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BreakpointLasst ihr ChatGPT auch eure Liebesbriefe schreiben?

Während generative KI immer mehr in unseren Alltag einsickert, drohen wir den Kern dessen zu verlieren, was uns sein lässt. Große Sprachmodelle zu nutzen, mag praktisch sein, doch sollten wir darüber nicht vergessen, dass wir Menschen sind.

Briefumschlag mit aufgemaltem Herz liegt in einer Pfütze mit vielen Blättern
Ein Liebesbrief? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jovan Vasiljević

„Hey ChatGPT, schreib mir was Nettes für meine Freundin.“ „Mach ich“, sagt die Maschine und wir sagen „Danke“. Danke, dass du uns das Denken abnimmst, das Fühlen gleich mit. Bald schreiben wir nicht mehr nur mit generativer KI, sondern sind ihre Anhängsel: halb Mensch, halb Prompt.

Überall, wo früher Gedanken waren, sind jetzt Textvorschläge. Die Schule? Automatisch. Hausarbeiten, Gedichte, Bewerbungsschreiben? Alles generiert, alles glatt, alles gleich. Selbst Liebesnachrichten klingen wie Werbeslogans mit Gefühlsgarantie.

Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, ChatGPT zu nutzen, um sich Arbeit zu sparen. Auch ich tue das gelegentlich, viele von euch wahrscheinlich ebenso. Wer seine E-Mails oder Anschreiben optimiert, spart Zeit. Nur: Wenn wir irgendwann auch unsere Emotionen outsourcen, was bleibt dann noch von uns?

Kommunikation per Knopfdruck

Jede Kommunikation kann mittlerweile per Knopfdruck von einem Large Language Model (LLM) optimiert werden. Seit Kurzem bietet etwa Instagram an, die eigenen Direktnachrichten und Kommentare von einer KI überarbeiten zu lassen. Es gibt LLMs, die Beziehungstipps geben oder kurzerhand selbst vorgeben, ein Partner zu sein.

Doch das alles tut ChatGPT nicht aus Altruismus. Ganz abgesehen davon, dass KIs nicht selbst denken oder handeln und nichts selbst „tun“, ist auch ihr Zweck nicht gemeinwohlorientiert. Stattdessen sind sie kommerzielle Angebote, die für ihre Hersteller Profite erwirtschaften sollen; etwa durch Datensammeln und Abos.

Egal ob es der KI-Partner ist, die Nachrichtenformulierung auf Instagram oder die Generierung von Social-Media-Posts: All das ist nicht dafür gemacht zu helfen, sondern um wirtschaftliche Erträge zu erwirtschaften. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Hersteller ein Stück dieses scheinbar unendlich profitablen Kuchens abhaben wollen.

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Es scheint, als gäbe es mittlerweile eine KI für alles – von der wissenschaftlichen Recherche bis zu Formulierungsvorschlägen zum Flirten. Sogar Auswirkungen auf unsere Wortwahl lassen sich inzwischen nachweisen. Wörter, die wir früher kaum genutzt haben – die LLMs aber gerne verwenden – tauchen nun überall auf. Wer nicht denken will, scheint auch nicht mehr mehr dazu gezwungen zu sein.

ChatGPT Mensch sein

Irgendwer soll mal gesagt haben: „Ich denke, also bin ich.“ Wenn wir etwas „ChatGPTen“, dann ist ChatGPT – aber nicht wir. ChatGPT ist kein Partner, kein Ratgeber und erst recht kein Ersatz für den eigenen Verstand.

Wenn wir aufhören, selbst zu denken, zu formulieren, zu fühlen – wenn wir das Menschliche an Maschinen delegieren, dann verlieren wir das, was wir der KI voraushaben: unser Bewusstsein.

Dieser Prozess mag beginnen, indem wir LLMs nervige Aufgaben für uns übernehmen lassen, sei es eine Hausaufgabe oder eine Arbeitsmail. Es gibt einige Stimmen, die gerne erzählen, dass ChatGPT das Abitur bestehen könnte und fragen, weshalb Schüler:innen überhaupt noch ihre Hausarbeiten selbst schreiben sollten, wenn ChatGPT das doch viel effizienter erledigen könnte. Und natürlich könnte ChatGPT unser Abitur schreiben.

