Viele HürdenDüstere Aussichten für deutsches Social-Media-Verbot

Einige deutsche Spitzenpolitiker*innen fordern ein Social-Media-Verbot für Minderjährige. Realistisch ist das aber nicht. Das zeigt eine nüchterne Analyse der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags.

Jugendilche Person liegt im Bett und hält ein Handy vors Gesicht. Die Rückseite des Handys ist mit Schmetterlingen dekoriert.
Einfach alles verbieten, na, wie wärs? (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/photothek; Bearbeitung: netzpolitik.org

Die CDU-Familienministerin Karin Prien will es. Die SPD-Justizministerin Stefanie Hubig will es. Und CDU-Digitalminister Karsten Wildberger würde es persönlich unterstützen. Es geht um ein Social-Media-Verbot für Minderjährige, etwa bis sie 16 Jahre alt sind. Australien macht es gerade vor, und auch andere EU-Mitgliedstaaten liebäugeln damit, darunter Frankreich, Spanien und Griechenland.

Nun haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags eine Analyse zur Frage vorgelegt, inwiefern Deutschland ein gesetzliches Mindestalter für soziale Medien überhaupt einführen kann. Die Forscher*innen arbeiten laut Selbstbeschreibung parteipolitisch neutral und sachlich objektiv. Auf den elf Seiten ihres Berichts betrachten sie das Thema aus juristischer Perspektive. Es geht also nicht darum, was pädagogisch sinnvoll wäre oder nicht.

Für einen nationalen Alleingang von Deutschland oder auch anderen EU-Mitgliedstaaten sehen die Forscher*innen gleich mehrere Hürden. Sie verweisen in ihrem Fazit stattdessen auf alternative Maßnahmen zu einem Social-Media-Verbot. Das lässt sich als Wink mit dem Zaunpfahl an die zuständigen Minister*innen deuten, die Verbotsfantasien noch mal zu überdenken.

Erste Hürde: Wir haben das alles doch schon besprochen

Die erste Hürde für ein deutsches Social-Media-Verbot ist der Umstand, dass sich die Europäische Union längst auf andere Vorschriften zum Jugendmedienschutz geeinigt hat. Dabei hat Deutschland natürlich mitverhandelt. Eines der wichtigsten EU-Gesetze in diesem Kontext ist das noch recht frische Gesetz über digitale Dienste (DSA).

Das besondere am DSA ist seine sogenannte „vollharmonisierende“ Wirkung. Einfach ausgedrückt heißt das: Die Mitgliedstaaten dürfen nicht mehr ihr eigenes Süppchen kochen. Stattdessen tun sie das, worauf sie sich auf EU-Ebene gemeinsam geeinigt haben. Das nennt man auch Anwendungsvorrang. Hierzu schreiben die Forschenden:

Der sogenannte Anwendungsvorrang von europäischem Recht kann zur Folge haben, dass nationales Recht nicht mehr anzuwenden ist, sofern es eine vollharmonisierende unionsrechtliche Regelung der entsprechenden Materie gibt.

Einen solchen Anwendungsvorrang sehen die Wissenschaftlichen Dienste auch bei potenziellen Social-Media-Verboten. Denn das Thema ist im DSA eigentlich geregelt. Dieses Gesetz nennt Werkzeuge zur Altersüberprüfung als eine von mehreren möglichen Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen – je nach konkretem Risiko einer Plattform.

Eine generelle Pflicht zu Alterskontrollen nach australischem Vorbild ist im DSA aber nicht vorgesehen. Entsprechend sehen die Forscher*innen „gewichtige Hürden“, wenn eine nationale Altersgrenze für soziale Medien eingeführt werden soll.

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Zweite Hürde: Bitte nicht alle auf einmal

Auch die zweite Hürde für ein deutsches Social-Media-Verbot ist ein EU-Gesetz, und zwar die E-Commerce-Richtlinie. Unter anderem dort ist das sogenannte Herkunftslandprinzip verankert. Einfach ausgedrückt geht es darum, dass Unternehmen in der EU nicht verschiedene Vorschriften aus 27 Mitgliedstaaten jonglieren sollen, sondern stattdessen eine klare Anlaufstelle bekommen: Die zuständigen Behörden aus dem Land, in dem sie ihren Hauptsitz haben.

