BitKom/Böll: Netzneutralität

Im Rahmen der von der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit BITKOM veranstalteten Tagung „netz:regeln – Chancen und Risiken künftiger Netzregulierung“ gab es heute zwei Panele zur Netzneutralität.

Der Titel verrät schon vieles: „künftige Netzregulierung“ impliziert ja schon dass nicht zur Debatte steht ob, sondern nur noch wie reguliert werden soll – und so verliefen dann auch die Debatten zur Netzneutralität.

Das BitKom-Panel

Im ersten Panel saßen Nikolaus Lindner (Ebay), Thomas Jarzombek (CDU, #eidg) und Jan Krancke (Deutsche Telekom AG). Vertreter der Kunden (oder ‚Bürgerrechtler‘, wie Jarzombek sie nannte) suchte man vergebens, und so wurde (wie man es von der Netzneutralitätsdebatte kennt) ausschließlich vom Internet als Infrastruktur für das Anbieten kommerzieller Dienste gesprochen.

Von Seiten der Telekom konnte unwidersprochen vom zukünftig dank unterschiedlicher Qualitätsklassen noch besseren Internet fabuliert werden. Tatsächlich blieb sogar die irrwitzige Behauptung, Qualitätsklassen würden Innovation und Diversifizierung fördern, unwidersprochen. Davon ermutigt holte Krancke aus zum apokalyptischen Szenario: „Wenn das so weiter geht, führt es zum unkontrollierten Zustand – keiner weiß was passiert wenn die Server voll laufen und das Netz zu ist…“ Erschreckenderweise blieb das Publikum ruhig statt in hysterisches Lachen auszubrechen. Lindner nutzte die Vorlage und fragte mit sprichwörtlich journalistischer Schärfe den Telekom-Vertreter, ob denn die Telekom auch ausreichend in den Netzausbau investiere. Es war ein Trauerspiel vorhersehbaren Ausgangs.

Das Boell-Panel

Die ‚Position der Nutzer und Verbraucher‘ kam im zweiten Panel zum Zuge. Dort saßen Iris Henseler-Unger (Bundesnetzagentur), Lutz Donnerhacke (AK Zensur) und Dean Ceulic (eco). Ceulic griff die ökonomische Interpretation direkt wieder auf, forderte eine Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft und lobte die niedrigen Markteintrittsbarrieren des Internets.

Donnerhacke lobte den Verizon/Google-Deal und entschuldigte das Ausschließen des Mobilfunkbereiches, der seiner Auffassung nach einfach nur ausgelassen wurde, weil man nicht die Zeit dazu gehabt habe. Dumpingpreise und Flatrates bezeichnete er als fehlgeschlagene Geschäftsmodelle, die nun dazu geführt hätten, dass Netzanbieter Dienste einschränken wollen, nur um für die Wiederherstellung des Ursprungszustands mehr Geld zu verlangen. Zumindest das war eine treffende Analyse der Situation, die überhaupt dazu geführt hat dass Netzneutralität bzw. ihre Einschränkung überhaupt plötzlich zur Debatte stehen.

Kapazitäten müsse man irgendwie managen können – da waren sich Henseler-Unger und Donnerhacke einig. Henseler-Unger schlug objektive, nachvollziehbare Kriterien dafür vor und nahm als Beispiel den 2-Line-Ansatz, bei dem eine Leitung für Verbindungen hoher Qualität und eine für nichtdiskriminierte zur Verfügung gestellt werden (Internet, Schminternet). Donnerhacke schlug das on-demand-Zubuchen höherer Bandbreite vor: Man hat eine Grundversorgung von 5-10 Mbit, höhere Bandbreite für begrenzte Zeiträume kann gegen Aufpreis beim Provider hinzugebucht werden.

Leider hörte man auch bei diesem zweiten Panel die ganze Zeit nur „Quality of Service, Wettbewerb, Innovation, Marktfreiheit, Dienste, Dienste, Dienste, freier und fairer Wettbewerb.“ Die Debatte zur Netzneutralität ist natürlich eine kommerzielle, es geht um die Zementierung von Dienstmodellen.

Nichtsdestotrotz müssen die Techniken zum „Netzwerkmanagement“ per definitionem überwachen, es geht nicht anders. Dabei ist es egal, ob man die Diskriminierung am Anbieter selbst oder am Inhalt festmacht. Das Internet ist aber nicht nur euer feiner, freier Markt. Es ist viel mehr. Es ist ein einigermaßen dezentrales Kommunikationsmedium. Dass es in der Debatte deshalb um Meinungs- und Kommunikationsfreiheit geht, und wie ungeheuerlich vor diesem Hintergrund die Idee des sog. „Managements“ ist, wurde nicht erwähnt.

Vielleicht beim nächsten Mal, wenn die Böll-Stiftung nicht ausgerechnet mit BitKom eine Veranstaltung macht.

11 Ergänzungen

  1. Ich habe mich wohl mißverständlich ausgedrückt. Die völlige Unantastbarkeit der Datenpakete ist Fiktion, Netzmanagement ist üblich und nötig. Die ganze Debatte in Deutschland basiert darauf, daß maximale Bandbreiten zum minimalen Flatpreisen als Kundenlockangot schlicht am Einmaleins der Physik scheitert.

    Mein Bandbreitenvorschlag nutzt die Endkundenbandbreite dann, wenn sie gebraucht wird. Und es ist lukrativ sie bereitzustellen. Die gebuchten Bandbreiten sind meßbar (zum nächsten Provider).

