Software Heritage – Erhalt eines Kulturerbes

Das jüngst vorgestellte Projekt „Software Heritage“ soll öffentlich verfügbare Software sammeln, erhalten und teilen. Damit will es sicherstellen, dass Software als Teil unseres Kulturerbes für die kommenden Generationen erhalten bleibt.

Die Software Heritage erstellt ein Archiv unseres Kulturerbes, das sich zunehmend digitalisiert. CC BY-SA 3.0, via wikimedia/Paulis

Die vor wenigen Tagen vorgestellte Initiative Software Heritage verfolgt das Ziel, Software langfristig zu erhalten. Bereits jetzt umfasst das Archiv mehr als 2,6 Milliarden Dateien, mehr als 590 Millionen Commits und mehr als 22,7 Millionen Projekte. Warum ist das wichtig?

Dies ist ein Gastbeitrag von Björn Schießle. Björn ist stellvertretender Koordinator des deutschen Teams der Free Software Foundation Europe.

In einer zunehmend digitalen Gesellschaft spielt Software eine zentrale Rolle in unserem alltäglichen Leben, in der Wirtschaft und in der Kunst. Ein Großteil unseres Wissens ist heute in Software abgebildet. Dies macht Software zu einem Kulturgut, das wir als solches für die nachfolgenden Generationen erhalten sollten. Doch dazu muss die Software entsprechend aufbereitet und archiviert werden. Das veranschaulicht auch die wichtige Rolle von Freier Software. Erst dadurch, dass Freie Software im Quellcode verfügbar ist und unter anderem frei kopiert werden kann, wird ein solches Archiv erst möglich.

Erbe geht unwiderruflich verloren

Die Digitalisierung unseres Lebens und die daraus entstandenen digitalen Kulturgüter sind noch relativ jung. Dennoch gibt es schon viele Fälle, in denen wir bedeutsame Bestandteile unseres digitalen kulturellen Erbes unwiderruflich verloren haben. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert ein Artikel auf BoingBoing: So entwickelte Gary Kildall in den frühen Siebzigern das erste Computerspiel auf dem ersten kommerziell verfügbaren Mikroprozessor von Intel. Der Computerchip ist gut dokumentiert und der Nachwelt bis heute erhalten geblieben. Doch was geschah mit dem Spiel? Kildall verstarb 1994, und mit ihm verschwand auch das Spiel, zusammen mit den meisten anderen Programmen, die Kildall geschrieben hat. Dem Autor war es nicht einmal mehr möglich, den Namen des besagten Spiels zu recherchieren.

Was hätten wir von der Arbeit eines der klügsten Köpfe der zeitgenössischen Computergeschichte lernen können? Wie viele andere wertvolle Programme sind bereits unwiderruflich verschwunden? Zufällig überschrieben, aus Versehen gelöscht oder einfach auf einer alten Diskette in einer staubigen Ecke gelagert, bis die Magnetschicht zu schwach war, um den Inhalt wiederzugeben? Wir werden es nie erfahren.

Die meiste Software verschwindet

Dies ist kein Einzelfall, ganz im Gegenteil. Genau das passiert mit der meisten Software früher oder später. Besonders proprietäre Software wird nur so lange erhalten, wie es zahlende Kunden gibt oder man sie anderweitig gewinnbringend verwerten kann. Ist dies nicht mehr der Fall oder wird ein Projekt eingestellt, ist die Software oft nach kurzer Zeit nicht mehr aufzufinden.

Auch Freie Software ist davor nicht geschützt. Diese wird oft in kleinen Gruppen, in vielen Fällen sogar von Einzelpersonen entwickelt, oft nur mit begrenzten Mitteln. Ändert sich etwas an den Lebensumständen der Entwicklerin, wenn sie beispielsweise die Universität verlässt und ein reguläres Arbeitsverhältnis beginnt, werden diese Projekte oft eingestellt und verschwinden von der Bildfläche.

Aus diesem Grund ist Software Heritage eine so wichtige Initiative. Sie erstellt ein Archiv unseres digitalen Kulturerbes, von einzelnen Code-Stücken bis hin zu kompletten Programmen. Darüber hinaus werden die Daten so aufbereitet, dass sie für Softwareentwickler, Wissenschaftler, Lehrer und Endanwender gleichermaßen wertvoll sind. Dabei achtet das Projekt darauf, dass der Quellcode wiederverwendet werden kann. Entwickler sollen in die Lage versetzt werden, ähnliche Problemlösungen zu entdecken und verschiedene Ansätze miteinander zu vergleichen – während Wissenschaftler die Möglichkeit haben, die Entwicklung des Quellcodes über viele Jahre hinweg zu studieren.

Damit erfüllt die Initiative eine Schlüsselrolle zum Erhalt eines viel zu lange unterschätzen Kulturgutes. Software ist ein entscheidender Faktor für unseren technologischen und kulturellen Fortschritt. Software Heritage sorgt dafür, dass Programme von heute auch in der Zukunft für jeden verfügbar sein werden.

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6 Ergänzungen

  1. Also ich trauere ja immer noch der ebar von Pixelpark nach… Eine virtuelle Online-Bar zum Chatten zu einer Zeit, als icq auch gerade erst unter uns Studenten bekannt wurde. Da habe ich sogar mal nen Geburtstag gefeiert, ein rauschendes Fest :-))))

  2. Artefakte der Alltagskultur hatten es immer schwer, die Zeit ihrer aktiven Nutzung zu überdauern. Das meiste davon verschwindet über kurz oder lang aus dem kulturellen Gedächtnis der Menschheit. Die digitale Alltagskultur wird hier keine Ausnahme machen. Das ist aber kein Grund, in Kulturpessimismus zu verfallen. Die wesentlichen digitalen Kulturgüter unserer Zeit werden erhalten bleiben. Hier darf man ganz auf einen sich selbst regulierenden kulturellen Mechanismus vertrauen, den der Historiker Jörn Rüsen den „Filter der Bedeutung“ nennt: Erinnert wird, was wichtig und bedeutend ist, das andere rinnt im Lauf der Zeit durch den Filter der Bedeutung und wird vergessen. Das Projekt „Software Heritage“ ist ein schönes Beispiel für die Wirksamkeit dieses kulturellen Mechanismus. Im Übrigen ist das Projekt alles andere als ein singuläres Phänomen. Eine aktive Retro-Szene sammelt fleißig historische Soft- und Hardware. Auch bei archive.org finden sich kleinere historische Software-Sammlungen, jüngst ist der Aufbau einer Malware-Sammlung für die 1980er und 1990er Jahre verkündet worden („The Malware Museum“). Ein Desiderat ist das systematische Sammeln. Dass „Software Heritage“ diese Lücke schließen will, ist außerordentlich begrüßenswert.

  3. Herr Lindemann hat in seinem Kommentar eine Art double bind (sich widersprechende Botschaften) eingebaut. Er lobt sowohl das Vergessen als auch das Sammeln und hebt letztendlich besonders die „Malware“ hervor. Bibliotheken sind hingegen dafür zu preisen, sehr genau zu schauen, was dort Eingang findet.

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