Mehr als 75 zivilgesellschaftliche Initiativen, Organisationen, Verbände und Bündnisse mit mehr als 1.000 Mitgliedsorganisationen fordern Union und SPD auf, in den Sondierungsgesprächen das Thema der Plattformkontrolle und gemeinwohlorientierte Digitalisierung zu behandeln. Sie verweisen dabei ausdrücklich auf die „problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht im Bereich von digitalen Plattformen“ mit Bezug auf die Trump-Regierung.
Die Unterzeichner:innen des offenen Briefes, zu denen neben digitalpolitischen auch zahlreiche große umwelt- und entwicklungspolitische sowie kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen gehören, bewerten die derzeitige Verfasstheit der Plattformen als Bedrohung für die Demokratie und die digitale Souveränität Europas. Als Gründe benennen sie unter anderem polarisierende Algorithmen und Marktmachtkonzentration. Wer wie und wann am Austausch teilhaben könne, liege in der Hand von Konzernen und deren CEOs, deren Interessen teilweise von rechtsradikalen oder autoritären Kräften beeinflusst seien:
Das zeigt die massive Unterstützung von Musk mit seiner Plattform X für Trump und rechtsradikale Parteien in Europa, genauso wie Metas Abkehr von Faktenchecks und Hassrede-Moderation in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Trump.
Wirksame Kontrolle von Algorithmen gefordert
Doch eine neue Bundesregierung könne hier etwas tun. Den Unterzeichnenden schwebt dabei unter anderem eine wirksame Kontrolle der Algorithmen vor. Sie fordern bis dahin eine „konsequente Durchsetzung bestehenden EU-Rechts, das Schließen regulatorischer Lücken und die gezielte Stärkung von gemeinwohlorientierten Plattform-Alternativen.“
Im offenen Brief heißt es, dass eine neue Bundesregierung EU-Gesetze wie den Digital Services Act und Digital Markets Act wirkungsvoll umsetzen muss. Sie dürfe dabei nicht einknicken vor dem Druck der Trump-Regierung und müsse auch bestehendes Wettbewerbs- und Kartellrecht konsequent anwenden und punktuell verschärfen.
Das wichtigste Ziel sei, mehr Transparenz bei den algorithmischen Systemen von Plattformen zu erwirken. Dafür müssten auch problematische Geschäftsmodelle und Praktiken von Plattformen, beispielsweise von tracking-basierter Online-Werbung und suchtförderndem Design, eingehegt werden. Dafür soll sich die neue Bundesregierung auf EU-Ebene im Rahmen des Digital Fairness Act einsetzen. Weiterhin sollte die neue Bundesregierung die Stärkung der Interoperabilität unterstützen, zum Beispiel durch freie und offene Software, um den Wechsel zwischen Plattformen zu erleichtern. Als dritte Grundforderung sollen gemeinwohlorientierte digitale Plattformen aufgebaut und gestärkt werden. Im Blick haben die Unterzeichnenden dabei existierende Strukturen wie das dezentral organisierte Fediverse oder die Wikipedia.
Stimmen für Plattform-Regulierung werden lauter
Die Stimmen zu einer wirksamen und demokratiefördernden Regulierung sozialer Netzwerke und Plattformen werden derzeit lauter. Im Bundestagswahlkampf hatte ein Bündnis unter dem Motto SaveSocial gefordert, das Internet zurückzuerobern und Alternativen zu stärken. Es handelt sich bei SaveSocial um eine Kampagne von verschiedenen Verbänden sowie prominenten Personen aus Kultur, Journalismus, Wissenschaft und Gewerkschaften.
Hierzu hatten sie verschiedene Vorschläge gemacht, wie Algorithmen reguliert, die Plattformmacht beschnitten und Alternativen konkret gefördert werden könnten. Eine Petition dieser Kampagne hat schon mehr als 240.000 Unterschriften.
Offener Brief
Dokumentiert von digitalegesellschaft.de am 4. März 2025
Demokratie schützen, Gemeinwohl fördern: Online-Plattformen brauchen Kontrolle
Sehr geehrter Herr Merz,
sehr geehrter Herr Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Klingbeil,
die Nachrichten rund um den Amtseintritt von Donald Trump unterstreichen die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht im Bereich von digitalen Plattformen. Davon sind auch Deutschland und Europa betroffen.
