Nicht einmal einen Monat ist es her, dass die Berliner Lieferando-Kuriere einen Betriebsrat gewählt haben – und schon soll offenbar rund der Hälfte der Betriebsrät:innen gekündigt werden. Das sei nötig, weil die Mitarbeiter:innen in der Summe tausende Stunden mehr an Zeit für die Vorbereitung der Wahl angemeldet hätten, als sie tatsächlich erledigt hätten. Das geht aus einem Schreiben von Lieferando an Betriebsrat und Arbeitsgericht Berlin hervor. Der Betriebsrat streitet die Vorwürfe auf Anfrage von netzpolitik.org ab und sieht sich in seiner Arbeit behindert.
Schon im Vorfeld der Betriebsratswahl gab es Auseinandersetzungen. So gingen einige Mitarbeiter:innen gerichtlich gegen den Wahlvorstand vor: Einmal wegen der für die Wahl zugelassenen Mitarbeiter:innen, in einem anderen Verfahren sollte die Wahl ganz abgebrochen werden.
Tausende Arbeitsstunden
Betriebsräte dürfen nicht ohne triftige Gründe fristlos gekündigt werden. Eine fristlose Kündigung strebt Lieferando jedoch im aktuellen Fall an. Konkret geht es um neun Betriebsräte und ein Ersatzmitglied, wie der Betriebsrat netzpolitik.org mitteilt. Lieferando hat diese Zahl weder dementiert noch bestätigt.
Der Vorwurf von Lieferando: Die Mitarbeiter:innen hätten sich während der Vorbereitung der Betriebsratswahl, also von November 2021 bis August diesen Jahres, in der Summe tausende Arbeitsstunden mehr anrechnen lassen, als sie tatsächlich gearbeitet hätten. Das geht aus dem Schreiben von Lieferando hervor. Wenn Beschäftigte als Wahlvorstand eine Betriebsratswahl organisieren, können sie sich für dafür während der Arbeitszeit freistellen lassen, ohne dass ihr Gehalt gekürzt wird. Sie müssen in dieser Zeit aber auch tatsächlich die Wahl vorbereiten.
Bis Ende Juni sei aber nicht erkennbar gewesen, woran der Wahlvorstand eigentlich gearbeitet habe, heißt es im Brief von Lieferando an den Betriebsrat. Das Unternehmen habe demnach versucht, sich das von den Mitarbeiter:innen erklären zu lassen, aber diese seien Einladungen dazu nicht gefolgt. Ein Mitglied des Betriebsrats hätte dadurch „das ihm entgegengebrachte Vertrauen in einem solch erheblichen Maße missbraucht, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist“, so Lieferando.
Lange Auseinandersetzungen
Ein Vertreter des Betriebsrats bestreitet die Vorwürfe gegenüber netzpolitik.org. Er und seine Kolleg:innen hätten mehr als die abgerechneten Stunden gearbeitet, sagt er. „Allein in der Wahlwoche sind so viele Stunden angefallen, dass wir alle Überstunden gemacht haben. Lieferando hat uns so arg behindert, dass wir Woche für Woche kaum voran gekommen sind, aber unglaublich viel Arbeit durch Kommunikation produziert wurde.“
Er verweist etwa auf eine Auseinandersetzung rund um die Kontaktdaten der über 1.000 Berliner Lieferando-Kurier:innen, die das Unternehmen für die Vorbereitung der Betriebsratswahl liefern musste. Der Einladung zu einem Gespräch sei man nicht nachgekommen, weil sie zwei Wochen vor Beginn der Betriebsratswahl und damit in die hektischste Vorbereitungsphase gefallen sei.
Außerdem sieht er den Wahlvorstand durch die Vorwürfe von Lieferando diskriminiert: Ein weißes, akademisches Management werfe Migrant:innen und Nichtakademiker:innen vor, zu viel Zeit zu brauchen. Im Wahlvorstand habe es kein Vorwissen zu den juristischen oder praktischen Einzelheiten einer Betriebsratsgründung gegeben, außerdem müsse alle Arbeit im Betriebsrat zwischen Deutsch und Englisch übersetzt werden. „Das alles braucht enorm viel Zeit.“
„Jegliche Auskunft verweigert“
Auf Anfrage von netzpolitik.org sagte eine Sprecherin von Lieferando, das Unternehmen begrüße betriebliche Mitbestimmung. „Für funktionierende Betriebs- und Mitbestimmungsprozesse ist die professionelle, ordnungsgemäße und zügige Durchführung solcher Wahlen im Interesse des gesamten Unternehmens und seiner Mitarbeitenden“, so die Sprecherin.
„Auch Wahlvorstände müssen sich an geltende Gesetze halten und gewissen Pflichten nachkommen. Wir haben alles versucht, den Sachverhalt mit den Betroffenen und dem Wahlvorstand aufzuklären. Die Betroffenen haben jegliche Auskunft verweigert. Wir lassen den Sachverhalt nun sachlich und ergebnisoffen vor Gericht klären.“ Das Ergebnis der laufenden Verfahren wolle man nicht vorwegnehmen.
Bei dem bestehenden Arbeitskräftemangel ist die Logik unverständlich. Zu erwarten wäre das Firmen und Konzerne alles machen um Personal zu halten und alles zu unterlassen was diese vergrämen könnte.
Was ist an den kolportierten Vorwürfen Faktum? Wäre es so, gäbe es massive Personalprobleme. Die Zeiten in denen sich Mitarbeiter alles gefallen lassen müssen sind längst vorbei.