Es ist keine Nachricht, dass ein Rechner, der mit nahezu allen Informationen dieser Erde gefüttert ist, Antworten auf Fragen aus Schulprüfungen generieren kann. Aber in der Schule sollten eigentlich Schüler mit Informationen gefüttert werden. Und zwar nicht mit dem Ziel, Prüfungen zu bestehen, sondern damit Menschen etwas lernen. Und ja, es ist zumindest kurzfristig nützlich, dass ChatGPT unsere E-Mails oder Hausarbeiten schreibt, uns Arbeit abnimmt. Die Frage ist aber: Wo hört das auf?

Uns fehlen dieses Jahr noch 303.315 Euro.

Immer mehr Menschen neigen dazu, KI einfachste Denkaufgaben oder gar ihre eigene künstlerische Expression übernehmen zu lassen; von den Hausaufgaben bis hin zum Liebesgedicht. Das ist weder verwunderlich noch verwerflich. Fast jedes soziale Netzwerk und immer mehr Betriebssysteme implementieren LLMs und platzieren sie so, dass wir kaum daran vorbeikommen. Wenn ich WhatsApp öffne, dann ist dort an oberster Stelle nicht der Chat mit meiner besten Freundin oder meiner Mutter, sondern ein Suchfenster, in dem ich doch bitte MetaAI eine Frage stellen darf.

Ich will in einer Welt leben, die von Menschen für Menschen gemacht ist. Und nicht in einer, in der deine KI mit meiner hin und her chattet, bis sie ein Bewerbungsgespräch oder ein Date für uns vereinbart hat.

Was macht uns aus?

Die britische “Sun” hat 2016 geschrieben, 2025 (also heute) würden Frauen mehr Sex mit Robotern als mit Männern haben. Dass das nicht stimmt, liegt auf der Hand. Aber weit davon entfernt sind wir nicht mehr, wenn ein LLM für uns die heißen Nachrichten an unser Date schreibt oder Vorschläge für die besten Sexstellungen generiert.

Vielen Menschen scheint das zu gefallen. Sexting ist schließlich mindestens genauso denkintensiv wie eine E-Mail an den Chef. Da tut es gut, wenn eine KI einem diese Bürde abnehmen kann. Es ist effizient, spart Zeit und Gedankenkraft. Wäre doch schön, wenn ein LLM uns noch mehr unseres anstrengenden Alltags abnehmen könnte. Wo wir schon dabei sind: Lasst ChatGPT doch einfach eure Frau bumsen.

Schreibt meinetwegen eure E-Mails mit KI, die Nachrichten an eure Freunde, eure Liebesbriefe oder die Trauerrede für die Beerdigung eurer eigenen Mutter. Lasst euch nehmen, was euch sein lässt. Aber was bleibt dann noch von uns?

Wenn wir einfache Denkaufgaben nicht mehr Kraft unseres eigenen Verstandes absolvieren, unsere Gefühle nicht mehr selbst ausdrücken oder Kunst schaffen, dann überlassen wir der KI und ihren Produzenten das Großartigste, was diese Welt zu bieten hat: Mensch zu sein.

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8 Ergänzungen

  1. Die Gefahr, dass die Maschinen wie Menschen werden könnten, besteht vermutlich nicht. Eher werden die Menschen wie Marionetten, nur dass, anders als in Sandie Shaws Lied Puppet on a String, kaum Hoffnung auf Erfüllung der Träume und Wünsche besteht.

  2. Da kann ich nur zustimmen. Mehr noch, ich möchte unterstreichen, dass dieser Gedanke nicht nur auf die KI passt. Ähnlich Gedanken gab es bei der Erfindung des Taschenrechners oder bei der Eisenbahn. Den Taschenrechner zu benutzen würde uns dumm machen. Ganz früher kam es vor, dass jemand Liebesgedichte von jemanden Anderen schreiben ließ.

    Die Frage ist also, was uns der Menschlichkeit beraubt. Ich denke, wir sind es selbst. Der Golem KI ist fatal, wenn er all zu blind genutzt wird. Schon Goethe schrieb: „Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht mehr los“.

