Gefährliche SymbolpolitikPornhub beugt sich britischen Alterskontrollen

Die britische Medienaufsicht hat sich durchgesetzt. Pornhub und weitere große Plattformen setzen jetzt rigorose Alterskontrollen durch. Als nächstes könnten VPN-Dienste ins Visier geraten. So wird der Jugendschutz zum Vorwand, um Grundrechte im Netz zu schleifen. Ein Kommentar.

Laptop mit geöffneter Pornub-Startseite im Browser
Menschen in Großbritannien sollen diese Seite nicht mehr ohne Weiteres öffnen dürfen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / yay images; Bearbeitung: netzpolitik.org

Ab heute, dem 25. Juli, müssen Plattformen mit potenziell für Kinder schädlichen Inhalten das Alter britischer Nutzer*innen kontrollieren. Die Grundlage dafür ist der Online Safety Act, durchgesetzt von der dortigen Medienaufsicht Ofcom.

Pornhub-Mutterkonzern Aylo, eines der weltgrößten Porno-Unternehmen, zieht mit und betont in feinster PR-Prosa, sich schon seit Jahren für das Thema eingesetzt zu haben. Andernorts, in Deutschland und Frankreich etwa, wehrt sich Pornhub erbittert gegen ähnliche Vorstöße vor Gericht. Denn auch in der EU drängen Politik und Behörden auf rigorose Altersschranken.

Großbritannien geht hier mit schlechtem Beispiel voran. Der Blick zum ehemaligen EU-Land lohnt sich, um zu sehen, wie man es nicht machen sollte.

Zu den in Großbritannien amtlich empfohlenen Methoden der Alterskontrolle gehören etwa der Upload von Ausweisdokumenten oder biometrische Gesichtsscans. Auch über Banken oder mithilfe von Kreditkarten können Nutzer*innen ihr Alter nachweisen. Betroffen sind nicht nur Pornoseiten, sondern ebenso andere Plattformen mit potenziell nicht jugendfreien Inhalten, darunter Reddit, Discord, Bluesky oder Grindr.

Behörde warnt vor Hürden, die sie selbst errichtet hat

Die von der Ofcom empfohlenen Methoden zur Alterskontrolle, die auf Dokumenten basieren, schließen nicht nur Menschen ohne Papiere aus – sie sind auch eine Gefahr für Datenschutz und Privatsphäre. Nicht minder bedenklich sind biometrische Gesichtsscans, denn Biometrie ist ähnlich invasiv.

Mithilfe von biometrischen Gesichtersuchmaschinen wie Clearview AI oder PimEyes lassen sich Menschen allein anhand ihres Gesichts identifizieren. Hinzu kommt potenzielle Diskriminierung: KI-basierte Systeme, die das Alter anhand des Gesichts abschätzen, machen Fehler, insbesondere bei Personen aus Gruppen, die in den Trainingsdaten unterrepräsentiert sind.

Es mutet zynisch an, wenn die britische Medienaufsicht selbst auf einer Infoseite schreibt:

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Die Behörde warnt also vor den Hürden, die sie selbst errichtet hat. Aus gutem Grund pocht die EU-Kommission in ihren Leitlinien zu Alterskontrollen auf Datensparsamkeit und Anonymität. Wobei nach wie vor zweifelhaft ist, ob sich die EU auch an ihre eigenen Maßstäbe halten wird.

Kontrollen lassen sich kinderleicht umgehen

Bei aller Kritik am „Wie“ von Alterskontrollen kann die Frage nach dem „Ob“ schnell in Vergessenheit geraten. Denn Fachleute für Medienpädagogik und für digitale Grundrechte hinterfragen, dass solche strengen Altersschranken überhaupt eingesetzt werden – auch im Interesse der Jugendlichen selbst. Der Grund: Minderjährige brauchen gute Infoangebote statt Verbote; sie brauchen vertrauensvolle Ansprechpersonen statt Ausweiskontrollen. Die leicht umgehbaren Kontrollsysteme bieten nur eine trügerische Sicherheit.