    Der Verizon-Google Deal ist nur der Aufhänger der US Debatte. Er ist inhaltlich das Gegenteil der verbreiteten Hysterie.

  2. @Lutz

    Wie soll das (dein Vorschlag) im Mobilfunk dargestellt werden? Feste Datenrate ist eher schwierig, zusätzliche Datenrate gibt’s nur auf Kosten der anderen Teilnehmer.

  3. Dass es in der Debatte deshalb um Meinungs- und Kommunikationsfreiheit geht, und wie ungeheuerlich vor diesem Hintergrund die Idee des sog. “Managements” ist, wurde nicht erwähnt.

    DAS internet, das schon kurz nach seinem Aufbau ein zu weiten Teilen kommerzielles Angebot war und trotz aller lobens-, erstrebens- und auch in großen Teilen lohnenswerten Versuchen immer noch ist, wird weiterhin „gemanaged“ werden und zwar von DIESEN kommerziellen Anbietern. Ich Frage mich wirklich manchmal, ob mögliche staatliche Eingriffe nicht eher zu Freiheit von DIESER Abhängigkeit führen könnten.

    Jaja ich weiß es gibt noch 1000000 bessere Ideen, aber eben auch eine mher als mächtige Lobby.

    … wunderbar im captcha das wort utopia …

  4. Seit der DSL Boom begann, fragte ich mich immer, wie das geht immer höhere Bandbreite aus den gleichen Leitungen zu ziehen ohne diese auszutauschen. Denn egal ob es sich um Datenstrom handelt oder was auch immer, es ist eine immer höhere Frequenz auf derselben Leitung die natürlich dann in Ihrer Qualität irgendwann nachlässt. Als ich dann 6 MBit Anschluß hatte und nur 2 MBit ankam, sagte der Techniker man komme gar nicht nach mit den Leitungen und Vermittlungen beim Umstellen.
    Ich denke, dass wieder mal eine Kuh zig mal geschlachtet wurde ohne Nachwuchs zu züchten. Jetzt fällt das auf und nun braucht man verstärkt „Netzwerkmanagement“. Die Gewinne sollten erstmal zu großen Teilen in die Infrastruktur fließen und „Nachhaltigkeit“ in der Bandbreitenversorgung muss ein Thema sein. Dann, wenn 90% aller Verbindungen mit Glasfaser ausgerüstet ist und immer noch der Saft ausgeht, ja dann reden wir mal wieder über „Netzwerkmanagement“. Solange ich aber keinen Glasfaseranschluß im Haus habe, darf erstmal investiert werden seitens der Anbieter.

  5. Kapazitätsengpässe im Internet sind systemimmanent une müssen diskriminierungsfrei gemanagt werden. „Premium-Dienste“ mit gekauften Prioritäten auf bestehenden Infrastrukturen sind fragwürdig:

    (1) Gekaufte Prioritäten haben nur dann einen Sinn, wenn es Kapazitätsengpässe gibt, die man durch Entgelt überwinden kann. D.h., der Kapazitätsengpass ist dann kein Problem mehr, das man lösen muss, sondern wird zur wertvollen Ressource. Das setzt infrastrukturpolitisch die falschen Anreize.

    (2) Gekaufte Prioritäten nehmen damit den Druck von den ISPs, das Netz für alle Nutzer anforderungsgerecht und vertragskonform auszubauen.

    (3) Gekaufte Prioritäten verschlechtern für Normalzahler die Qualität des Netzes.

    (4)Gekaufte Prioritäten führen am Ende zu höheren Kosten für alle.

    Ich verstehe die ganze Diskussion nicht. Wenn alle ISPs ein Backbone betreiben würden, das in der Lage ist, die von ihnen verkauften Zugänge mit einem vertragskonformen QoS zu bedienen, sähe ich keinen Bedarf für solche Premium-Dienste.

    Ich stelle mir gerade die Diskussion vor, wenn wir Mautplaketten für Eilige verkaufen würden, die Rechtsüberholen, Vorfahrt nehmen und Fahren bei Rot erlauben…

  6. Natürlich stehen die Provider vor Problemen, die sie – ja, liebe Herren Provider – selbst gemacht haben. Als die Flatrate-Angebote aufkamen, hat noch niemand solche Angebote ausgeschöpft, bis – ups – die Leute auf die Idee kamen, HD-Videos via Internet zu streamen u.Ä.

    Das jetzt via QoS lösen zu wollen halte ich aber für Quatsch (eben wegen der Diskriminierungsfrage).

    Vielmehr sollte die Frage erlaubt sein: Was ist eigentlich mit den Volumentarifen passiert (also Tarifmodelle a la X GB Freivolumen für Y €/Monat, das dann aber ohne Ansehen der übertragenen Daten, und Aufpreis für „Überziehen“)?

    Damit sollten sich die ISPs die Diskriminierungsdebatte doch sparen können. Nebenbei sie können die Flatrates wieder einsammeln, was das Geschäftsmodellproblem, den der neuerliche Riesentraffic verursacht, lösen sollte.

  7. Nebenbei stellt sich die ketzerische Frage: Warum übertragen wir eigentlich z.b. HD-TV-Kram übers Internet? Die allermeisten Haushalte in Ballungszentren haben Kabel (aufm Land ist die Abdeckung auch mau, wie beim DSL auch).
    Nebenbei: Internet über Kabel ist imho genauso blödsinnig.

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