    Ich selbst sehe das trocken. KI ist ein Werkzeug – und nicht einmal ein Neues. Ich selbst nutze sie gelegentlich, schon lange vor LLMs, glaube aber nichts (seit „ich das XOR-Problem entdeckte“ – was natürlich schon lange bekannt war). So wenig wie ich dem Taschenrechner glaube (Wurzel 2, pi) oder dem Auto, wenn es regnet oder schneit. Es kann schleudern. Technik kann hilfreich sein, etwas zu entwickeln ist faszinierend und kreativ. Doch dazu muss man sie verstehen und die Grenzen kennen. Tut man das nicht, so rennt man Gespenstern hinter her. Aberglaube!

    Rechtfertigt das einen Hype? Das riecht nach Wunderpillen. Technik ohne Technik zu verstehen ist gefährlich. Frag mal ChatGPT über sich selbst. Neben dem Marketing-BlaBla ist es überraschend ehrlich. Mag jemand mal den Carlas Text durch eine „KI“ schieben und Fragen, was davon zu halten ist? Die KI wird zustimmen, uns weiter einlullen.

    Und dann „Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor“.

    Nun, wie wäre es mal mit Leben? Ich gehe jetzt mit meiner Frau auf den Trödelmarkt und kaufe ganz sicher gar nichts, was irgend einen Zweck (Absicht!) hätte. Etwas Nettes für sie vielleicht.

  3. Vom GPU Chip Herzen der KI, nur für dich.
    […]
    […]
    PS: Klimaneutral, wenn in der fernen Zukunft unser Baum endlich mal Früchte trägt.

  4. Danke für diesen intelligenten Kommentar.

    Besonders gefallen hat mit diese Passage: „Aber in der Schule sollten eigentlich Schüler mit Informationen gefüttert werden. Und zwar nicht mit dem Ziel, Prüfungen zu bestehen, sondern damit Menschen etwas lernen.“ Bildung hat ideellen Wert und soll nicht nur auf ein späteres Berufsleben vorbereiten.

    Wir sollten uns den Gebrauch unseres Verstandes insgesamt nicht zu häufig von der KI abnehmen lassen, denn nur wer eigenständig denkt kann eigenständig leben und handeln.

    1. Schule dient nicht nur zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Schule war schon immer auch ein Instrument zur Klassifizierung zum Zweck später rechtfertigen zu können, was eine/r später „darf“ und was nicht.

      Soziale und geografische Herkunft, finanzielle Wirkmittel, nebst Bildung in der Familie beeinflussen maßgeblich, was aus einem Kind als Schüler werden kann, und später als Erwachsener im Beruf.

      Ein Instrument der Segregation, verbrämt mit einem gefälligen Narrativ der Mensch lerne für das Leben, und sei selbst Schuld, wenn aus einem Schusterjungen dann „nichts“ wird, und der Nachwuchs aus reichen Häusern signifikant als „Führungskräfte“ enden.

    2. Cloud KI ermächtigt. Vor allem die Investoren.

      Besonders ist nicht nur der Schluss auf „etwas lernen“ zu tätigen, sondern wie implizit suggeriert auf eigenständig leben. Das ist ein geostrategisches Ziel, das wir haben sollten.

  5. Als begeisterter ChatGPT-Nutzer muss ich sagen, dass ich das Schreiben meiner Liebesbriefe wohl nie einer KI überlassen hätte. Allerdings kann ich das leicht behaupten. Es liegt 50 Jahre zurück und damals war die Menschheit nur wenige Jahre zuvor zum Mond geflogen.

    Selbst, wenn wir die Instrumente dafür schon damals gehabt hätten (welch grauenvoller Gedanke), ich hätte sie für diesen speziellen Zweck sicher nicht genutzt. Was wirklich wichtig ist, überlässt man keiner Maschine.

    Ich (71) bin froh, dass ich meine Kindheit und Jugendzeit ohne diesen ganzen Kram erleben konnte. Ich bilde mir ein, in diesem Alter keine entscheidenden Fehler mehr machen zu können. Deshalb gibts keine Hürde im Hinblick auf den Einsatz von KI. Welche Spuren die KI-Einflüsse allerdings bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen werden, ist kaum abzuschätzen. Besser wäre, wenn man erst nach einer guten Ausbildung, gewissermaßen als Erwachsener, mit dem Kram zu tun bekäme. Aber das ist nur so ein Gedanke.

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