BundesgesundheitsministeriumElektronische Patientenakte geht mit weniger Funktionen an den Start

Das Bundesgesundheitsministerium widerspricht Medienberichten, wonach sich der Rollout der „elektronischen Patientenakte für alle“ verzögere. Allerdings geht die Akte voraussichtlich mit weniger Funktionen als geplant an den Start. Viele der Beteiligten werden dies wohl mit Erleichterung aufnehmen.

Bundesminister für Gesundheit Karl Lauterbach (SPD) schaut in die Luft. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die elektronische Patientenakte (ePA) wird offenbar doch ab dem 15. Februar 2025 allen Versicherten zur Verfügung stehen. Das teilte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von netzpolitik.org mit.

Einen Monat zuvor, am 15. Januar, startet eine „kontrollierte Einführungsphase“ in drei Modellregionen in Hamburg und Franken (Bayern) und Nordrhein-Westfalen. Währenddessen wird die ePA sukzessive bundesweit ausgerollt, so dass jede:Versicherte eine Akte erhält. „Ab Anlage der ePA kann jede/r Versicherte/r Dokumente in seine ePA einstellen bzw. über die Kassen einstellen lassen und die sogenannten Abrechnungsdaten einsehen“, so das Ministerium.

Allerdings verfügt die ePA dann voraussichtlich über weniger Funktionen als geplant. Denn erst nach einer „erfolgreichen Pilotphase von etwa vier Wochen“ müssen die Softwarehersteller die Praxis- und Krankenhausverwaltungssysteme mit den neuen ePA-Modulen ausstatten. Auch die Leistungserbringer sind erst nach dem erfolgreichen Probelauf dazu verpflichtet, die ePA zu nutzen, so das Ministerium. Die Module binden Praxen, Krankenhäuser und Apotheken technisch an die digitale Patientenakte an.

Konfuse Kommunikation

Das Ministerium widerspricht damit Medienberichten, wonach der bisherige Zeitplan nicht mehr zu halten sei. Die Grundlage für diese Darstellung hatte es allerdings selbst gelegt.

Unter anderem dem „Spiegel“ und dem Ärztenachrichtendienst liegt ein Brief von Susanne Ozegowski vor. Die Leiterin der Abteilung 5, Digitalisierung und Innovation, im Bundesgesundheitsministerium, hatte darin dem Bundesverband Gesundheits-IT mitgeteilt, dass der bisherige Zeitplan „trotz aller Bemühungen auf allen Seiten“ nicht mehr zu halten sei.

Gestern hatte Ozegowski dann auf LinkedIn geschrieben, dass die ePA am 15. Januar zunächst wie geplant in Modellregionen starte. Über einen Zeitraum von vier Wochen werde sie dann bundesweit ausgerollt. „Sobald die Qualität dort stimmt, sind alle Ärzte/ Apotheken/ Krankenhäuser bundesweit verpflichtet, die ePA zu nutzen“, schreibt Ozegowski. Dies werde „frühestens ab Mitte Februar 2025“ der Fall sein.

Die Sorgen der Ärzt:innen

Das die neuen ePA-Module erst später kommen, werden viele der Beteiligten wohl mit Erleichterung quittieren. Das Ministerium hatte den Zeitplan vor einem Jahr veröffentlicht. Schon damals gab es Bedenken, dass die technische Umsetzung der ePA rechtzeitig zum geplanten Start erfolgen könnte.

Laut einer aktuellen Befragung im Rahmen des „Praxisbarometers Digitalisierung 2024“, die das Iges-Institut im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) durchgeführt hat, sorgen sich Ärzt:innen und Therapeut:innen, dass die ePA zu bürokratischem Mehraufwand und IT-Ausfällen führen wird.

Gestörte Infrastruktur und Sicherheitsprobleme

Dass die Befürchtungen berechtigt sind, zeigen die Erfahrungen mit dem elektronischen Rezept (E-Rezept). Dessen verpflichtende Einführung zum Jahresanfang verlief überaus ruckelig. Inzwischen hat sich die Anwendung zwar etabliert, 95 Prozent der Praxen nutzen heute das E-Rezept. Allerdings kommt es weiterhin immer wieder zu Störungen der Telematikinfrastruktur.