Die offenkundige Ignoranz gegenüber solchen Einwänden legt den Verdacht nahe, dass bei der beharrlich betriebenen Alterskontroll-Politik andere Motive eine Rolle spielen. So könnte es bei manchen Wähler*innen einen Eindruck von Durchsetzungskraft und Stärke hinterlassen, wenn Politik und Behörden Tech-Konzerne zum Einlenken bringen. Zudem dürfte ein Internet mit mehr Kontrollen und Datenspuren, mit weniger Anonymität und Freiheiten all jenen gefallen, die seit Jahrzehnten Überwachungsfantasien hegen.

Überwachungsfantasie ist das Stichwort für die Gefahr hinter der britischen Symbolpolitik. Stand aktuell werden die hart erkämpften Alterskontrollen keinen einzigen britischen Jugendlichen von Pornos fernhalten. Mit simplen Mitteln wie VPN-Software oder dem Tor-Browser lassen sich die Kontrollen kinderleicht umgehen. Sie verfehlen ihren angeblichen Zweck.

Die BBC zitiert einen britischen Nutzer, der ironisch von einer „schweren“ Entscheidung spricht: „Na klar gebe ich meine sensiblen Daten einfach irgendeinem unbekannten, nicht überprüften Unternehmen – oder… ich benutze eben ein VPN.“ Der Nutzer steht damit stellvertretend für viele andere. Auch in US-Bundesstaaten ging die VPN-Nutzung durch die Decke, nachdem deren Regierungen Pornoseiten zur Einführung von Alterskontrollen gedrängt hatten.

Medienaufsicht will Infos über VPNs einschränken

Wenig sinnvolle Alterskontrollen, die sich auch noch leicht umgehen lassen: Die Geschichte der britischen Alterskontrollen könnte eine Komödie sein, wenn sie an dieser Stelle enden würde. Das tut sie aber nicht.

Die Einführung der Alterskontrollen könnten sich nämlich nur als der erste Akt einer Tragödie erweisen, um Stück für Stück Anonymisierungs-Dienste wie VPN-Software oder Tor zu kriminalisieren. Solche Dienste gehören in den Werkzeugkasten digitaler Selbstverteidigung, um Grundrechte wie Datenschutz, Privatsphäre oder Informationsfreiheit zu wahren und Zensur zu umgehen. Wer ein VPN nutzt, verschleiert gegenüber dem eigenen Internet-Zugangsanbieter und dem Website-Betreiber die tatsächliche Herkunft; vertraut diese Informationen jedoch dem VPN-Anbieter an.

Der britischen Medienaufsicht sind VPN-Dienste jetzt schon ein Dorn im Auge, wie aus einer Leitlinie für Betreiber von Pornoseiten hervorgeht. Demnach sollen die betroffenen Seiten keine Inhalte zulassen, die Minderjährige dazu anleiten oder ermutigen, Zugangskontrollen zu umgehen. Verboten sind demnach „Informationen über oder Links zu einem Virtual Private Network (VPN)“.

Weg in eine düstere Zukunft

Solche Formulierungen erinnern auf beklemmende Weise an Gesetze aus autoritären Staaten, die den Zugang zur Informationen und damit die Meinungsfreiheit kontrollieren wollen. Zum Beispiel hat der Iran die Nutzung von VPN-Diensten verboten. Der russische Staat sperrt VPN-Dienste, die nicht mit Behörden kooperieren wollen.

Von den Ofcom-Leitlinien zu einem veritablen VPN-Verbot mag es noch ein langer Weg sein. Zunächst sollen es Pornoseiten ihren britischen Nutzer*innen lediglich nicht unter die Nase reiben, wie man ihre Kontrollen umgeht. Ohne Blick aufs große Ganze könnte man das als schlüssig betrachten. Allerdings ebnet es den Weg für radikalere Vorstöße.

Grassierende Alterskontrollen können also in eine düstere Zukunft führen, in der eines Tages auch in Großbritannien und der EU ernsthaft über die Kriminalisierung von VPN-Diensten diskutiert wird – natürlich nur im Namen des Jugendschutzes. Politiker*innen, die nach einem lückenlos überwachten Internet trachten, könnten mit gespielter Überraschung anprangern, dass die Alterskontrollen ja gar nicht wirksam sind und man da doch etwas unternehmen müsse. Sonst wären die jahrelangen Bemühungen umsonst gewesen; das dürfe man den Kindern nicht antun.

