Wochenrückblick KW12Von unkontrollierbaren Standortdaten und Pornoregulierungsfantasien

In dieser Woche steht das netzpolitische Vorgehen der Bundesregierung und der EU im Fokus: Der erste Haushaltsentwurf wurde im Parlament beraten, die EU-Innenkommissarin hält offenbar an der Chatkontrolle fest. Außerdem beschäftigt uns der fragwürdige Umgang mit sensiblen Standortdaten.

Ein Koala hängt an einem Baum und hat die Augen geschlossen. Im Vordergrund und im Hintergrund sind unscharf grüne Blätter zu sehen.
Auch von Netzsperren lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Michael Williams II

Wie oft benutzt ihr die Wikipedia? Und was, wenn die plötzlich nicht mehr erreichbar ist? Vor diesem Szenario fürchten sich momentan offenbar Nutzer:innen in Russland. Denn seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges steigen die Downloadzahlen für eine Offline-Version, da eine Sperrung der Online-Enzyklopädie befürchtet wird.

Viele Medien und soziale Netzwerke sind aus dem Land schon nicht mehr erreichbar, regelmäßig kommen neue dazu. Nun trifft es auch Google News. Die russische Medienaufsichtsbehörde hat gerade die Sperrung angeordnet. Bleibt fast nur noch YouTube, doch fragt man sich, wie lange noch…

Übrigens: Das Interview zum unabhängigen russischsprachigen Exil-Medium Meduza haben wir in dieser Woche auch auf Englisch veröffentlicht. Katerina Abramova berichtet dort über die Arbeit im Exil und wie Menschen in Russland trotz aller Hindernisse noch auf unabhängige Informationen zugreifen können.

Mittels der Spähsoftware Pegasus lassen sich Handys überwachen, durchsuchen und abhören. Das israelische Unternehmen NSO Group darf die Software nur für staatliche Akteure lizensieren. Der Guardian und die New York Times berichten nun, dass das israelische Verteidigungsministerium den Kauf der Software durch ukrainische Vertreter:innen verhindert hat. Der vermutete Grund: Israel wollte Russland nicht verärgern.

Intransparentes Vorgehen

Eine Recherche der Tagesschau hat sich Kommentare auf der Videoplattform TikTok angeschaut. Oder vielleicht eher: nicht sichtbare Kommentare. Denn manche Wörter waren offenbar unerwünscht und führten dazu, dass Beiträge anderen Nutzer:innen nicht angezeigt werden. Dazu gehörten etwa „LGBTQ“, „Nationalsozialismus“ und der Name der verschwundenen chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai. TikTok hat daraufhin „Fehler“ eingestanden und die Sperrungen teilweise bemerkenswert begründet.

Smartphones lassen sich nicht nur nutzen, um TikTok-Videos dauerzuscrollen, auch immer mehr politische Kommunikation findet auf den Hosentaschen-Gehirnen statt. Der britische Premierminister Boris Johnson nutzte dafür offenbar teils private Accounts und selbstlöschende Nachrichten. Nichtregierungsorganisationen sehen das als Beleg dafür, dass er sich öffentlicher Kontrolle entziehen will und bringen das Ganze vor Gericht.

Ein Gerichtsverfahren gab es auch zwischen zwei Datenhändlern. Dadurch kam heraus, wie leichtfertig die Daten-Industrie mit Standortdaten handelt und wie wenig Einfluss die Daten-Broker (und noch weniger die Nutzer:innen) darauf haben, was mit ihnen am Ende passiert.

Dazu passt eine Recherche von mobilsicher.de zu muslimischen Gebets-Apps. Das Verbraucherschutzportal hat einige unter die Lupe genommen und herausgefunden: Viele geben Standortdaten an Drittfirmen weiter. Die hochsensiblen Informationen lassen nicht „nur“ Rückschlüsse auf Religionszugehörigkeit, sondern das Leben der Gläubigen zu.

Über unwirksame Regulierungen

Keine Woche ohne Neuigkeiten zu Pornoregulierungsfantasien. Im Interview mit Übermedien wünscht sich Medienaufseher Tobias Schmid mehr Befugnisse. Er redet von „freiwilligen Netzsperren“ für Ausweichdomains und davon, den Pornoseiten den Geldhahn zuzudrehen. Und hier noch ein Moneyquote aus dem empfehlenswerten Übermedien-Podcast: „Ich bin nicht ganz sicher, ob die optisch intensive Darstellung von Gangbang so wahnsinnig meinungsbildungsrelevant ist.“

Unsere große Recherche zur Pornoplattform XVideos haben wir übrigens nochmal in einem Podcast aufbereitet. Dort nehmen wir euch mit hinter die Kulissen und reden darüber, wie man ein Pornoimperium durchleuchtet, was die Probleme auf XVideos sind und wie ihr dazu beigetragen habt, einen öffentlich-rechtlichen Porno zu finanzieren. Die Frage, ob der zur Meinungsbildung beiträgt, überlassen wir aber euch.