Die Forscher*innen drücken das so aus: „Demnach gelten für einen Anbieter, der in einem EU-Mitgliedsstaat niedergelassen ist, nur die jeweiligen nationalen Rechtsvorgaben.“

Deshalb hat Irland ein so großes netzpolitisches Gewicht in der EU – dort sitzen die großen Plattformen wie TikTok-Mutter Bytedance oder Meta. Es kann also sein, dass ein deutsches Social-Media-Verbot für so wichtige Plattformen wie TikTok keine Wirkung hätte, weil TikTok seinen EU-Hauptsitz nicht in Deutschland hat. Die Forscher*innen schreiben, es dürfte „fraglich sein“, ob ein deutsches Social-Media-Verbot Auswirkungen „entfalten“ kann.

Ja, aber…

Klar zum Scheitern verurteilt sind Bestrebungen für ein deutsches Social-Media-Verbot trotzdem nicht, wie aus dem Bericht der Wissenschaftlichen Dienste hervorgeht. Es gibt nämlich durchaus Spielräume für einzelne Mitgliedstaaten wie Deutschland.

Hier kommt ein anderes EU-Gesetz ins Spiel, und zwar die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL). Diese Richtlinie ist älter als der DSA und sieht durchaus vor, dass Mitgliedstaaten auch eigene Vorschriften entwickeln. Der Haken: Die AVMD-RL bezieht sich gezielt auf Video-Sharing-Plattformen – darunter fallen etwa YouTube oder Pornoseiten. Alle Social-Media-Plattformen lassen sich aber nicht per AVMD-RL regulieren, wie die Forscher*innen erklären. „Fotografien und Bilder zählen hingegen nicht zu diesen audiovisuellen Darstellungen“, heißt es beispielsweise im Bericht.

Kurzum: Da sind zwei EU-Gesetze, AVMD-RL und DSA, die nicht optimal zusammenpassen. Aber sie gelten beide.

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Es ist nicht der einzige Fall, in dem sich Gesetze zum Jugendmedienschutz beißen oder schlecht ineinandergreifen. Ein weiteres Beispiel ist Deutschlands föderale Medienaufsicht, aufgefächert in mehrere Landesmedienanstalten. Dort versuchen Medienwächter*innen auf Basis des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) den Jugendschutz im Netz durchzusetzen. Das Problem: Die EU-Kommission sieht in der jüngsten Novelle des JMStV einen Konflikt mit der „Vollharmoniserung“ des DSA und dem Herkunftslandprinzip.

Zwist statt Harmonie

Der wohlige Klang des Begriffs Vollharmonisierung führt also in die Irre. Vielmehr besteht ein Nebeneinander von mehreren Vorschriften zum Jugendschutz, die Behörden auf mehreren Ebenen durchsetzen wollen. Dabei gibt es Konflikte – nicht nur mit Unternehmen, die sich ungern regulieren lassen wollen, sondern auch unter den Regulierungsbehörden selbst, die um Einfluss ringen und ungern Kompetenzen abtreten.

Die trügerische Sicherheit von Alterskontrollen im Netz

Konflikte klären und verbindliche Entscheidungen herbeiführen, das müssen im Zweifel Gerichte tun. Konkretes Beispiel: Seit Jahren prozessiert Pornhub gegen Alterskontrollen durch die deutsche Medienaufsicht. Dabei geht es auch um die Frage, ob Pornhub aus Düsseldorf (Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen) oder aus Brüssel (EU-Kommission) reguliert werden soll. Der Ausgang ist ungewiss.

Entsprechend düster sind die Aussichten für ein wirksames deutsches Social-Media-Verbot für Minderjährige, das nicht an einer der vielen Hürden zerschellen würde. Nüchtern schlussfolgern die Forscher*innen:

Der beschriebene Anwendungsvorrang europäischer Normen sowie das Herkunftslandprinzip können sich als Hürde bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestalters für die Nutzung sozialer Netzwerke herausstellen.

