Wochenrückblick KW40Facebookpolitik, Fernzugriff und Freiheitsliebe

Diese Woche ging es hoch her: Facebook down, ein nicht ganz so normales Datenleck bei Twitch – und ein Ausflug von FragDenStaat nach Brüssel. Mit Bargeldkoffer. Wem das noch nicht genug war: Mehr gibt es wie immer hier in unserem Wochenrückblick.

Schreiende Möwe
Frischer als Fisch ist der Wochenrückblick von netzpolitik.org, verkündet auch diese Möwe. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Peter F. Wolf

Der Rückblick beginnt mit den neuesten Artikel: Das Peng-Kollektiv hat eine neue Aktion gestartet und will Grenzen mit turbokapitalistischen Methoden hacken. Dafür werden NFTs verkauft, digitale Zertifikaten, mit denen aktuell auf dem digitalen Kunstmarkt gehandelt wird. Das Geld bekommt eine Familie in Afghanistan, kauft damit ein Haus in Portugal und bekommt ein Goldenes Visum. So der Plan. Wir haben nachgefragt, was es damit auf sich hat.

facebookpolitik.org?

Wir sind zwar nicht facebookpolitik.org, aber ganz konnten wir uns der Aufregung um den großen Datenkonzern diese Woche auch nicht entziehen. Das Unternehmen kämpft aktuell mit der Image-Polierung, nachdem eine Whistleblowerin interne Dokumente geleakt und sich öffentlich geäußert hatte. Sie behauptet, Facebook täusche gezielt die Öffentlichkeit und unternehme zu wenig gegen schädliche Inhalte. Das lässt die Glaubwürdigkeit des Datenkonzern weiter bröckeln. EU-Abgeordnete wollen die Whistleblowerin Frances Haugen nun ins Parlament laden, zudem pochen sie auf einen stärkeren Digital Services Act. Alle Hintergründe lest ihr im Artikel von Thomas Rudl.

Als wäre das noch nicht genug Aufregung für Mark Zuckerberg, nahm sich das soziale Netzwerk auch noch aus Versehen selbst einige Stunden vom Netz. Klar, das amüsiert uns vielleicht erstmal. Das ist aber nicht alles, denn für viele Menschen ist damit ihr wichtigstes Kommunikationsmittel weggebrochen. Und das ist eigentlich gar nicht lustig, kommentiert Markus Reuter.

Zwar nicht zu Facebook, aber dafür auch zum Silicon Valley gehört der Investor und Paypal-Gründer Peter Thiel. Für ihn ist Wettbewerb etwas für Verlierer. Alexander Fanta hat ihn unter dem Titel „Ein Idol fürs Monopol“ ausführlichst fernportraitiert.

Was fehlt: echte Barrierefreiheit

Gut ist: Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat eine Notruf-App für gehörlose Menschen entwickeln lassen. Schlecht ist: So richtig berücksichtigt sie die Bedürfnisse der Menschen nicht, für die sie eigentlich gemacht ist. Es gibt beispielsweise keine Möglichkeit für Videotelefonate. Dass Menschen mit Behinderungen bei der Technologieentwicklung zu wenig eingebunden werden, zeigt auch ein anderer Fall aus Japan. Dort hat ein autonom fahrender Bus einen Mann mit Sehbehinderung angefahren, weil die Systeme dessen Verhalten nicht richtig vorhersagen konnten. Jana Ballweber hat mit Forschern aus Deutschland über das Problem geredet.

Barrierefreiheit und Teilhabe sind auch Thema in den Vorschlägen von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine bessere Digitalpolitik. Während die Sondierungsgespräche gerade erst beginnen, haben sie schonmal vorgelegt. Darin enthalten sind alle möglichen Themengebiete, denn Baustellen bekommt die künftige Bundesregierung mehr als genug vererbt. Es geht dabei auch im IT-Sicherheit, Urheberrecht, Breitbandausbau, und so weiter und so fort. Anna Biselli schreibt über Ideen die da sind – und die jetzt nur jemand umsetzen muss!