Dass der plattformbezogene Austausch polarisiert und antidemokratische Kräfte beflügelt werden, ist kein unglücklicher Zufall, sondern Programm: Algorithmische Empfehlungssysteme, die das Extreme, Emotionalisierende und Spaltende fördern, sind ein höchst lukratives Geschäftsmodell. Das hat Folgen für unsere Demokratie. Die Zunahme von Hassrede im Digitalen vertreibt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Diskurs und führt zu Gefährdungen, auch im analogen Leben. Desinformationen erschweren konstruktiven Austausch und Politikgestaltung zu den drängenden Problemen unserer Zeit wie der Klimakrise.
Die Marktmachtkonzentration und die Kontrolle der Plattformen durch einige Wenige, insbesondere die Abhängigkeit von Tech-Unternehmen aus den USA und China, sind ein Risiko für Europas digitale Souveränität, Wohlstand und Demokratie. Wer, wie und wann am Austausch teilhaben kann, liegt in der Hand von Konzernen und deren CEOs, deren Interessen teilweise von rechtsradikalen oder autoritären Kräften beeinflusst bzw. bestimmt sind. Das zeigt die massive Unterstützung von Musk mit seiner Plattform X für Trump und rechtsradikale Parteien in Europa, genauso wie Metas Abkehr von Faktenchecks und Hassrede-Moderation in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Trump. Zugleich nutzen große Tech-Unternehmen ihre Allianz mit politischen Kräften aus, um die Regulierung von Plattformen in ihrem Interesse zu beeinflussen. Das zeigt zum Beispiel die Drohung aus der neuen US-Administration, entsprechende Regulierung in der EU durch vergeltende Maßnahmen in anderen Politik-Feldern zu beantworten.
Diese Entwicklung ist nicht unausweichlich: Mit den richtigen Rahmenbedingungen für algorithmische Systeme können Online-Plattformen gesellschaftlichen Diskurs ohne solche negativen Begleiterscheinungen fördern. Wichtige Schritte dahin sind eine konsequente Durchsetzung bestehenden EU-Rechts, das Schließen regulatorischer Lücken und die gezielte Stärkung von gemeinwohlorientierten Plattform-Alternativen.
Für Europa könnte der Ausbau von am Gemeinwohl orientierten Plattformen auch eine wirtschaftliche Chance darstellen: 80 Prozent der Technologien und Dienstleistungen, die für den digitalen Wandel in Europa entscheidend sind, werden immer noch außerhalb der EU entwickelt und hergestellt. Eine stärkere Orientierung am Gemeinwohl und an der Reduktion von Marktkonzentration kann auch europäischen Digital-Unternehmen bessere Perspektiven bieten. Diese leiden vielfach unter der Macht der großen Tech-Unternehmen und deren einseitigen Geschäftspraktiken.
Wir fordern Sie deshalb auf, sich in der kommenden Legislaturperiode entschlossen dafür einzusetzen, dass Online-Plattformen das gesellschaftliche Gemeinwohl und den demokratischen Diskurs fördern, um damit Hassrede, Desinformationen und gesellschaftliche Spaltung in die Schranken zu weisen. Zentral sind dabei drei Handlungsfelder:
- Bestehende Regulierung wirkungsvoll umsetzen: Die neue Bundesregierung hat die Aufgabe, EU-Gesetze wie den Digital Services Act und Digital Markets Act wirkungsvoll umzusetzen. Der Druck aus den USA und von großen Tech-Konzernen darf nicht dazu führen, dass Europa einknickt. Für eine Umsetzung müssen die zuständigen Behörden auf Bundes- und EU-Ebene gut ausgestattet und durchsetzungsfähig sein. Außerdem gilt es, bestehendes Wettbewerbs- und Kartellrecht konsequent anzuwenden und punktuell zu verschärfen, um der problematischen Monopolisierung des Marktes entgegen zu wirken.