Und plötzlich stehen dann die Grundrechte von allen auf dem Spiel, die sich aus gutem Grund vor kommerzieller und staatlicher Überwachung im Netz schützen müssen, darunter Journalist*innen und Aktivist*innen, Dissident*innen und Oppositionelle, verfolgte Minderheiten, Whistleblower*innen und so weiter.

Währenddessen hilft niemand jungen Menschen, die einfach nur mehr darüber wissen wollen, wie Lust, Sex und Einvernehmlichkeit funktionieren. Dafür bräuchte es nicht etwa Beschäftigung mit Seiten wie Pornhub, sondern unverklemmte, der Entwicklung angemessene Angebote für sexuelle Aufklärung.

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8 Ergänzungen

  1. Die Mär von den angeblich so „schädlichen“ Einflüssen auf Jugendliche ist nicht auszurotten und treibt auch in Deutschland seit kurzem schwachsinnige Blüten.

    Wer z. B. seit gestern bestimmte Serien auf RTL wie z. B. GZSZ im Netz schauen will und die Folge aufruft, bekommt ein Popup zu sehen, auf dem sinngemäß steht:

    „Diese Sendung ist ab 12 Jahren. Du kannst sie wegen des Jugendschutzes nur zwischen 23 und 4 Uhr morgen sehen. Möchtest du sie vorher sehen, melde dich entweder mit einem Account an oder bezahle etc.“

    „GZSZ“ o. ä. gibt es seit 1992. Seltsam, wie alle, die es vielleicht so lange schau(t)en, bisher völlig ungeschädigt leben konnten oder können.

    Ausserdem offenbart dieser Fall eindeutig, dass es keineswegs (nur) um Jugendschutz geht, sondern darum, über diesen Bezahlschranken durchzusetzen.

      1. Davon habe ich noch nichts gehört/gesehen. Aber mindestens seit „Tutti-Frutti“ und ähnlichen.. ähm „Sendungen“ oder Big Brother ist eine Sache doch sehr klar. Das RTL der Sender (Die Gruppe) ist der die Grenzen des Schlechten Geschmacks bis an’s Limit austestet – nach UNTEN!.

        So gesehen wäre es doch eher im Kindeswohl gewesen wenn man dort angesetzt hätte. Und „Hätte“ man eine Medienaufsicht gehabt die das auch täte, wer weiß ob die Verrohung der Sitten heute überhaupt so weit gegangen wären. [Das war teil-ironisch gemeint]. Vermeintliche Christliche (Fundamentalisten) und Überwachungs-Fanatische Rechts-gerückte haben es bisher auch nicht besser hin bekommen. So What?

        Ich meine: Einerseits ließ man solche „Angebote“ durchgehen, und dann wird überreagiert – in Grunde gegen das Eigene Versäumnis.
        Wie Satire wirken demgegenüber die De-Regulierungsphantasien der EU und der Großen Provider. Die würden nur zu gerne von der Vorab-regulierung weg – hin zum gleichen Modell (des erst nachträglich [nicht?]korrigieren wollens).

        Wäre es nicht besser wenn der Staat lediglich wirksame Methoden nur schaffte um Kinder schützen zu KÖNNEN – damit deren Eltern diese Nutzen KÖNNEN um ihre Kinder aus den Erwachsenen-Bereichen des Internet heraus zu halten – zu Hause an PC, Tablet, Router und auf den Mobilen Geräten. Denn wenn es um Kinderschutz ginge, dann sollte man auch am Kinderschutz arbeiten. Und nicht den Umkehrschluß zu verfolgen das ALLE sich Anmelden/Identifizieren müßten – um damit erst die Kinder ausschließen zu können. Das allein belegt schon das es in dem Bereich niemanden um „Kinder“ geht, es geht um „Macht“ und „Kontrolle“ und zwar möglichst ALLER – außer natürlich denen die das Entscheiden. Nein Danke, auch hier will sicher niemand einen neuen König!

    1. „Ironie-Mode off“ hinzufügen.

