Reform der ePrivacy-Richtlinie: Die nächste Lobbyschlacht um unsere Privatsphäre hat begonnen

Eine Konsultation der EU-Kommission zeigt: Beim Schutz der Privatsphäre stehen Bürger und Unternehmen sich fundamental gegenüber. Welche Interessen sich bei einer Reform des Datenschutzes in der elektronischen Kommunikation durchsetzen, wird erheblich von Digitalkommissar Günther Oettinger abhängen.

Wieder mal: Bei der Reform der ePrivacy-Richtlinie geht es ums Grundsätzliche. Bild: EU-Kommission

Im Rahmen des Großprojekts der EU-Kommission, einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt für Europa zu schaffen, steht die Reform eines der unsichtbaren Grundpfeiler unserer digitalen Welt an: Die Richtlinie über den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation, auch ePrivacy-Richtlinie genannt, soll überarbeitet und an die Erfordernisse unserer Zeit angepasst werden. Seit 2002 ergänzt diese Richtlinie die EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 und soll die Sicherheit und Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation gewährleisten. Sie regelt Themen wie die Verwendung von Cookies durch Webanbieter, den Umgang mit Metadaten oder den Schutz vor Spam.

Nachdem in einem langwierigen Prozess zunächst die neue Datenschutzgrundverordnung geschaffen wurde, geht es nun um den konkreten Bereich der elektronischen Kommunikation. Von April bis Juli hatte die Kommission in einer öffentlichen Konsultation um Meinungen gebeten und gestern erste Ergebnisse veröffentlicht. Bereits vorher hatten unterschiedliche öffentliche Positionierungen von Datenschutzbehörden und NGOs auf der einen sowie Unternehmen und Handelsverbänden auf der anderen Seite ahnen lassen, dass die Reform der Richtlinie das nächste große Lobbyschlachtfeld im Kampf um Gewinne und Privatsphäre im digitalen Europa wird.

Überraschung: Menschen wollen mehr Schutz der Privatsphäre, Unternehmen weniger

Insgesamt haben 421 Personen und Organisationen den Fragebogen der Kommission beantwortet. Darunter sind 186 Antworten aus der Industrie, etwa von einzelnen Unternehmen oder Verbänden. 162 Einzelpersonen und 33 zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbraucherschutzorganisationen haben teilgenommen. Außerdem 40 öffentliche Stellen, darunter Datenschutzbehörden und Regierungsstellen.

Kurz gesagt: Deutlicher könnten die unterschiedlichen Perspektiven auf den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation kaum zutage treten. Während 83 Prozent der teilnehmenden Bürger und zivilgesellschaftlichen Organisationen sich für spezielle Regeln für den Bereich der elektronischen Kommunikation aussprechen und 73 Prozent dies auch für Verbindungs- und Standortdaten fordern, sind es auf Seiten der Industrie lediglich 31 bzw. 26 Prozent. Zudem sprechen sich „beinahe alle“ der öffentlichen Stellen, die teilgenommen haben, für spezielle Regeln in diesen Bereichen aus.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Befragung zur wünschenswerten Reichweite der neuen Datenschutzregelung: 93 Prozent der öffentlichen Stellen und 76 Prozent der Bürger und NGOs sind dafür, dass auch „neue“ Kommunikationsdienste wie Messenger oder IP-Telefonie mit reguliert werden sollten. In der Industrie sind es lediglich 43 Prozent – 42 Prozent sprechen sich explizit dagegen aus.

„Die vorläufigen Ergebnisse der Konsultation zeigen die Sorge der Menschen um den Schutz ihrer Privatsphäre und machen deutlich, wie dringend wir ein Upgrade der e-Privacy-Richtlinie brauchen“, kommentiert Estelle Masse von der Digital-Rights-NGO Access Now die ersten Ergebnisse.

Massiver Lobbyaufwand der Internetindustrie

Besonders krasse Unterschiede zwischen Industrie und Bürgern werden auch beim Thema Werbung deutlich. Während sich drei Viertel der Unternehmen dafür aussprachen, dass es Anbietern weiter gestattet sein sollte, Nutzer auszuschließen, wenn diese Identifikatoren wie zum Beispiel Cookies blockieren, fordern 77 Prozent der Individuen und NGOs, dies zu verbieten. Darüber hinaus sind etwa 90 Prozent der Bürger und zivilgesellschaftlichen Organisationen dafür, dass Direktmarketing-Anrufe nur nach einem bewussten Opt-In erlaubt sein sollten, während knapp drei Viertel der Unternehmen eine Opt-Out-Lösung bevorzugen.