Darüber hinaus haben Forschende des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie (Fraunhofer SIT) Ende August das gematik-Konzept der ePA unter die Lupe genommen. Dabei haben sie schwere Schwachstellen ausgemacht, die vor dem Start der elektronischen Patientenakte noch geschlossen werden sollten.

Zwanzig Jahre Schattendasein

Mit dem Start der ePA erhalten alle gesetzlich Versicherten, auch Kinder, nach und nach eine sogenannte elektronische Patientenakte – es sei denn, sie widersprechen („Opt-out“). Langfristig will das Bundesgesundheitsministerium so erreichen, dass bis zu 80 Prozent der Versicherten die ePA aktiv nutzen. Verbraucherschützer:innen kritisieren, dass dieser Widerspruch nur mit Hindernissen möglich ist.

Die ePA soll alle Informationen rund um die Gesundheit von Versicherten gebündelt speichern – von vergangenen Behandlungen und Operationen über den Impfstatus, frühere MRT-Aufnahmen bis zu verschriebenen Medikamenten.

Die Geschichte der ePA reicht mehr als zwanzig Jahre zurück. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schob das Vorhaben im Jahr 2003 mit dem Versprechen an, die ePA könne Milliardensummen einsparen und Leben retten. Über die Jahre verschlang das Vorhaben allerdings Milliarden. Derzeit nutzt sie nur gut ein Prozent der Versicherten.

Update, 22.11.2024, 17 Uhr: Nach einer Klarstellung des Bundesgesundheitsministeriums auf Anfrage von netzpolitik.org haben wir diesen Beitrag überarbeitet.

8 Ergänzungen

  1. Mich beschäftigt (aus eigener Betroffenheit) eine Frage, die ich trotz eigener Recherche nicht beantworten konnte, vielleicht hat von den hier Lesenden jemand mehr Ahnung (oder einen höheren Gurt im Gugl-Fu):
    Wie steht es mit der ePA für Menschen, die nur „Notversorgung“ und idR damit auch keine Versichertenkarte erhalten? Beispielsweise Geflüchtete, oder auch Bundesbürger*innen, die aufgrund von Beitragsrückständen das reguläre Leistungsangebot nicht nutzen dürfen (also „Ruhen des Leistungsanspruchs“)?
    Haben die auch eine ePA, aber dann mangels Karte dann keinerlei Möglichkeit, diese zu nutzen/nutzen zu lassen? Oder sind die mangels Solvenz eh für das Health Management uninteressant* und bekommen keine ePA?
    Vielleicht widerspreche ich einfach mal präemptiv und proaktiv und schaue, was passiert :)

    * Dieser Satz kann produktionsbedingt Spuren von Zynismus enthalten.

  2. Die ePA ist eine Missgeburt des Versuchs, die Patientendaten beliebig abgreifen zu können.
    Viele Stakeholder kochen ihr Süppchen, aber lassen die informationelle Selbstbestimmung des Patienten außen vor. Es ist einfach nicht erwünscht, dass dieser der Kurator seiner eigenen Daten ist.
    Auch eine Verschlüsselung mittels eines persönlichen Schlüssels auf der Gesundheitskarte ist da schlicht störend. Für den Notfall könnte man ja über einen Generalschlüssel mit protokolliertem Einsatz und an den großen Baum hängen bei Mißbrauch nachdenken. Obwohl ich davon ausgehe, dass im Stressfall eh keine langwie3ig eine ePA durchforstet.

    Der größte Teil ist Show für die Pharnakonzerne.

  3. „Verbraucherschützer:innen kritisieren, dass dieser Widerspruch nur mit Hindernissen möglich ist.“

    Das verstehe ich nicht. Ich lebe in der Modellregion Franken und konnte ohne das geringste Problem widersprechen. Einfach mit den Zugangsdaten, die meine Kasse mir per Schneckenpost geschickt hatte.

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