      Aber richtig: schnell noch die Kunstharzform giessen, in der alle unter 14 Jahren, von allem Schrecklichen hermetisch abgeriegelt, zum reinen Betrachtungsobjekt mutieren.

      1. Ergänzung zu meiner Ergänzung:

        „Ironie-Mode off“ hinzufügen. <- Dieser Satz war auf einen Kommentar bezogen, der gelöscht wurde und nicht auf den von "Ach der Sender". Nur zur Klarstellung.

  2. „Aus gutem Grund pocht die EU-Kommission in ihren Leitlinien zu Alterskontrollen auf Datensparsamkeit und Anonymität. Wobei nach wie vor zweifelhaft ist, ob sich die EU auch an ihre eigenen Maßstäbe halten wird.“
    Was ich gerade in der heutigen Zeit absolut nicht glaube. Vor allem im Hinblick auf die Pläne der Chatkontrolle oder auch der Going-Dark-Gruppe, die die EU selbst gegründet hat und die gegen alles, was online sicher macht, vorgehen soll.

    Einerseits auf Datenschutz und Sicherheit pochen (DSGVO usw), aber andererseits riskieren wollen, dass bei Chatkontrolle massenhaft Daten und Informationen Unschuldiger an Behörden gehen, in deren Hände sie nicht gehören und Unschuldige Anzeigen kassieren, diese ihr restliches Leben verfolgen können.
    Einerseits so tun, als erachte man Datensparsamkeit als wichtig, aber andererseits permanent versuchen Vorratsdatenspeicherung einzuführen und diese auch im Rahmen der Going-Dark-Initiative zu erweitern.
    Einerseits mit dem Cyber-Resilience-Act ein Gesetz für sichere IT-Systeme einführen, aber andererseits im Rahmen der Going-Dark-Gruppe Hintertüren (oder Vordertüren) vorschreiben wollen.
    Einerseits mit der EUDI-Wallet so tun, als wolle man ein sicheres System für die Bürger errichten, aber andererseits über einen Pseudonym-Provider die Anonymisierung zerstören wollen.

    Immer wieder die selben Widersprüche in der EU, wegen denen bei solchen Aussagen starke Zweifel mehr als gerechtfertigt sind

  3. Passend dazu haben die Kreditkartenunternehmen auf Druck einer „radikalfeministischen“ australischen Organisation namens Collective Shout, die in Wahrheit vor allem autoritäre, erzpuritanische, evangelikal-fundamentalistische Positionen vertritt und von denselben US-Thinktanks finanziert wird, die uns auch die Trump-Regierung eingebrockt haben, jetzt auch Steam und sogar Itch.io genötigt, allzu anstößige Inhalte zu entfernen, nachdem sie bereits Patreon sowie etliche japanische Anbieter dazu erpresst haben. 17.000 Spiele bei Itch.io sind über Nacht verschwunden, darunter nicht nur explizit pornografische Titel, sondern genauso Spiele, die einfach nur Trans-Charaktere ohne jede sexuelle Andeutung zeigen – ein erster Hinweis darauf, dass es nicht bei Pornos bleiben wird, wenn man diese Zensoren, die in dem Fall nicht einmal demokratisch legitimiert sind, gewähren lässt.

    Immer häufiger maßen private Organisationen und Großkonzerne sich an, Aufgaben zu übernehmen, die in den Bereich der Legislative, Exekutive und Judikative und damit unter das staatliche Gewaltmonopol fallen. Der Staat duldet es, weil es sich mit seinen Zielen deckt: Besonders die selbsternannten „Konservativen“ und „Jugendschützer“ haben bekanntlich für Pornografie eine zumeist religiös-fundamentalistisch begründete Hasslatte, und Politik wie Behörden empfinden ein freies, anonymes Internet als einen Unfall der Geschichte, den sie mit allen Mitteln beseitigen und sich nicht nochmal passieren lassen wollen. Getreu dem Motto: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Von wem stammt das noch gleich?

    Und praktischerweise gilt das Grundgesetz nicht für Private, die können also all die Grenzen überschreiten, die dem Staat aus gutem Grund gesetzt sind – rausreden kann man sich ja immer mit der „Vertragsfreiheit“.

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