Joe McNamee von European Digital Rights (EDRi) kommentiert gegenüber netzpolitik.org:

Im Vergleich zum Lobbyaufwand bei der Datenschutzgrundverordnung können wir feststellen, dass Internetfirmen jetzt gut darauf vorbereitet sind, viel Geld zu investieren um unser Recht auf Privatsphäre einzuschränken. Es geht hier um grundlegende demokratische Werte: Unsere Kommunikation- und Meinungsfreiheit sind bedroht.

Die Koalition der Richtlinien-Gegner umfasst Schwergewichte wie Apple, Microsoft, Blackberry, Netflix, eBay, Facebook und Google. In einer Analyse des Lobbyverhaltens macht McNamee darauf aufmerksam, dass es jedoch nicht nur die üblichen Plattformbetreiber und Diensteanbieter sind, die ihre Möglichkeiten zum Datensammeln verteidigen wollen, sondern dass auch klassische Telekommunikationsunternehmen und Internetzugangsanbieter ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. So sind unter anderem auch T-Mobile, Telefonica und Vodafone mit von der Lobby-Partie.:

Telekommunikationsanbieter schauen auf all die Informationen und die großen Gewinne, die Onlineunternehmen damit erwirtschaften. Sie sehen den Schutz, den die ePrivacy Richtlinie ihren eigenen Kunden gewährt und beschweren sich, dass das unfair ist. Sie wollen auch Geld mit Informationen machen – sie wissen schließlich, wo du dich aufhältst, kennen deine Bewegungen, deine Freunde und die Unternehmen, mit denen du kommunizierst.

Datenschutzbehörden und NGOs sehen Reform als Chance für besseren Schutz der Privatsphäre

In einer ausführlichen Stellungnahme haben sich im Juli die Datenschutzbehörden der EU-Mitgliedsstatten, die in der Artikel-29-Datenschutzgruppe zusammenarbeiten, zur Reform der Richtlinie geäußert. Sie forderten unter anderem eine Ausweitung des Geltungsbereichs der ePrivacy-Regulierung auf Kommunikationsformen wie Messenger und IP-Telefonie, einen besseren Schutz vor Tracking, ein Ende des take-it-or-leave-Prinzips bei der Einwilligung zur Datenverarbeitung und eine Stärkung des Rechts auf verschlüsselte Kommunikation.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch der europäische Datenschutzbeauftragte Giovanni Buttarelli in seinem Statement. Auch er fordert eine Modernisierung und Ausweitung der Richtlinie:

Die Vertraulichkeit der Online-Kommunikation von Individuen und Unternehmen ist grundlegend für das Funktionieren moderner Gesellschaften und Wirtschaften. Die EU-weiten Regeln zum Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation müssen deshalb die Welt von heute widerspiegeln. Indem wir das hohe Schutzniveau der aktuellen ePrivacy-Richtlinie erhalten und nicht schwächen und indem wir bestimmte Aspekte mit der neuen Datenschutzgrundverordnung in Einklang bringen, kann die EU die Vertraulichkeit und Integrität unserer elektronischen Kommunikation stärken.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie EDRi, Privacy International und Acces Now haben ein umfassendes Empfehlungspapier aus Verbraucherschutzperspektive vorgelegt. Für Access fasst Estelle Masse das Anliegen wie folgt zusammen:

Die ePrivacy Richtlinie wird oft als „Cookie-Richtlinie“ beschrieben, aber in Wirklichkeit geht es um mehr. Sie schafft eine Gesetzesgrundlage, die darauf abzielt, unser Recht auf Privatsphäre und auf die Vertraulichkeit unserer Kommunikation zu schützen, die Verschlüsselung fördert, die Tracking und die Sammlung von Metadaten beschränkt und vieles mehr. In Anbetracht der zunehmenden Verbreitung von Smartphones und der schnellen Fortentwicklung des Internets der Dinge ist die ePrivacy-Richtlinie heute relevanter und notwendiger als je zuvor.

