Die vollständige Einführung des neuen EU-Einreise-/Ausreisesystems (EES), bei dem von allen Reisenden an Außengrenzen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder verlangt werden, verschiebt sich voraussichtlich erneut. Vergangene Woche hatte der britische „Guardian“ gemeldet, dass Frankreich, Deutschland und die Niederlande für den vorgesehenen Start am 10. November nicht bereit sind. Auf Anfrage der Zeitung „nd“ stellt das Bundesinnenministerium dies nun drastischer dar: Demnach hätten die drei Regierungen es abgelehnt, zum möglichen Einführungstermin „überhaupt eine Erklärung abzugeben“.
Die notwendige Stabilität und Funktionsfähigkeit des EES-Zentralsystems sei „bis heute nicht vorhanden“, heißt es zur Begründung. Dadurch es sei weiterhin unmöglich, die in jedem Mitgliedstaat erforderlichen finalen Tests des EES-Gesamtsystems durchzuführen. Auch die von der noch amtierenden EU-Innenkommissarin anvisierte Verschiebung um eine Woche auf den 17. November steht damit infrage.
Verzögerung lässt Kosten steigen
Das EES sieht vor, dass Nicht-EU-Bürger:innen bei ihrer ersten Einreise in den Schengen-Raum vier Fingerabdrücke abgeben und ein Foto von ihrem Gesicht gemacht wird. Künftige Ein- und Ausreisen sollen dann biometrisch verifiziert werden. Reisende für den Schengen-Raum mit Visa müssen diese Daten bereits bei der Antragstellung in einem Konsulat hinterlegen. Das EES zielt deshalb auf Drittstaatsangehörige, mit deren Herkunftsländern die EU Abkommen für visafreie Reisen für einen Zeitraum bis zu drei Monaten abgeschlossen hat. Für diese Gruppe von EU-Ausländer:innen war die Abgabe biometrischer Daten bislang nicht erforderlich.
Zuständig für die Bereitstellung des EES-Zentralssystems ist die EU-Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA). Dort macht man die Lieferanten für den schleppenden Start verantwortlich. Die Ausschreibung über 142 Millionen Euro gewann 2019 die Firma Atos mit einem Konsortium aus IBM und Leonardo. Die Verzögerung führt zu einer deutliche Kostensteigerung, die letztes Jahr bereits 30 Millionen Euro betragen haben soll.
Für Kopfschütteln sorgt, dass eu-LISA von den säumigen Auftragnehmern keine finanzielle Entschädigung fordert. Möglicherweise ein Interessenkonflikt: Anfang 2023 wurde Agnès Diallo, die laut eu-LISA zuvor bei Atos „eine Reihe von Führungspositionen“ inne hatte, zur neuen Direktorin der Agentur ernannt. Nach etwas mehr als einem Jahr im Amt trat Diallo zurück, im August hat der Verwaltungsrat von eu-LISA bis zur Neuwahl eine Übergangschefin ernannt.
Die Einführung des EES war bereits letzten Sommer geplant, wurde jedoch wegen Bedenken Frankreichs in Bezug auf die Rugby-Weltmeisterschaft und die Olympischen Spiele verschoben. Der Termin wurde dann auf den 6. Oktober dieses Jahres festgelegt, später jedoch auf November verlegt, um Störungen während der Schulferien in den EU-Staaten zu vermeiden.
Deutschland repräsentiert zusammen mit Frankreich und den Niederlanden 40 Prozent des vom Einreise-/Ausreisesystem betroffenen Passagierverkehrs. Die Länder unterstützen zwar grundsätzlich die Einführung des Systems, da es aus ihrer Sicht die Sicherheit erhöhen soll. Frankreich sorgt sich aber auch um Staus in Dover, wo britische und französische Grenzkontrollen stattfinden. Dort gibt es Befürchtungen, dass Wartezeiten von bis zu 14 Stunden den Verkehr von Lastwagen, Autos und Bussen beeinträchtigen könnten.
Privatjet-Lobby schlägt Alarm
Auch an internationalen Flughäfen werden deutlich längere Grenzkontrollen erwartet. Zusammen mit der EU-Grenzagentur Frontex hat deshalb die Bundespolizei eine App entwickelt, um diese Wartezeiten zu verkürzen. Reisende können freiwillig ihre geplante Aufenthaltsdauer, den Grund der Reise und anvisierte Reiseziele vorab mitteilen. Außerdem sollen sie Angaben zur Bargeldmenge, Kreditkarte und einer Reisekrankenversicherung machen. Aus den Informationen erstellt die App einen QR-Code, den die Reisenden am Flughafen vorzeigen können.
In ihrer Mitteilung zur Verzögerung des EES verweist das deutsche Innenministerium auch auf Probleme an kleineren Flughäfen. Im Sommer hatte die Privatjet-Lobby Alarm geschlagen, da mit Einführung des EES alle Geschäftsreisenden aus dem Schengen-Ausland bald zwingend kontrolliert werden müssen. Das würde erfordern, dass auch an privat betriebenen Flugplätzen die Bundespolizei stationiert werden müsste. Die Kosten hierfür würden den Betreibern auferlegt.
Die Bundesregierung kann zum Start des EES nach eigenen Angaben „derzeitig keine Aussagen zum weiteren Zeitplan treffen“, da hierfür die EU-Kommission verantwortlich ist. In Deutschland gebe es zu dem Thema aber eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und der Luftfahrtindustrie. Mit einer „abgestimmten Informationsstrategie“ sei man dort auf die bevorstehende Einführung des Systems vorbereitet, sagte das Innenministerium dem „nd“. Davon ist jedoch bislang nichts zu sehen.
Bin mir nicht sicher,ob ich das richtig verstehe – die Angaben zu Aufenthalt, Bargeldmenge etc sollen EU-Bürger bei der Ausreise machen oder Nicht-EU-Bürger bei der Einreise?