Ein bisschen härtere Regulierung könnte man sich beim Recht auf schnelles Internet wünschen. Dazu hatte die Bundesnetzagentur einen ersten Vorschlag gemacht, mit dem aber niemand so recht zufrieden war. Allein der zweite Vorschlag der „Telekommunikationsmindestanforderungsverordnung“ macht es auch nicht viel besser.

Schon reguliert, aber noch nicht vollends wirksam ist eigentlich der Schutz von Verbraucher:innen bei Mobilfunkverträgen. Das Telekommunikationsgesetz sollte ihre Position stärken, sie sollen etwa vor Unterschrift eine Zusammenfassung der oft langen Verträge bekommen. Aber die neuen Regeln sind noch nicht überall angekommen, die Verbraucherzentrale NRW nimmt sich jetzt des Themas an.

Überwachung und Unsicherheit

Der Gründer der Gesichtersuchmaschine PimEyes ist erneut mit einem Unternehmen in der EU aufgetauscht: Public Mirror. PimEyes hatte biometrische Daten von Millionen Gesichtern in einer Datenbank gespeichert, so konnte mittels Bildern nach Gesichtern gesucht werden. Nach einer Welle der Kritik ist PimEyes auf die Seychellen verschwunden, Public Mirror bietet jetzt einen ähnlichen Service an.

Das Parlament hat zum ersten Mal über den Haushaltsentwurf der Bundesregierung beraten. Eines kristalisiert sich heraus: Digitalisierung steht nicht im Vordergrund. Im Hinblick auf die aktuellen Krisen bleibt für einige digitalpolitische Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag kein Platz. Auch in anderen Fragen bleibt eine Kontinuität zur alten GroKo: Vor allem für Sicherheitsbehörden und Geheimdienste wird es mehr Geld geben.

Ein interner Prüfbericht der EU-Kommission zeigt, dass die EU-Innenkommissarin offenbar weiter nach Wegen sucht, europaweit eine neue Form von Massenüberwachung einzuführen. Es geht unter anderem um die sogenannte Chatkontrolle, mit der Inhalte auf Smartphones vor der Nutzung von Messengern gescannt werden sollen. Wir veröffentlichen and analysieren den geleakten Bericht.

Verbesserungsfähig beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt wäre auf jeden Fall die Praxis deutscher Behörden. Denn die Rekordzahlen bei Ermittlungen gegen Kindesmissbrauch im Internet führen nicht dazu, dass diese Materialien auch konsequent gelöscht werden. Das liegt wohl auch daran, dass es die Bundesregierung gar nicht als Aufgabe des Bundeskriminalamtes sieht, das gefundene Material auch zum Löschen zu melden.

Von Sicherheit und Fairness

Kritisch waren wir auch mit uns selbst und haben den Sicherheitsvorfall bei uns aus dem letzten November nochmal aufbereitet. Was ist passiert? Wie konnte es dazu kommen? Und was haben wir seitdem geändert?

Was wir nicht getan haben war auf jeden Fall zurückzuhacken, denn das ist ja bekanntermaßen problematisch. Dennoch steht diese Form der sogenannten aktiven Cyberabwehr nun nach einem Interview der Innenministerin Nancy Faeser wieder zur Diskussion. Sicherheitsforschende warnen in diesem Zusammenhang seit Jahren vor einer Eskalation im digitalen Raum und Kollateralschäden. Außerdem schließt der Koalitionsvertrag Hackbacks eigentlich aus.

Seit dem Jahr 2018 ist es der Polizei in Nordrhein-Westfalen möglich, Personen länger festzuhalten, ohne dass eine Straftat vorliegen muss. Eine Änderung im Polizeigesetz, mit der Begründung Terrorismus zu bekämpfen, legt dafür den Grundstein. Neue Zahlen zeigen jetzt, dass Aktivist:innen aus der Klimabewegung die größte Gruppe der Menschen in diesem Langzeitgewahrsam sind.

Neues aus Brüssel

Mit dem Digitale-Märkte-Gesetz will die EU für mehr Fairness im digitalen Geschäftsraum sorgen. Im Rahmen von Trilog-Verhandlungen konnte sich die EU jetzt auf einen Gesetzentwurf einigen. Markus Beckedahl hat sich den Entwurf angesehen und kommentiert.

Die EU erarbeitet neue Regeln zur Plattformarbeit. Danach müssten künftig einige Plattformunternehmen ihre Arbeiter:innen als Angestellte und nicht mehr als Selbstständige behandeln. Darunter könnte auch die Reinigungsvermittlung Helpling fallen, analysiert der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC. Helpling sieht das anders.

Und am Ende noch etwas zum Scrollen. Der Erfinder des GIF-Formats Stephen Wilhite ist im Alter von 74 Jahren verstorben. Wir haben einen Nachruf in 11 GIFs geschrieben und danken für all die Ablenkung im Internet, auch wenn das gar nicht sein ursprüngliches Ziel war.

In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende euch allen!

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

0 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.