Blick über den Tellerrand

Meistens richtet sich unser Blick auf Deutschland oder Europa, doch auch andernorts passieren bedenkliche Dinge. In Singapur beispielsweise will die Polizei in Zukunft auf Überwachungsroboter setzen. Sie sollen im öffentlichen Raum patrouillieren und Leute bei „unerwünschtem Sozialverhalten“ gängeln. Markus Reuter berichtet darüber, dass die Behörden ein solches System namens Xavier gerade getestet haben.

Durchleuchtet werden auch Menschen im globalen Süden. Nicht nur von Unternehmen oder Staaten, sondern ausgerechnet von internationalen Hilfsorganisationen. Unsere Gastautor:innen Karl Steinacker und Katja Lindskov-Jacobsen berichten über biometrische Kontrolle im Bürgerkriegsgebiet und Menschen, die keine andere Wahl haben als ihre Daten herauszugeben, weil sie auf Hilfe angewiesen sind.

In Brasilien transkribieren unterdessen Klickarbeiter:innen für extrem wenig Geld TikTok-Videos. Nichtmal den brasilianischen Mindestlohn sollen sie dafür erhalten, dass sie einem Milliarden-Umsatz-Unternehmen helfen, seine Algorithmen für automatische Untertitel zu trainieren. Alles über die Ungerechtigkeit gegenüber digitalen Tagelöhnern erfahrt ihr von Chris Köver.

China blockiert zum wiederholten Male den Antrag der Wikimedia Foundation auf Beobachterstatus bei der Weltorganisation auf geistiges Eigentum. Das könnte mit Konflikten zwischen der chinesischen Regierung und der Wikipedia zu tun haben. Unser Gastautor Justus Dreyling erläutert die Hintergründe.

Überwacher und Aktivisten

Zurück auf die andere Seite des Erdballs. Im Rheinland hielt die Polizei Klimaaktivist:innen für mehrere Tage in Gewahrsam, nachdem die Aktivist:innen einen Kohlebagger blockiert hatten. In den meisten Bundesländern wäre das nicht möglich. Seitdem die Laschet-Regierung 2018 das Polizeigesetz änderte, ist in NRW ein Gewahrsam bis zu einer Woche möglich, um die Identität von Personen festzustellen – eine Regelung, die besonders Klimaproteste trifft, schreibt Franziska Rau.

Eine Entscheidung des Landgerichtes Osnabrück dürfte Demonstrant:innen hingegen freuen: Ton- und Filmaufnahmen von einem Polizeieinsatz im öffentlichen Raum zu machen ist nicht strafbar. In einigen Fällen hatte die Polizei so argumentiert, teilweise auch Handys beschlagnahmt. Was genau erlaubt und was nicht, erklärt Markus Reuter. Und noch mehr erfreuliche Nachrichten zur öffentlichen Überwachung: Das Europäische Parlament stimmte am Dienstag für ein Verbot automatisierter Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Damit stellt es sich gegen die Position der EU-Kommission, die nur einige Einschränkungen für solche Technologien vorsieht. Bindend ist die Entscheidung nicht, doch Bürgerrechtsorganisationen begrüßen das Zeichen und wollen weiter Druck gegen die Massenüberwachung machen.

Wer Urlaub in Venedig macht, wird auf Schritt und Tritt beobachtet. Aus dem „Smart Control Room“ hat die Stadt die Bewegungen der Reisenden mithilfe von Kameras und Handydaten genau im Blick. Franziska Rau berichtet über das Projekt.

Bargeld, Beschwerden und Brobleme

Frontex will Geld von der Informationsfreiheitsorganisation FragDenStaat für Anwalts- und Reisekosten. Aber beim Zahlungsweg sind die Grenzagenturisten wohl wählerisch. Die Aktivist:innen wollten die Moneten im Koffer persönlich überbringen, Frontex fand das aber nicht gut und hat die Tür nicht aufgemacht. Immerhin gibt es jetzt Kalenderfotos mit unserem Autor Arne Semsrott und den Geldscheinen. Wir würden uns das ja an die Wand hängen.