Ein möglicher Ausweg wäre eine Lösung direkt auf EU-Ebene. Dort wird auch gerade kontrovers diskutiert, in welchem Umfang Alterskontrollen das Internet dominieren sollen. Grundlage ist allerdings der DSA, der sich eben nicht nur auf soziale Medien fokussiert, sondern sich in der Breite mit digitalen Diensten befasst. Neben der Option zu Altersschranken sieht das Gesetz viele weitere Maßnahmen vor, die sich an den spezifischen Risiken eines Diensts orientieren.

Es gibt also noch mehr Werkzeuge als Altersschranken, um Minderjährige im Netz zu schützen – und diese Werkzeuge liegen mit dem DSA teilweise schon bereit. Mit einem Hinweis auf Alternativen beenden auch die Wissenschaftlichen Dienste ihren Bericht. Konkret nennen sie „strukturelle Vorsorgemaßnahmen, Medienkompetenzförderung und altersgerechte Gestaltung der Plattformen“.

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11 Ergänzungen

  1. Ich versteh den Unterschied zwischen Herkunftslandprinzip und Vollharmonisierung von EU Recht nicht: Wenn der DSA aufgrund von Vollharmonisierung für die ganze EU gilt, warum gelten nach der E-Commerce Richtlinie gewisse Gesetze nur in gewissen Ländern wie Irland?

    1. beim herkunftslandsprinzip geht es um die frage, wer zuständig ist, auch im fall von EU-weit „harmonisierten“ vorschriften. das macht nicht alles die EU-kommission selbst, sondern auch behörden in den einzelnen EU-ländern. trotz harmonisierter gesetze gibt es noch unterschiede im umsetzungseifer der nationalen behörden, was manchen unternehmen wohl recht wichtig ist.

  2. Ich finde es verwunderlich, dass immer nur Ideen nach Verboten aufkommen.

    Es wäre viel sinnvoller, die Kinder zu schulen, so wie man es auch in Unternehmen zum Thema IT-Security (Phishing) und Datenschutz bereits macht. Eltern dürfen ihren Kindern dann erst Zugang zum Internet(fähigen Gerät) geben, wenn diese erfolgreich geschult sind und auch eine Prüfung erfolgreich bestanden haben.
    So könnte man die Kinder darauf sensibilisieren, worauf man im Internet achten muss und wie sie mit bestimmten Situationen (Mobbing, Werbung, Grooming, usw.) umgehen sollten. Der Test könnte jährlich in der Schule absolviert werden.
    Kinder sollten schrittweise an die Realität herangeführt werden.

    Und wer dann sagt „ja, aber die Kinder könnten ja Pornos schauen“… … dann sind sie auch in der Regel reif genug, sich dafür zu interessieren.
    Statt dass sie sich selbst auf die Suche machen nach einschlägigen Seiten, sollte es ein staatliches bzw. öffentlich rechtliches Angebot geben wo man geprüften Content hat.
    So etwas zum Beispiel: https://netzpolitik.org/2025/account-gesperrt-sie-haben-pornos-rezensiert-dann-warf-instagram-sie-raus/ Das könnte dann sogar theoretisch unter „Bildungsprogramm“ laufen. Wenn man denn wollte…

    Es wird ja auch nicht um jede Straße ein Zaun gezogen, weil es sein könnte, dass ein Kind auf die Straße rennt. Wer Kinder alleine nach Draußen lässt, sollte schließlich auch sicher sein, dass sie bereit sind, Gefahren einzuschätzen. Wer dazu noch nicht in der Lage ist muss eben beaufsichtigt werden…

    1. > So könnte man die Kinder darauf sensibilisieren, worauf man im Internet achten muss und wie sie mit bestimmten Situationen (Mobbing, Werbung, Grooming, usw.) umgehen sollten.

      Der Umgang mit Werbung ist definitiv der einfachste der ersten drei Teile. Wo und wie findet man Adblocker? Wie installiert man Adblocker? Und der wichtigste Teil: „Whiteliste grundsätzlich niemals Seiten. Ganz egal, wie sehr sie betteln, drohen oder was sie sonst noch für Psychotricks verwenden. Absolut niemand hat das Recht, von dir zu verlangen, dass du Schadsoftware auf deine Geräte lässt.“

    2. „Ich finde es verwunderlich, dass immer nur Ideen nach Verboten aufkommen.“

      Ganz einfach, es ist anders herum: die Politik will verbieten (kontrollieren und filtern) und sucht nach Vorwändenden und Möglichkeiten für die dazu benötigten Infrastruktur und Regelungen. Um Kinder geht es nicht, deswegen ist Wirksamkeit oder auch nur Evaluation kein Thema.