Viel hängt jetzt von Oettinger ab

Yeah, bald gibt's Urlaub mit Netflix! (CC BY-NC-ND 2.0 by European Parliament/flickr)
Günther Oettiner wird sich entscheiden müssen. Foto: CC BY-NC-ND 2.0 Europäisches Parlament

Im Herbst will die Kommission detailliertere Ergebnisse der Konsultation und ihren Vorschlag für eine Reform vorstellen. Ob und in wie weit dies ein Projekt wird, bei dem die Interessen und der Schutz europäischer Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund stehen, wird in entscheidendem Maße vom deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger abhängen. Die Schaffung des digitalen Binnenmarktes ist das zentrale Projekt seiner Amtszeit als Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.

Auch wenn es bisher so aussieht, als würde Oettinger sich vor allem als Kommissar für die digitale Wirtschaft verstehen und er sich anfällig für Industrielobbyismus gezeigt hat: Der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs betonte jedenfalls zu Anfang seiner Amtszeit noch, dass auch ihm Datenschutz wichtig sei.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

17 Ergänzungen

  1. Lobenswertes Engagement. Aber wo genau hört Privacy auf? Verteidigt ihr auch Privacy, wenn es um Rassisten, Nationalisten, Neo-Nazis, Hate Speech und dergleichen geht? Oder nur tut ihr das nur dann, wenn ihr dem Gesagten auch zustimmt?

    Konkreter: glaubt ihr, Meinungsfreiheit steht auch jenen zu, die nicht eure Gesinnung teilen?

    1. Steht Meinungsfreiheit jedem zu? Steht Privatsphäre jedem zu? Steht körperliche Unversehrtheit jedem zu? Steht Leben jedem zu? Ich hoffe, die Frage war nur ein radikaler Scherz.

    2. elle … wo möchtest du die Grenze ziehen?
      Dort wo es sich die Politik wünscht?
      Nun, das sähe dann so aus, generelle strafrechtliche Immunität für jeden Bürger ab 50000€ Einkommen im Jahr … wenn du drunter bist, besteht die Möglichkeit, dich frei zu Kaufen!
      … kannst du es nicht, so wird dich die volle Härte des Gesetzes treffen!
      … es sei denn, du gehörst einer dem VS unterstehenden Terrororganisation an, dann hättest du selbstverständlich auch politische Protektion!

      1. Ups … eine Null zu wenig!
        … nicht 50000€ sondern 500000€!
        … Kriminalität muss sich auch lohnen … dürfen!

        1. @Habo
          „… Kriminalität muss sich auch lohnen … dürfen!“
          Erinnert mich an den alten CDU Spruch,welches auch von der FDP verwendet wurde.
          „Leistung muss sich wieder lohnen“
          Die Leistungen einger dieser Parteigrößen waren in deinem genannten Sektor.

  2. Ich bin müde von all dem Lobbydreck! Mein privates Leben geht Firmen nichts an, das ist zu respektieren! Was soll immer der Datenhunger, ist es den Aufwand, den Ärger, die Kosten und die negative Reaonanz überhaupt wert?! Wieso nicht mal das pervertierte Geschäftsmodell umdrehen, so wie z.B Posteo oder Startpage das macht?

  3. Wo ist Frau Reda? Ach stimmt als Lobbyistin der Digital Industrie wäre es wenig glaubhaft nun plötzlich neoliberealer Denke entgegenwirken zu wollen. Dann mal lieber ohne jeden technischen Sachverstand und Führerschein in den Dieselgate Ausschuss. Ein Wunder das die Bürger wenig Vertrauen in die EU Institutionen haben ? Nicht wirklich. Das ganze als erkennbare Beute von Lobbyisten und deren politischen Erfüllungsgehilfinnem.

  4. Zitat: „Viel hängt jetzt von Oettinger ab“

    … ouh ja … welche der Lobbyorganisationen bietet den lukrativsten Berater-/Vorstandsposten an?
    Wir dürfen gespannt sein, welcher „Empfehlung“ er folgen wird!
    … der Bürger kann ihm seine Zukunft nicht finanzieren, also wird er sich nicht für den Bürger entscheiden!

    1. @Habo
      Ich hoffe, dass du dieses Wochenende nicht wieder so harmlos schreibst.
      Du muss noch wirrer und aggressiver schreiben. Und vor allem noch viel mehr.
      Deine Texte sind noch viel zu lesbar, und vor allem zu durchsichtig. Das schadet deiner Agenda. Fang doch endlich an, so richtig zu nerven.

      1. Bitte Habo nicht verscheuchen. Ein noch besseres Beispiel des klassischen NP Leser wird man nicht finden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.