#netzrückblick: Gefahr gebannt – vorerst keine Einschränkung der Panoramafreiheit

campact via flickr (CC BY-NC 2.0)

In der EU entbrannte in diesem Jahr eine Debatte über die Panoramafreiheit, also das Recht, Bilder von Gebäuden oder Kunst des öffentlichen Raumes zu verbreiten, die urheberrechtlich geschützt sind. Nachdem der EU-Rechtsausschuss dieses Recht beschneiden wollte, stimmte das EU-Parlament (EP) letztlich gegen eine Einschränkung.

Statt eines Jahresrückblicks in Buchform gibt es dieses Jahr jeden Tag im Dezember einen Artikel als Rückblick auf die netzpolitischen Ereignisse des Jahres. Das ist der 21. Beitrag in dieser Reihe. netzpolitik.org finanziert sich über Spenden. Wenn euch unsere Berichterstattung in diesem Jahr gefallen hat, freuen wir uns über ein kleines Weihnachtsgeschenk für unseren Blog.

Vor allem im Bezug auf die Verbreitung freien Wissens war die Erleichterung über den Beschluss im EP groß. So kommentiert Christian Rickerts, Vorstand von Wikimedia Deutschland, gegenüber netzpolitik.org:

Gerade für Projekte wie Wikimedia Commons ist es grundlegend, sich bei Aufnahmen des öffentlichen Raumes frei und rechtssicher bewegen zu können. Wir haben daher die deutschsprachige Wikipedia-Community bei der Petition gegen die Einschränkung der Panoramafreiheit unterstützt. Ergänzend dazu haben wir die deutschen Europaabgeordneten angeschrieben und die Notwendigkeit der Panoramafreiheit unterstrichen.

Was war geschehen?

Die deutsche Piratenabgeordnete Julia Reda hatte dem Rechtsausschuss einen Initiativbericht über die Umsetzung der EU-Urheberrechts-Harmonisierungsrichtlinie (InfoSoc-Richtlinie) vorgelegt, der am Ende nach einigen Bearbeitungen als Reda-Bericht bekannt werden sollte. Darin schlug Reda im Bezug auf die Panoramafreiheit vor,

[…] sicherzustellen, dass die Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an öffentlichen Orten platziert sind, gestattet ist.

Im Rahmen des parlamentarischen Prozesses diskutierte zunächst der EU-Rechtsausschuss ihren Entwurf. Dort brachte der französische Europaabgeordnete Jean-Marie Cavada einen Änderungsantrag (Nr. 421) ein, der vorsah,

[…] dass die gewerbliche Nutzung von Fotografien, Videomaterial oder anderen Abbildungen von Werken, die dauerhaft an physischen öffentlichen Orten platziert sind, immer an die vorherige Einwilligung der Urheber oder sonstigen Bevollmächtigten geknüpft sein sollte.

Der Ausschuss hat diese Passage in den Bericht aufgenommen und zur Abstimmung an das EP gegeben. Nach zahlreichen Protesten fand diese Änderung dort letzten Endes jedoch keine Mehrheit – nur 40 Abgeordnete sprachen sich für die Einschränkung der Panoramafreiheit aus. Allerdings lehnten die Parlamentarier auch einen Antrag ab, der die Panoramafreiheit explizit EU-weit gewährleisten würde. Somit blieb die Panoramafreiheit beim Beschluss des Reda-Berichts (unsere Analyse) außen vor, es gelten bis auf Weiteres die nationalen Regelungen.

Reaktionen aus der EU-Politik

public domain
Die Piratin Julia Reda – hier glücklich – war mit der Abstimmung des Rechtsausschusses zur Panoramafreiheit nicht einverstanden.

