In Indien wird in den nächsten drei Monaten eine offizielle Stelle für Beschwerden gegen die Content-Moderation von Social-Media-Plattformen eingerichtet. Das hat das indische Ministerium für Elektronik und Informationstechnologie laut Medienberichten am vergangenen Freitag bekanntgegeben.
Der Beschwerde- und Berufungsausschuss („Grievance Apellate Committee“, kurz GAC) soll Beschwerden aufnehmen, die Nutzer:innen gegen die Moderationsentscheidungen der Plattformen erheben. Die indische Regierung begründet diesen Schritt damit, dass bisher keine ausreichenden Möglichkeiten bestünden, das Vorgehen der Plattformen anzufechten, um beispielsweise gegen eine Entfernung oder Wiederherstellung von Inhalten vorzugehen.
Die indische Nachrichtenseite „The News Glory“ berichtet unter Berufung auf nicht näher genannte Regierungskreise, dass die Regeln nicht nur für Social-Media-Plattformen, sondern auch für Dating-Apps wie Tinder oder E-Commerce-Unternehmen wie Amazon gelten sollen.
Zeitdruck bei der Bearbeitung von Beschwerden
In Indien gibt das Informations- und Technologiegesetz den Rahmen für die Beziehung zwischen Regierung und Plattformen vor. Es gilt in der aktuellen Form seit 2021 und muss für die Einrichtung des Beschwerde- und Berufungsausschusses angepasst werden. In Teilen ähneln die Regeln dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Schon seit vergangenem Jahr müssen die Plattformen jeweils Ansprechpartner:innen (Grievance Officer) im Land benennen, die Beschwerden entgegennehmen.
Diese Regeln reichten jedoch nicht aus, um die Grundrechte zu schützen, sagt die Regierung von Premierminister Narendra Modi. Die neue Beschwerdekommission sollen aus drei Personen bestehen, die von der Regierung benannt werden. Darunter soll sich je ein:e Regierungsvertreter:in befinden, die anderen zwei Personen sollen regierungsunabhängig sein.
Zunächst sollen ein bis zwei GACs eingerichtet werden, sagt IT-Minister Rajeev Chandrasekar. Je nach Bedarf werde die Anzahl der Beschwerdekommissionen erhöht.
Die neuen Regeln verpflichten die Plattformen auch dazu, Beschwerden von Nutzer:innen innerhalb eines Tages anzunehmen und dann innerhalb von zwei Wochen zu bearbeiten. Geht eine Beschwerde mit dem Wunsch einher, ein Posting zu entfernen, gilt nur eine 72-Stunden-Frist.
„Staatliche Zensurstelle“ hat das letzte Wort
Unklar ist bislang, welche Prinzipien den Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse zugrunde liegen werden. Diese könnten ihre Entscheidungen entweder auf Grundlage der lokalen Gesetze Indiens oder aber auf der Content Moderation Policy der jeweiligen Plattform treffen.
Die indische Nichtregierungsorganisation „Internet Freedom Foundation“ kritisiert das Vorhaben der Regierung scharf. Sie bezeichnet die Kommissionen als „staatliche Zensurstellen“. Durch die neuen Regeln würden Bürokrat:innen zu Schiedsrichter:innen über die freie Meinungsäußerung im Internet.
Schon seit Jahren steht die Internet- und Kommunikationsfreiheit in Indien stark unter Druck. Die indische Regierung ordnet häufiger als jedes andere Land auf der Welt Internet-Shutdowns an. Kritik an ihrer Corona-Politik hat sie dadurch unterbunden, indem sie die Konten jener Twitter-Nutzer:innen, die sich kritisch äußerten, kurzerhand sperren ließ. Die Pressefreiheit in Indien wird von Reporter ohne Grenzen als „schlecht“ eingestuft.
Die Regierung war in der Vergangenheit deshalb immer wieder in Streit mit Social-Media Plattformen geraten. So forderte sie etwa die Entfernung der Postings und Konten von Protestierenden, die gegen eine umstrittene Agrarreform auf die Straße gegangen waren. Diesen Forderungen wollten die Plattformen teilweise nicht nachkommen. Daraufhin hat die Regierung in Indien lebenden Twitter-Mitarbeitenden mit Gefängnisstrafen gedroht.
Seit einer Gerichtsentscheidung im Juli 2021 haftet Twitter in Indien für die Inhalte, die Nutzer:innen auf der Plattform veröffentlichen. Damit wurde ein Anreiz geschaffen, Inhalte proaktiv zu löschen, noch bevor eine Aufforderung oder eine Klage erfolgte.
Content Moderation wider Willen?
Die „Internet Freedom Foundation“ befürchtet, dass die Plattformen künftig noch mehr Inhalte entfernen, die der Regierung missfallen könnten – im Wissen darum, dass letzten Endes Regierungsorgane eine Entscheidung über die Zulässigkeit gewisser Inhalte fällen werden. Die Regierung wiederum könnte die Plattformen dazu drängen, Inhalte, die den eigenen Community-Richtlinien widersprechen, im Netz zu belassen. Darüber hinaus warnt „Internet Freedom Foundation“ vor einer undurchsichtigen und willkürlichen Auswahl an Beschwerden für die Überprüfung durch die Beschwerdekommissionen.
Dementgegen versucht Minister Rajeev Chandrasekar den Eindruck zu vermitteln, als wolle sein Ministerium die neue Aufgabe nur widerwillig erledigen. Die Regierung sehe sich dazu genötigt, die Content Moderation zu übernehmen, da der Beschwerdemechanismus bisher nicht ausreichend funktioniere, sagt er laut dem Indian Express.
Die Regierung hat bereits auf den Kauf des Kurznachrichtendienstes Twitter durch Elon Musk reagiert. Dieser hatte vor zuvor mehrfach angekündigt, die Meinungsfreiheit auf der Plattform wieder stärker durchsetzen zu wollen. Die Regierung betont nun, dass Twitter sich dessen ungeachtet an die lokalen Vorgaben in Indien halten müsse.
Scheint sich ja in nichts von den deutschen Gepflogenheiten nach NetzDG zu unterscheiden, siehe Faeser vs. Telegram. Womöglich etabliert sich auf der Basis weltweit ein gewisser Standard.