Tech-Souveränität im EU-ParlamentDemokraten gegenüber Rechtsextremen uneins

Die rechtsextreme EU-Abgeordnete Sarah Knafo hat es geschafft, federführend einen Bericht zur Tech-Souveränität zu verantworten. Gemeinsam könnten die demokratischen Fraktionen sie überstimmen. Doch bislang können diese sich nicht einmal darauf einigen, auf welche Themen sich ihr Alternativbericht konzentrieren soll.

Sarah Knafo am Rednerpult des Europäischen Parlaments.
Die rechtsextreme Europaabgeordnete Sarah Knafo. – Alle Rechte vorbehalten EU-Parlament

Es ist ein brandaktuelles Thema: Wie kann Europa technologiepolitisch stärker auf eigenen Füßen stehen? Wenn Elon Musk der Ukraine droht, seine Starlink-Satelliten abzudrehen – was ist dann die Antwort Europas darauf? Welche Folgen hat es für die EU, wenn US-Präsident Trump den amerikanischen Tech-Unternehmen eigenwillige Anweisungen gibt oder wenn China die Halbleiterproduktion auf Taiwan verhindert?

Diese Fragen beschäftigen manche EU-Politiker:innen schon seit Jahren. Das Europäische Parlament arbeitet deshalb an einem Bericht, der Empfehlungen für solche Szenarien geben soll. Derartige Berichte haben zwar keine direkten Folgen, da die EU-Kommission nicht an sie gebunden ist. Sie zeigen aber auf, in welche Richtung das Parlament ein Thema gerne bewegen würde.

Das Problem bei diesem Bericht: Die rechteste der rechten Fraktionen im EU-Parlament, das Europa der Souveränen Nationen (ESN), hat sich hierfür die Federführung gesichert.

In der ESN-Fraktion sitzen die Parteien, die sogar für Marine Le Pens Rassemblement National zu rechts sind, etwa die Alternative für Deutschland oder die französische Reconquete-Partei. Deren Gründer Éric Zemmour hält den Feminismus für einen Vernichtungskrieg gegen weiße Männer und wurde schon mehrere Male wegen Hassrede verurteilt.

Überraschend konstruktive Forderungen

Umso überraschender ist es, dass der Berichtsentwurf von Zemmours Parteikollegin Sarah Knafo auf den ersten Blick nicht völlig weltfremd wirkt. Knafo will etwa empfehlen, dass die EU die in Zukunft in „strategischen“ Bereichen vorzugsweise in Europa einkaufen soll. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Ähnliches bereits angekündigt. Eine Forderung, die grundsätzlich auch die in Brüssel momentan viel diskutierte Euro-Stack-Initiative unterstützt. Die Initiative erfährt im EU-Parlament von den Linken bis zur konservativen EVP breiten Zuspruch.

Auch will Knafo weder gleich Elon Musk zum EU-Digitalkommissar ernennen noch Donald Trump die geheime Kommunikation der EU mitlesen lassen. Vielmehr weist sie darauf hin, dass die EU von US-amerikanischen Cloud-Anbietern abhängt, die US-Behörden Zugang auf ihre Daten gewähren müssen.

Eine andere Forderung Knafos ist jedoch direkt von ihrem großen Vorbild abgeschaut: Sie will, dass die EU für jedes neue Gesetz, dass sie etwa im Digitalbereich beschließt, zwei bestehende Gesetze abschafft. Als Vorbild dient hier mutmaßlich eine Anordnung aus Donald Trumps erster Amtszeit.

Politische steht Knafo dem US-Präsidenten nahe. Er hat sie, zusammen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, zu seiner Amtseinführung eingeladen.

Deregulieren ist nicht die Lösung

„Manche Empfehlungen in diesem Bericht werden uns voranbringen – neue Werkzeuge für die Industriepolitik, bessere Regeln für die öffentliche Beschaffung. Aber andere verwandeln die Souveränität in ein trojanisches Pferd für die Deregulierung“, warnt Jan Krewer gegenüber netzpolitik.org. Er beschäftigt sich für die NGO Open Future mit dem Thema digitale Souveränität.

