Coronakrise in IndienKritik an Regierung? Gelöscht.

Der indische Premierminister Modi will keine Kritik an seiner Corona-Politik hören. Twitter und weitere soziale Netzwerke sollen deshalb regierungskritische Posts löschen. Ein neues Mediengesetz bringt derweil unabhängigen Journalismus in Gefahr.

Nicht jede Person hält sich in Indien an die Regeln, die Regierung unterbindet jede Kritik an ihrer Politik online. (Symbolbild). – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Swarnavo Chakrabarti

Die Zahl der Corona-Erkrankten steigt in Indien massiv an, die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich zu. Die bisherige Corona-Politik der Regierung wird deshalb von vielen Seiten, unter anderem von der Opposition, stark kritisiert. Die indische Regierung versucht dagegen vorzugehen, sie hat Twitter, Facebook und Instagram aufgefordert, über 100 Beiträge zu löschen, in denen ihr Umgang mit der Pandemie kritisiert wird.

Das Transparenz-Projekt Lumen hat die Anfragen der indischen Regierung offengelegt und die URLs der Posts, die gesperrt werden sollten, veröffentlicht. Der Regierung zufolge schürten die Posts Panik, wären aus dem Zusammenhang gerissen und würden verhindern, die Pandemie zu bekämpfen. Den veröffentlichten Anfragen nach bezieht sich die Regierung auf das Informations- und Technologiegesetz, das die Regierung in der Vergangenheit bereits benutzte, um regierungskritische Beiträge während der Bauernproteste löschen zu lassen.

Wie die Internetseite MediaNama, auf der Analysen zur indischen Technologiepolitik veröffentlicht werden, berichtet, hat Twitter über 100 Posts gelöscht. Einige gehörten zu Konten von Oppositionellen, auch ein Mitglied des Parlaments sei betroffen. Laut dem indischen Nachrichtenmagazin The Wire hätten alle gelöschten Posts verifizierter Accounts die Regierung in Frage gestellt. Eine Unternehmenssprecherin von Twitter sagte gegenüber TechCrunch, dass bei Sperr-Anfragen immer geprüft werde, ob Twitter-eigene Regeln und oder lokale Gesetze verletzt würden. Verstoßen Beiträge gegen Twitter-Regeln, würden sie vom Netz genommen, ansonsten werden sie nur für das jeweilige Land gesperrt, sind aber von außen weiterhin einsehbar.

Ein Parlamentsmitglieds kritisierte in seinem Post den Umgang der Regierung mit der Pandemie und verwendete den Hashtag #ModiMadeDesaster. Sein Post war auf der Liste der Regierung und ist jetzt bis auf Weiteres in Indien gesperrt:

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Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte am Montag, als sie auf die Sperr-Anfragen der indischen Regierung angesprochen wurde, dass diese „sicher nicht mit ihrer [der US-amerikanischen] Auffassung von Meinungsfreiheit auf der ganzen Welt übereinstimmen“.

Twitter und die indische Regierung

Der restriktive Umgang der nationalistischen Regierung von Premierminister Narendra Modi mit Meinungsäußerung im Internet, insbesondere in sozialen Medien, gerät immer wieder in die Kritik. Zuletzt kam es im Februar zu einer Auseinandersetzung zwischen Twitter und der indischen Regierung.

Twitter hatte auf Anweisung der Regierung hunderte Accounts und Posts gesperrt, welche die damals stattfindenden Bauernproteste zum Inhalt hatten. Nach heftiger Kritik innerhalb und außerhalb Indiens entsperrte das Unternehmen die Accounts und Posts teilweise wieder. Die indische Regierung drohte Twitter daraufhin mit Konsequenzen in Form einer Geldstrafe und im schlimmsten Fall mit einer Haftstrafe für indische Twitter-Mitarbeitende. Nachfolgenden Sperr-Anfragen kam Twitter nach, kündigte sie jedoch vorher an und benachrichtigte Betroffene. Auch dieses Mal betont das Unternehmen, die Betroffenen benachrichtigt zu haben.

Nilay Patel, Chefredakteur des amerikanischen Techportals The Verge kritisiert dennoch Twitters Vorgehen: Indien sei in einer humanitären Krise, dass Twitter verhindere, dass das geteilt werde, sei ein „moralisches Versagen“.

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Digitaler Autoritarismus?

Die indische Regierung hat im Februar verschärftere Regeln beschlossen, die innerhalb von drei Monaten in Kraft treten sollen und macht damit mehr Eingriffsmöglichkeiten in soziale Medien rechtsgültig. Ende März haben zehn NGOs, unter anderem AccessNow und Human Rights Watch, einen offenen Brief verfasst, in dem sie den Umgang der Regierung mit kritischen Stimmen, das Vorgehen gegen Journalist*innen und die neuen Regeln kritisieren.

Raman Jit Singh Chima, der Leiter der Asien-Pazifik-Politik bei AccessNow, sagte, der Zeitpunkt der neuen Regulierungen, kurz nachdem Twitter Sperr-Anfragen nicht direkt nachgekommen war, sei als Drohgebärde zu verstehen. Die indische Regierung signalisiere, dass weitreichende Regulierungen folgen würden, sollten sich Unternehmen nicht an ihre Regeln halten.