Julia Reda warnte im Vorfeld der Abstimmung vor einer Aufhebung der Panoramafreiheit – auch versuchte sie sich an einer Erklärung, warum es im Ausschuss überhaupt zur Annahme von Cavadas Vorschlag kommen konnte:

Bei der Abstimmung dachten die meisten Abgeordneten etwa an Postkartenhersteller, die auf dem Rücken der künstlerischen Werke anderer Geld scheffeln. Sie haben einen fundamentalen Wandel der letzten Jahrzehnte noch nicht vollständig begriffen: Heutzutage […] hält man Momente in Bildern fest – die häufig Elemente von kreativen Werken Anderer beinhalten –, indem man sie mithilfe meist kommerzieller Dienste ins weltweite Netz stellt.

In der Plenardebatte gab sogar der EU-Kommissar Günther Oettinger eine Entwarnung, was mögliche Absichten der Kommission anbelangt – wenn auch mit einer denkbar schlechten Begründung:

Die Kommission hat nicht vor, die Panoramafreiheit einzuschränken. […] Was man mit dem Auge als Bürger auf öffentlichen Plätzen und Straßen in Europa sehen darf, sollte man auch mit der Kamera fotografieren dürfen. Ich mache zwischen dem Auge und der Speicherung des Auges durch Kamera und Bilder keinen Unterschied.

Gegenwehr aus der Netzgemeinde

Auch wenn Oettinger das anfängliche Durchwinken des Änderungsantrags zur Panoramafreiheit nachträglich als „Missverständnis im Fachausschuss“ abtun sollte, war die Netzgemeinde alarmiert: Vor allem innerhalb der Wikimedia-Gemeinde war die Aufregung groß und die Sorge berechtigt: Cavada wollte zwar explizit die „gewerbliche“ Nutzung einschränken, dies hätte die freie, nicht-kommerzielle Enzyklopädie Wikipedia trotzdem betroffen: Dort dürfen nur uneingeschränkt auch kommerziell nutzbare Bilder eingestellt werden, damit jede*r darauf zurückgreifen und zu ihrer Verbreitung beitragen darf, auch Unternehmen. Der freie Bildschatz hat auch einen hohen monetären Wert, wie jüngere Schätzungen ergeben.

Nach einer entsprechenden Umfrage in der Wikipedia-Community entschlossen sich die Mitglieder dazu, einen Offenen Brief gegen die Einschränkung der Panoramafreiheit zu initiieren, den über 4.200 Wikipedia-Autor*innen unterzeichneten. Eine begleitende Petition erhielt über 550.000 Unterschriften. Der großen Öffentlichkeitswirkung dieser Aktionen ist es sicher auch zu verdanken, dass das EP schließlich gegen eine Einschränkung der Panoramafreiheit gestimmt hat.

Interessant wird es im kommenden Jahr, wenn die EU-Kommission weiter am EU-Urheberrecht herumdoktern wird. Wir sind gespannt – und die Wikimedia Foundation hat vorsorglich ein eigenes Public-Policy-Portal geschaffen, das die Urheberrechtsreform als eigenes Themenfeld ausweist.

Welche Regelungen gelten nun?

Nachdem die Panoramafreiheit im EP-Beschluss des Reda-Berichts kein Thema mehr war, gelten weiterhin die nationalen Regelungen. Denn nach der InfoSoc-Richtlinie, um die sich der Reda-Bericht dreht, steht es den EU-Staaten frei, eine entsprechende Regelung zu treffen. In den meisten EU-Staaten ist die Panoramafreiheit so auch gesetzlich verankert (siehe die untenstehende Karte), etwa in Deutschland (§ 59 des Urheberrechtsgesetzes) oder Großbritannien. In Frankreich hingegen gibt es keine vergleichbare Regelung.

Übersicht: Panoramafreiheit in Europa (CC BY-SA 3.0 by ).
Übersicht: Panoramafreiheit in Europa (CC BY-SA 3.0 by Maximilian Dörrbecker).

Übrigens: Was die Wikimedia selbst beim Kampf um die Panoramafreiheit gelernt hat, hat Dimitar Dimitrov auf unserer „Das ist netzpolitik“-Konferenz erzählt.

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