Das Betrifft auch das Thema Betriebsrat, es ist sicherlich nicht dienend derartiges zu schikanieren, weil solche Dinge das Betriebsklima verschlechtern, Schlechtes Betriebsklima ist der Hauptgrund das Mitarbeiter der Firma den Rücken kehren.
Das ganze ist für mich unlogisch.
Als Plattform fällt es ihnen leichter als den meisten Firmen neue Leute anzuwerben und diese davon abzuhalten sich mit einander zu vernetzen. Sie können sich die schlechte Behandlung so leisten, immerhin spart sie Geld.
Ein Betriebsratsmitglied kann nur mit Zustimmung des Betriebsrates ausserordentlich gekündigt werden. Ich gehe mal davon aus, dass diese Zustimmung nicht vorliegt. Damit ist eine ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber kann die Zustimmung des Betriebsrates auf Antrag vom Arbeitsgericht durch dessen Beschluss ersetzen lassen. Bis dahin bleibt alles wie es ist. Selbstverständlich hat Lieferando die Betriebsratswahl weder erschwert noch behindert, sondern sogar gefördert. Und schon gleich gar nicht wollen sie sich der neu gewählten betriebsräte au das Schnellste entledigen. Wer das glaubt, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Wer eine betriebsratswahl behindert, wird übrigens nach § 119 BetrVG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Wer eine betriebsratswahl behindert, wird übrigens nach § 119 BetrVG mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Es ist mit dieser Strafe bedroht…
Bitte benenne Fälle in denen der (verhinderte… ) Betriebsrat seinen Arbeitgeber angezeigt hätte und dieser tatsächlich strafrechtlich belangt und in den Knast gegangen worden ist.
Würde mich sehr wundern, denn letztlich muß der Betriebsrat die Interessen der Kollegen vertreten und ein im Knast sitzender Arbeitgeber ist meist nicht im Interesse der Arbeitnehmer, auch wenn etliche AG das verdient hätten…
Vorweg:
Das Lieferando ein Sweatshop mit extrem schlechten Arbeitsbedingungen ist,
steht außer Frage, auch, dass die Geschäftsführung in den Knast gehört.
Aber, Entschuldigung, Bitte?!
„Ein weißes, akademisches Management werfe Migrant:innen und Nichtakademiker:innen vor, zu viel Zeit zu brauchen“
Echt heftig.
Ein weißes […] Management?!
Was hat die Hautfarbe jetzt mit den schlechten Arbeitsbedingungen zu tun?
Arbeiten dort keine „Weißen“ die möglicherweise ebenfalls schlecht bezahlt werden?
Für wen spricht der Betriebsrat da eigentlich?
Klingt nämlich irgendwie nach: Alle außer „Weiße“
Was haltet ihr eigentlich von „weißen“ Kunden?
Sind die OK?
Grundsätzlich bin ich bei solchen Geschichten IMMER,
voll auf der Seite der jeweiligen Betriebsräte.
Aber mit dem Rassismus habt ihr euch echt ins Abseits gestellt Leute.
Ich frage mich ob der Rassismus angesprochen oder
unter den Teppich gekehrt / ignoriert wird.
Darf man das eigentlich überhaupt thematisieren? Stigmatisierung von „Weißen“?
Oder das ein BR auch mal Fehler macht (auch in der aktuellen Situation)?
>>> Arbeiten dort keine „Weißen“ die möglicherweise ebenfalls schlecht bezahlt werden?
Das ist schon richtig. Bei der New Tech werden in der Regel alle gut bezahlt oder alle ausgebeutet.
Hier ging es allerdings auch um fristlose Kündigungen spezifischer Mitarbeiter, nicht aller. Zudem stammt die Formulierung nicht von netzpolitik.org, sondern von: „Ein Vertreter des Betriebsrats“. Wie auch immer das mit der Realität übereinkommt, hier hätte vielleicht klargestellt werden können (oder auch nicht, weil netzpolitik.org diese Infos nicht bekommt, wobei dann wieder die Frage ist, warum es „unkommentiert“ dort steht).
„Plattformen“ dieser Art basieren auf der Ausbeutung von Menschen. An diesem Geschäftsmodell ändern Betriebsräte wenig. Zyklische Dienstleister dieser Art gehen bei einer Rezession schnell in die Knie, denn in Krisenzeiten fehlt das Geld für entbehrliche Bequemlichkeiten. Personalabbau ist die unausweichliche Folge. Ist der Betriebsrat erst mal abgesägt, geht das dann noch leichter. Wem schon beim Aufbau der Firma Rechts- und Vertragstreue ziemlich egal ist, dem ist auch beim Rückzug nichts mehr heilig.
„„Plattformen“ dieser Art basieren auf der Ausbeutung von Menschen“
Naja, ich habe immer 20% Trinkgeld gegeben und habe in den letzten 5 Jahren ca 750 mal über Lieferando bestellt. Wenn nun jeder Auslieferer von jedem 20% Trinkgeld bekommen würde, also 3x pro Stunde ca 3 bis 9€, dann würde auch niemand ausgebeutet werden. Aber die meisten bestellen billig auf Lieferando und lassen den Lieferanten dann ohne Trinkgeld stehen. Scheinbar basiert unsere ganze Gesellschaft auf der Ausbeutung der Anderen!
Ansonsten haben Sie recht.
Trinkgeld ist kein Lohn und hat nichts mit Ausbeutung zu tun.
Der Lohn Muss stimmen!
Daher kommt es zu der Aussage es würden Fachkräfte fehlen.
Nein es fehlt an Firmen die Fachkräfte ordentlich bezahlen.