Zusätzlich zu Maßnahmen gegen Darstellungen von Kindesmissbrauch oder Gewaltaufrufen behält die indische Regierung sich vor, alle Posts entfernen zu lassen, die „die Interessen der Souveränität und Integrität Indiens“, den Anstand oder die Moral verletzen. Die Konzerne haben seit der neuen Regelung 36 Stunden Zeit, einen Inhalt nach einer Sperr-Anfrage der Regierung zu löschen.

Die Plattformen werden ebenfalls verpflichtet, die Nutzendendaten auf Anfrage an Strafverfolgungsbehörden herauszugeben. Außerdem sind die Konzerne verpflichtet, eine Ansprechperson zu benennen, die die rechtlichen Konsequenzen in dem Land trägt, sollte das Unternehmen beispielsweise Sperr-Anfragen nicht nachkommen.

Die NGOs appellieren in ihrem offenen Brief auch an die großen Tech-Konzerne, die Menschenrechte zu respektieren und zu versuchen, entgegen manchen Regierungen den Spielraum des lokalen Gesetzes so weit es geht auszureizen, um freie Meinungsäußerung so wenig wie möglich einzuschränken.

Unabhängiger Journalismus in Gefahr

Die neuen Regulierungen schränken auch digitale Medien weiter ein. In Indien hat sich eine junge Generation kritischer Berichterstattender gebildet, die hauptsächlich online veröffentlichen und unabhängig von der Regierung und traditionellen Geldgebern arbeiten. Die neuen Regeln führen dazu, dass ihre Beiträge einem staatlich geführten Komitee untergeordnet sind, das Beiträge blockieren, löschen und sogar ganze Websites sperren kann. Der Informationsminister Prakash Javadekar sagte laut der New York Times, dass Pressefreiheit wichtig sei, aber mit verantwortungsbewussten, begründeten Regeln.

Dem Gründer des Onlinemagazins The Wire, Sidharth Varadarajan, zufolge würden die neuen Regulierungen über grundlegende Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit hinausgehen und seien verfassungswidrig. Die zahlreichen Verleumdungsklagen gegenüber Journalist*innen würden zeigen, wie bestehende Gesetzte schon jetzt genutzt würden, um digitale Medien zu regulieren. Laut der Internet Freedom Foundation könnten die neuen Regeln mehr staatliche Aufsicht und mehr Zensur bedeuten.

Die Stiftung für unabhängigen Journalismus, die das Onlinemagazin The Wire herausgibt, hat mit einigen Journalist*innen eine Petition vor dem obersten indischen Gerichtshof eingereicht, um das Gesetz anzufechten. Die Antragsteller argumentieren, dass das neue Gesetz ähnliche Regulierungen für Online-Inhalte vorsehe wie ein anderes Gesetz, das der oberste Gerichtshof bereits verhinderte. Es sei der Versuch, durch kleinere Gesetze mehr Kontrolle durchzusetzen, die gegen das übergeordnete Gesetz verstießen. Die Anwältin Nitya Ramakrishnan, die die Antragsteller vertritt, sagte laut dem juristischen Nachrichten-Portal Bar & Bench vor Gericht, dass die neuen Regeln „weit über alles hinausgingen, was in einer Demokratie zulässig ist“.

Das IT-Gesetz sollte sich nicht mit der Regulierung elektronischer Inhalte beschäftigen, es sei denn, es gehe um Cyberkriminalität, explizit sexuelles Material, Kinderpornografie, Manipulation oder Diebstahl. Dies treffe jedoch auf kein Nachrichtenportal zu, weswegen deren Inhalte nicht unter das Gesetz fallen sollten. Eine Aufsicht der Regierung über den Inhalt von Nachrichtenmedien liege nicht im Rahmen des Gesetzes, heißt es in der Petition. Eine ausführliche Anhörung war für den 16. April angesetzt, es ist noch kein Urteil gefallen.

Die Organisation Reporter Ohne Grenzen hat letzte Woche ihren Welt-Pressefreiheits-Index 2021 veröffentlicht. Die Lage in Indien wird demnach als „schlecht“ und als gefährlich für Journalist*innen eingestuft. Das Land liegt zum zweiten Mal in Folge auf Platz 142 von 180.

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Eine Ergänzung

  1. Es ist gar nicht nötig, den Blick auf Indien zu wenden: Auf YouTube werden diverse Videos gelöscht, welche die Corona-Maßnahmen der Regierung in Frage stellen. Mit der Begründung, diese würden medizinische Fehlinformationen enthalten. Es stellt sich die Frage, wieso Meinungen welche vom offiziellen Narrativ abweichen der Zensur unterworfen werden. Sollten nicht einzig- und allein geltende Gesetze ausschlaggebend dafür sein, ob ein Inhalt zu entfernen ist? In einer Demokratie sind kontroverse Debatten unerlässlich. Die subjektive Bewertung des Inhalts eines Videos sollte nicht entscheidend dafür sein, ob dieses eine Existenzberechtigung auf einer öffentlich zugänglichen Platform hat.

    Ehe wir den Blick auf die Regierungen und Medienlandschaft in beispielsweise Indien, Weißrussland oder Russland richten sollten wir zunächst einmal kritisch hinterfragen, was seit vielen Jahren in Deutschland rund um die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Framing durch Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen geschieht. Das letzte Jahre ist in diesem Sinne nur die Spitze des Eisbergs…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.