichkeiten liefern, als es mit Freier Software möglich wäre. Bei meinen Gesprächen mit vielen unterschiedlichen Menschen kam immer wieder raus, dass das so nicht stimmt. Was fehlt, ist vor allem das Wissen, wie konkret man mit Software und Systemen und Digitalisierung überhaupt umgeht. Wissen, das bei kommerziellen Lösungen eher vorhanden ist, weil diese als Standard gelten. Durch deren gutes Marketing wird ständig Freie Software abgewertet – und genau das finde ich den spannenden Punkt, wo vermutlich auch kein Streitgespräch weiterhelfen kann, sondern nur fundierte Forschung und politische Entscheidungen, die Ressourcen dafür bereitstellen, sich wirklich anzuschauen, was genau gebraucht wird und das dann technisch umzusetzen.
Denn eigentlich ist ja der Punkt: Dass Lehrer:innen komplett alleine gelassen werden, wenn es um Digitalisierung geht, ist fatal. Statt sich zu fragen, was man denn erreichen möchte mit Technik als Werkzeug, wird vor allem Hardware finanziert, die schick aussieht – zumindest habe ich diesen Eindruck in den vergangenen Monaten der Recherche gewonnen. Ich versuche, die Menschen mit funktionierenden Ansätzen sichtbar zu machen – denn die brauchen natürlich die entsprechende Unterstützung, wenn sich ihre Ideen weiter verbreiten sollen. Du bist selbst Lehrer? Würde mich sehr freuen, wenn du deine Erfahrungen teilen magst.
„Ja, viele PCs aus der Schule lassen sich sicher upcyclen – aber wer soll das wann machen?“
Pilotprojekt (Stadt Dortmund): https://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/nachrichtenportal/alle_nachrichten/nachricht.jsp?nid=634324
An unserer Schule haben wir ausreichend Hardware, die entsorgten Geräte aus den Büros großer Firmen sind ein unendlicher Fundus. Oft mussten wir nicht einmal dafür bezahlen.
Wir setzen Linux ein, das setzt einige Kompetenz voraus, aber diese aufzubauen ist eine Investition, die nicht umsonst ist, da man sie wiederverwenden kann.
Interviews wie dieses sind sicherlich eine Hilfestellung zu zeigen, dass andere erfolgreich FLOSS-Software nutzen. Danke!
Die größte Hürde ist die Überzeugungsarbeit, die gegen das Marketing der Anbieter wie Apple, Microsoft, Google oder Facebook kaum ankommt. Es ist schwer zu argumentieren, dass eine eigene Lösung besser ist als zB Facebook, wenn das „nichts kostet“, einfach funktioniert und bunt ist.
Man koennte ja auch zu den grossen Anbietern wie Google und MS gehen mit den Anforderungen an
– Datenschutz & Ueberpruefbarkeit
– Offenen Schnittstellen und Standards
– Governance Model fuer laufenden Service und fortlaufende Weiterentwicklung
– Intellectual Property in oeffentlicher Hand
– Migrationsmoeglichkeit
– und so weiter
Da gaebe es Angebote, die absehbar liefen, und damit Infrastruktur um darauf Schule zu machen und weiter zu entwickeln. Das kann natuerlich keine einzelne Schule, aber das waere ohnehin sinnlos. Die Bundesrepublik Deutschland waere eine handlungs- und verhandlungsfaehige Groessenordnung. Nur haben sich weite Teile von Politik und der sie waehlenden Gesellschaft leider Zunkunfstverweigerung, Gestaltungsblokade und generell dem Primat etablierter lokaler Wirtschaftsinteressen verschrieben.