In Berlin gab es zwar nicht jede Menge Bargeld, aber jede Menge Beschwerden – und zwar gegen die Maskenpflicht an Grundschulen. Die wurde mittlerweile aufgehoben und der Bildungssenat benutzt die Massenmailings dafür als Argumentation. Wer braucht schon Wissenschaft? Markus Reuter kommentiert das fragwürdige Entscheidungsverhalten, das man vielleicht auch für andere politische Anliegen kopieren könnte.

Beschwerden gab es auch zur App ID Wallet auf Twitter, so viele, dass manche wohl schon von einer „Zusammenrottung“ reden. Anna Biselli hat mit der Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann über die Software gesprochen, die es eigentlich leichter machen sollte, sich digital auszuweisen, dann aber schnell wieder aus den App-Stores verschwand.

Datenschutz vor Gericht

Londoner Krankenhäuser haben ungefragt medizinische Daten von 1,6 Millionen Patient:innen an eine Google-Tochterfirma weitergegeben. Nach einigen Jahren will eine britische Kanzlei jetzt klagen. Anna Biselli berichtet über den Fall.

Nicht immer müssen die Fälle gleich vor Gericht landen, damit es wehtut, wie Thomas Rudl berichtet. Europäische Datenschützer bitten Unternehmen, die gegen den Datenschutz verstoßen, zunehmend mit Bußgeldern zur Kasse. Im dritten Quartal betrugen die zusammengenommen fast ein Milliarde Euro. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo es sich doch mal lohnt, sich von Anfang an um guten Datenschutz zu bemühen, oder?

Dass man lieber besser aufgepasst hätte, denkt sich jetzt wohl auch die Streamingplattform Twitch. Denen sind jede Menge Daten abhanden gekommen, die jetzt im Internet kursieren. Darunter Quellcode und Listen mit Auszahlungen an Streamer:innen. Die Menge an Informationen ist nicht nur riesig, sie unterscheidet sich auch in einem Punkt von anderen Leaks. Chris Köver erklärt, was daran besonders ist.

Anders besonders war ein internationales Drohnentraining in Israel, an dem die Bundeswehr teilnahm. Dort haben Soldat:innen aus vier NATO-Staaten mit der israelischen Luftwaffe den Einsatz von „Abwurfmunition im Realflug“ geübt. Die Deutschen übernahmen die unbewaffnete Aufklärung, denn ob sie Drohnen mit Waffen nutzen dürfen, ist ein noch nicht entschiedenes Streitthema. Alle Hintergründe lest ihr im Artikel von Matthias Monroy.

Und sonst so? Die EU-Regulierer von BEREC haben bekanntgegeben, dass wir noch ein bisschen warten müssen, bis es einen gemeinsamen europäischen Kurs zu Zero-Rating-Angeboten wie StreamOn geben wird. Erst im Juni nächsten Jahres wird es einen gemeinsamen europäischen Kurs zu Zero-Rating-Angeboten wie StreamOn geben, berichtet Tomas Rudl. Damit lässt sich derzeit etwa Facebook nutzen, ohne dass es ans monatliche Datenvolumen geht.

Und zum Schluss noch etwas Erfreuliches: Gemeinsam mit den internationalen Kolleg:innen von The Signals Network hatten wir mehrere Monate lang über die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Europazentrale von Huawei in Düsseldorf und an anderen europäischen Standorten des umstrittenen Telekom-Konzern recherchiert. Der Bericht von Alexander Fanta und unserem inzwischen zu ARD Kontraste gewechselten Kollegen Daniel Laufer ist beim Medienpreis Wirtschaft NRW mit dem 2. Platz in der Kategorie Industrie ausgezeichnet worden. Wir freuen uns!

Mit diesem gekonnten Schwenk zum Anfang unseres Rückblicks sind wir am Ende und entlassen euch ins Wochenende!

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