In unserem Wochenrückblick geht es diesmal um Gerichtsurteile, neue Software und Journalismus – und wer bis zum Ende liest, bekommt auch noch eine Portion Kultur.
BND-Gesetz muss überarbeitet werden
Edward Snowden und der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag haben gezeigt, dass die Überwachung durch unsere Geheimdienste rechtlich nicht zulässig war. In dieser Woche stellte das Bundesverfassungsgericht klar: Die nachträgliche Legalisierung durch das BND-Gesetz war es auch nicht. Denn das BND-Gesetz verstößt gegen Grundrechte: Pressefreiheit und Telekommunikationsgeheimnis gelten nicht nur in Deutschland, deutsche Behörden müssen sich überall daran halten. Das Gesetz muss überarbeitet werden.
Das Urteil zeigt auch, dass strategische Prozessführung funktionieren kann, kommentierte Markus Beckedahl und dankt der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Reporter ohne Grenzen: „Chapeau und gerne mehr!“
Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz entscheidet gerne selbst, was publiziert wird. Für sein Prinzip der „Message Control“ instrumentalisiert er mitunter das Urheberrecht. Meinungsfreiheit ist aber wichtiger, hat jetzt der Oberste Gerichtshof in Österreich im Fall eines retuschierten Bildes von Kanzler Kurz entschieden.
Problematische Polizeiarbeit
Machtmissbrauch gab es auch bei der Potsdamer Polizei: Zwei Mitarbeiter sollen unbefugt auf Informationen in behördlichen Datenbanken zugegriffen haben. Gegen sie läuft deshalb jetzt ein Disziplinarverfahren. Beide waren Mitglied bei Uniter, dem Soldaten-Netzwerk mit engen Verbindungen zur rechtsextremen Prepper-Gruppe Nordkreuz.
Was als rassistische und antisemitische Gewalt in die Kriminalstatistik eingeht, hängt vor allem davon ab, ob Polizist*innen vor Ort das politische Motiv des Täters erkennen und die Ermittlungen deshalb an den Staatsschutz übergeben. Was dabei schief läuft und wie man das besser machen könnte, hat uns ein Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamt erklärt. Er ist dort für die Bekämpfung der Hasskriminalität zuständig.
Alles neu macht der Mai – aber mit viel Vorarbeit
Auch über einige neue Projekte haben wir in der vergangenen Woche berichtet. Wie man gesellschaftliche Diskurse mit maschinellem Lernen nachzeichnen kann, damit hat sich der Entwickler Johannes Filter beschäftigt. Im Rahmen des Prototype Fund hat er an einer Software gearbeitet, die den Bedeutungswandel von Wörtern zeigt. Sie soll die Grundlage für viele weitere Projekte bieten, sagte er uns im Interview.
In Berlin entwickelt ein Software-Anbieter eine neue App, die soziale Arbeit digitalisieren soll. Denn in der Coronakrise ist es für Street Worker schwerer, Obdachlose zu unterstützen. Um deren Bedürfnisse besser erfassen zu können, arbeiten die Sozialarbeiter:innen jetzt gemeinsam mit Programmierer:innen an einer digitalen Anwendung. Wir haben nachgefragt, wie das funktionieren soll.
Außerdem hat Wikimedia einen längeren Strategieprozess abgeschlossen mit Empfehlungen für das weltweite Wissensprojekt bis 2030. Wir haben mit der Projektleiterin Nicole Ebber über ein mögliches globales Leitungsgremium gesprochen.
Kämpfen für den Datenschutz
Das Privacy Shield regelt den Datenverkehr zwischen der europäischen Union und den USA. Darin wird das Datenschutzniveau der USA als angemessen betrachtet, um persönliche Daten durch Firmen wie Facebook oder Google zu übertragen. Dafür will die USA die Massenüberwachung europäischer Nutzer:innen eingrenzen. Gegen diese Vereinbarung zwischen EU und USA klagt jetzt der Jurist Max Schrems – und die EU-Kommission scheint damit zu rechnen, dass sie vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern wird, denn sie schaut sich bereits nach Alternativen um.
Die Vorsitzende des Europäischen Datenschutzausschusses Andrea Jelinek sieht besorgt nach Ungarn und fordert Antworten von der Regierung. Die hat nämlich angekündigt, in der Coronakrise dort die Datenschutzgrundverordnung teilweise auszusetzen.
Journalismus und Kultur in der Coronakrise
Nachdem vergangene Woche mit dem Zweiten Pandemieschutzgesetz beschlossen wurde, dass die Gesundheitsbehörden persönliche Daten von allen Menschen bekommen sollen, die auf das Coronavirus getestet wurden, fragten diese Woche 45 Datenjournalist:innen in einem gemeinsamen Brief, welche Daten denn beim Robert-Koch-Institut vorliegen. Bisher stellt das RKI die Zahlen zum Corona-Virus vor allem als Texte und Grafiken zur Verfügung, für ihre Arbeit brauchen die Journalist:innen aber tagesaktuelle und maschinenlesbare Daten. Sie wünschen sich mehr Kommunikation mit dem Institut und bieten ihre Kooperation an. Wir haben das Schreiben veröffentlicht.
Die Corona-Pandemie zeigt uns wieder einmal, wie wichtig Rundfunk und Kulturwirtschaft sind. Deshalb müssen die bei einer Neuvergabe von Funkfrequenzen geschützt werden, schreiben vier Bundestagsabgeordnete in einem parteiübergreifenden Gastbeitrag. Denn wenn in den kommenden Jahren die Rechte für Frequenzblöcke frei werden, hoffen vor allem Mobilfunkbetreiber, etwas davon abzubekommen.
Bei der re:publica im digitalen Exil hat Science-Fiction-Autor und Aktivist Cory Doctorow darüber gesprochen, warum wir nicht nur mitten in der Coronakrise, sondern auch noch in einer anderen Krise stecken, nämlich der des Vertrauens in Institutionen. Er erklärt, wie das mit der Monopolstellung der Tech-Konzerne zusammenhängt und was man dagegen tun kann. Wir haben die wichtigsten Aussagen seines Vortrags zusammengefasst.
Und damit euch ein schönes Wochenende! Musik und mehr gibts übrigens bis Sonntag bei der HomeLounge des Digital verteilten Online-Chaos: „Tschunk in Tschogginghosen“.
https://mobile.twitter.com/c_drosten/status/1264934434756755456
Für einen Moment lang kam mir in den Sinn, einfach einen Peer-Review-Filter für die Bildzeitung zu fordern.