    3. „ Es wäre viel sinnvoller, die Kinder zu schulen, so wie man es auch in Unternehmen zum Thema IT-Security (Phishing) und Datenschutz bereits macht.“
      Die Wirkungen, die solche „Schulungen“ auf die IT-Security in Unternehmen haben, sind marginal! (https://www.heise.de/news/Verbesserung-von-nur-1-7-Prozent-Phishing-Training-fast-immer-wirkungslos-10539174.html)
      Die Forderung, s.g. „Medienkompetenz“ von Kindern zu stärken, ist ebenfalls Ausdruck von hilfloser Ahnungslosigkeit nicht nur in der Politik.

      1. Schulungen zum Thema IT-Security und Datenschutz sind prinzipiell so sinnvoll wie wirksam, und das bezweifelt auch niemand.

        Bei Phishing kann man schlicht annehmen, dass das ohnehin jeder weiss und weiteres Training daher nichts (mehr) bringt. Das ist wie zu schnelles Fahren: weiss auch jeder, weitere Schulung oder Schilder bringen nichts sondern das muss baulich oder anderweitig unterbunden werden.

  3. Die Entscheidungsgewalt dazu liegt eindeutig bei den Sorgeberechtigten und nicht bei der EU, dem Lehrerverband oder Sonstwem.

    Lege ich fest, dass mein Kind Social Media erst mit 16 Jahren nutzen darf, ist das geltendes Gesetz. Und das wird hier auch genau so sein.

    Die Gründe sind klar. Schutz vor Cybermobbing, Pädophilen, politischer Einflussnahme, Sucht, Abhängigkeit und Vermittlung von „falschen“ Werten.

    Dazu besteht ein besonderes Schutzbedürfnis bei der Datenverarbeitung von Minderjährigen. Unternehmen wie Meta oder Tiktok können diesen Schutz überhaupt nicht gewährleisten. Etliche Behörden greifen die Daten auf Social Media Plattformen ab und verwalten sie in intransparenten Systemen. Schlimmstenfalls in Software wie Palantir.

    Ein Kind hat also keine Kontrolle und keinen Sachverstand darüber wo wie dessen Daten erfasst, verwendet, verteilt werden und was damit in Zukunft geschieht.

    Genau deswegen ist die Nutzung unter 16 Jahren eigentlich rechtlich gar nicht praktikabel. Das Deutschland soetwas in sich Logisches nicht verstehen will, ist mir klar.

    Das BKA ist schliesslich auch nicht bereit dazu, schlimme Sachen im Darknet zu entfernen, die Kinder betreffen, obwohl es technisch sehr wohl möglich wäre. Hier ist eine ganze Menge staatlicherseits faul.

    Das entsprechend zu regeln und zu verantworten, ist daher reine Elternsache.

    1. „Schutz vor Cybermobbing, Pädophilen, politischer Einflussnahme, Sucht, Abhängigkeit und Vermittlung von „falschen“ Werten.“

      Der Großteil der Kinder wird nicht von Pädophilen sexuell belästigt. Wenn man das nicht weiß, dann läuft man Gefahr Menschen zu vertrauen, die aus welchem Grund auch immer das „kein Pädo“ Qualitätssiegel haben. Die Wissenschaft und Kriminalstatistiken zeigen ganz klar das Täter nicht anhand ihrer Neigung / Sexualität erkennbar sind.

      Dieses Stigma ggü. Pädohilen ist aber so groß und gesellschaftlich akzeptiert, das selbst Netzpolitik.org solche Beiträge anstandslos freischaltet. Stellt Euch einfach mal vor er hätte eine andere Minderheit ganz Pauschal als Gefahr hingestellt. Das wäre – wie bereits erwähnt – in Anbetracht der Tatsache das der Großteil der Täter keine sexuelle Ausrichtung auf Kinder haben genau das Gleiche.

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