Krewer fürchtet, dass Knafo die amerikanischen Tech-Riesen kurzerhand durch eine andere Gruppe austauschen will. Das hält Krewer aber nicht für ein erstrebenswertes Ziel. Er will vielmehr die Fähigkeit unserer Gesellschaft stärken, die eigene technologische Zukunft zu gestalten: „Europa muss mit besseren Alternativen anführen, nicht mit einer Agenda, die nur Unternehmensinteressen vertritt.“

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Ein weiterer Bericht als Alternative

Um den Rechtsextremen das Thema nicht zu überlassen, arbeiten die demokratischen Fraktionen im Parlament derzeit an einem Gegenentwurf zu deren Bericht. Das Problem: Sie können sich nicht darauf einigen, welche Themen sie in ihrem Alternativbericht behandeln wollen.

Das zeigte sich auch bei einer Sitzung des zuständigen Industrieausschusses in dieser Woche. Der Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP), der Schwede Jörgen Warborn, kündigte dort zwar an, gemeinsam mit zwei anderen Fraktionen, den Sozialdemokraten und den Liberalen, an einem Kompromiss zu arbeiten. Dabei habe man sich auf das Wesentliche konzentriert, betonte Warborn im Ausschuss.

Und in der Tat ist die Liste der Themen, die die drei Fraktionen gemeinsam behandeln wollen, sinnvoll: So soll sich der Alternativbericht auf Mobilfunk und Glasfaser, auf Satelliten, Supercomputer und KI sowie auf Datenzentren und Cybersicherheit konzentrieren. Alles wichtige Digitalthemen.

Streitpunkt öffentliche Beschaffung

Damit hört die Einigkeit zwischen den drei Fraktionen auch schon auf.

Denn Warborn kündigte an, er wolle noch Punkte zur Energieversorgung und auch zur Vereinfachung einbringen – und zwar nach dem gleichen One-In-Two-Out-Prinzip wie bei Trump und Knafo.

Die Sozialdemokratin Elena Sancho Murillo will dagegen zwar die EU-Digitalgesetze verbessern, aber nicht deregulieren. Außerdem würde sie im Bericht gerne etwas über öffentliche digitale Infrastruktur und die öffentliche Beschaffung lesen. Ebendas fordert auch die Rechtsextreme Knafo, nicht aber der Christdemokrat Warborn.

Auch Liberale und Grüne verfolgen ihre jeweils eigenen Ideen. Knafo konzentriere sich zu sehr darauf, Trump zu loben und die EU zu kritisieren, sagte der polnische Renew-Abgeordnete Michał Kobosko. Er erwähnte, ebenso wie die Grüne Alexandra Geese, die Euro-Stack-Initiative. Geese wies zudem auf die aus ihrer Sicht immensen Gefahren hin, die eine unberechenbare Trump-Regierung für die EU bedeute.

Geht es nach Geese, solle der Alternativbericht daher nicht nur fordern, europäische Daten auf Servern mit Standort in der EU zu speichern. Die Daten sollten außerdem auch wirksam davor geschützt werden, dass andere Länder – etwa die USA – auf sie zugreifen können. Außerdem will Geese einen europäischen Tech-Fonds einrichten sowie Open Source und offene Standards unterstützen.

Welche dieser zahlreichen und mitunter widersprüchlichen Forderungen es am Ende in den Bericht schaffen, ist derzeit noch völlig unklar. Die demokratischen Fraktionen im Parlament hatten bis gestern Zeit, ihre Änderungsanträge für den Bericht einzureichen. Nun müssen sie sich auf einen Kompromiss einigen. Gelingt ihnen das nicht, könnten am Ende die Rechtsextremen jubeln.

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