- Regulierung zielgerichtet ergänzen: Das wichtigste Ziel ist, mehr Transparenz bei den algorithmischen Systemen von Plattformen zu erwirken. Weiterhin muss die Einhegung der problematischen Geschäftsmodelle und Praktiken von Plattformen, beispielsweise von tracking-basierter Online-Werbung und suchtförderndem Design, den Weg für gemeinwohlorientierte Alternativen ebnen. Dafür sollte sich die neue Bundesregierung auf EU-Ebene im Rahmen des Digital Fairness Act einsetzen. Weiterhin sollte die neue Bundesregierung die Stärkung der Interoperabilität, zum Beispiel durch freie und offene Software unterstützen, um den Wechsel zwischen Plattformen zu erleichtern.
- Gemeinwohlorientierte digitale Plattformen aufbauen und stärken: Dazu gilt es, auf europäischer Ebene die Debatte über demokratisch kontrollierte, gemeinwohlorientierte und souveräne digitale Infrastrukturen voranzutreiben. Bestehende gemeinwohlorientierte Projekte wie das dezentral organisierte Fediverse sollten von der neuen Bundesregierung gestärkt werden. Weiterhin sollte sie Forschung zur Übertragung von Modellen der öffentlichen Daseinsvorsorge auf digitale Infrastruktur unterstützen und in die Praxis bringen. Dazu sollten bestehende Ideen wie Plattformräte, aber auch Best Practices aus Modellprojekten demokratischer Verwaltung von digitalen Infrastrukturen auf kommunaler Ebene gesammelt, evaluiert und angewandt werden.
Sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrter Herr Dr. Söder, sehr geehrter Herr Klingbeil,
die Ermöglichung eines offenen, faktenbasierten Diskurses und der Schutz vor antidemokratischer Einflussnahme sind Grundpfeiler einer lebendigen und wehrhaften Demokratie. Wir fordern Sie auf, den Umgang mit den in diesem Brief beschriebenen Herausforderungen zu einer prioritären Aufgabe der nächsten Legislaturperiode zu machen.
Liste der mitzeichnenden Organisationen:
101LAB / Agentur für digitale Transformation |
AlgorithmWatch |
Arbeitsgemeinschaft Natur- und Umweltbildung Bundesverband e.V. (ANU) |
Attac |
BAUM |
Berlin Ethics Lab |
Bioland e.V. |
Bits & Bäume |
Blue 21 e.V. |
Brot für die Welt |
BUND Jugend |
campact |
Chaos Computer Club (CCC) |
ConPolicy-Institut für Verbraucherpolitik |
CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung |
D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. |
DAASI International GmbH |
Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di |
Deutsche KlimaStiftung |
Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) |
Deutscher Naturschutzring (DNR) |
Digitalcourage |
Digitale Gesellschaft |
Diözesankommission für Umweltfragen, Bistum Trier |
Ecosia |
Eine Welt e.V./Weltladen Halle |
EINE WELT Netzwerk Sachsen-Anhalt e.V. |
Entwicklungspolitisches Netzwerk Hessen |
Europe Calling |
Evangelische Kirche der Pfalz |
Facing Finance |
FEMNET |
FIAN Deutschland |
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. |
Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V. (FIfF) |
Forum Ökologie & Papier |
Forum Umwelt und Entwicklung |
Frauen Computer Zentrum Berlin |
Friedenskreis Halle e.V. |
Germanwatch e.V. |
Global Marshall Plan Foundation |
Global Policy Forum Europe |
Goliathwatch |
Green Web Foundation |
Greenpeace |
Grüner Strom Label e.V. |
HateAid |
Informationsstelle Peru e.V. |
Inkota |
Institut für Kirche und Gesellschaft, Evangelische Kirche von Westfalen |
Klima-Allianz Deutschland |
LAG 21 NRW |
LobbyControl |
Menschen für Tierrechte |
NaturFreunde |
Nextcloud |
Offene Kommunen.NRW |
Öko-Institut |
Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. |
Open Source Business Alliance |
Partner Südmexikos e.V |
Rat für digitale Ökologie (RDÖ) |
Rebalance Now |
RENN e.V. |
SÜDWIND e.V. – Institut für Ökonomie und Ökumene |
Superrr Lab |
Systopia |
Together for Future |
Topio e.V. |
Umweltinstitut München |
urgewald e.V. |
ver.di |
VERBRAUCHER INITIATIVE e.V. (Bundesverband) |
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) |
WDC, Whale and Dolphin Conservation |
WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung |
Wikimedia Deutschland |
Yeşil Çember |
Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau |
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