Dürresommer haben es den Pflanzen in den vergangenen Jahren schwer gemacht. Immer wieder baten die städtischen Grünpflegestellen die Bürger:innen darum, sich um einzelne Bäume vor ihrer Haustür zu kümmern und sie zu gießen. Doch welcher Baum braucht wie viel Wasser? Und wer gießt eigentlich gerade wo?
Wie man diese Fragen beantworten und den Stadtbäumen mit digitalen Werkzeugen helfen könnte, hat sich das CityLAB Berlin überlegt. Die Idee: eine Austauschplattform, auf der sich interessierte Bürger:innen informieren und auch einen Baum auswählen können, um den sie sich regelmäßig kümmern wollen.
Das kommt an: Allein in der ersten Woche wurde die Seite GiessDenKiez.de rund 50.000 Mal aufgerufen, mittlerweile sind mehr als 1.800 Bäume adoptiert, sagt Benjamin Seibel. Er leitet das CityLAB, ein gemeinsames Projekt von Technologiestiftung und Berliner Senatskanzlei, das die Plattform entwickelt hat. Das Team sei selbst überrascht gewesen von der großen Resonanz. Die Idee sei schon im vergangenen Dürresommer entstanden, erzählt Seibel.
Der Wille ist da, das Wissen fehlt
Ursprünglich wollte das CityLAB die Bäume mit Hilfe von Sensortechnik versorgen, was sich aber als zu umfangreich herausgestellt hatte. Letztlich stand fest: Es sollte eine Koordinationsplattform für ehrenamtlich Helfende werden. Denn es gebe viele hilfsbereite Menschen, ein zentrales Problem sei vor allem das Wissen, wie und wo man tatsächlich aktiv werden könne, erklärt Seibel.
Bei der Entwicklung der Plattform hat sich das Entwickler-Team des CityLAB inhaltlichen Input geholt, etwa von den Berliner Grünflächenämtern oder auch zivilgesellschaftlichen Initiativen wie etwa Lieblingsbaum. „Da ist uns auch erstmal klar geworden: Das Wissen, wie man Bäume richtig wässert, ist gar nicht so verbreitet. Selbst unter den Engagierten nicht“, sagt Seibel. Deshalb stellt GiessDenKiez.de auch Informationen bereit, wie man Bäume richtig gießt.
Ohne Daten läuft nix
Um die Idee in die Tat umzusetzen und eine Website zu entwickeln, die alle Bäume der Stadt Berlin anzeigt und mit der Nutzende interagieren können, braucht es vor allem Daten und Rechenkapazität. 625.000 Bäume performant darzustellen sei gar nicht so einfach, sagt Seibel.
Eine große Ausnahme sei auch der Datenbestand gewesen, der in außergewöhnlich hoher Qualität verfügbar sei. Denn für die Baumbestände in ganz Berlin gebe es ein einheitliches Grünflächeninformationssystem, in dem alle Bezirke eintragen, wo welche Bäume wachsen, erklärt Seibel. Das ist nicht immer so: In den Verwaltungen wird intern mit sogenannten Fachverfahren gearbeitet, also IT-Systemen, die die einzelnen Aufgaben der Behörden unterstützen. Die eingesetzte Software variiert dabei teilweise von Bezirk zu Bezirk – und damit häufig auch die Formatierung der Daten.
Viele Ideen, die Menschen digitale Partizipation ermöglichen sollen, scheitern deshalb auch an den verfügbaren Daten. Immer mehr Städte und Kommunen betreiben allerdings Plattformen, auf denen sie ihre Daten zur Verfügung stellen. In Berlin gibt es beispielsweise das Portal FIS-Broker der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Dort sind auch die Baumbestände zu finden – und das fast vollständig, freut sich Benjamin Seibel vom CityLAB. Denn die unterschiedlichen Formate und Fachverfahren, die nicht unbedingt auf den automatischen und standardisierten Export ausgelegt sind, führen zu teilweise lückenhaften oder unbrauchbaren Datensätzen. Die Berliner Bäume werden immerhin einmal im Jahr aktualisiert.
Die Idee ist alt – und erfolgsversprechend
An ähnlichen Projekten wird beispielsweise in den USA seit vielen Jahren gearbeitet. So wurden bereits 2011 in San Francisco die ersten Zeilen Code für das Projekt „Adopt a Drain“ veröffentlicht. Die Anwendung ermöglicht es Bürger:innen, ihrer Stadt dabei zu helfen, die Abflussrinnen und Gullys sauber zu halten. Die Website besteht bis heute, mehr als 3.300 Menschen haben die Fürsorge für einen Gully übernommen. Der Code ist frei zugänglich und wird von den ehrenamtlichen Initiator:innen von „Code for San Francisco“ in Kooperation mit der Stadt selbst noch immer regelmäßig aktualisiert.
Angepasste Versionen der Software für „Adopt a Drain“ wurden dann auch in anderen Städten verwendet, etwa in Riverside in Illinois oder in Viriginia Beach in Virginia. Ingesamt 55 Forks, also eigene Code-Abwandlungen, sind auf der Entwickler:innen-Plattform GitHub verzeichnet, viele davon von anderen US-amerikanischen Städten.
Zu viele Lücken in der Infrastruktur
Auch für das Berliner Projekt GiessDenKiez.de haben sich bereits Interessierte etwa aus Köln oder Leipzig gemeldet, die die freie Software gern für ihre Stadt anpassen würden. Dazu tauschen sich die ehrenamtlichen Entwickler der Initiative „Code for Leipzig“ bereits über die technischen Details aus. Sie möchten beispielsweise auf den vom CityLAB eingesetzten AWS-Dienst von Amazon verzichten.
Die Plattform soll noch weiterentwickelt werden. Aktuell ist sie offiziell in der Beta-Version online. Interessierte lädt das CityLAB zum Austausch im eigens angelegten Slack-Kanal ein. Das CityLAB selbst hat allerdings nur wenige Entwickler:innen. Für Seibel ist klar: „Wir sind kein IT-Dienstleister, wir können das gar nicht alles leisten.“ Stattdessen lädt die Technologiestiftung Ehrenamtliche ein, bei der Weiterentwicklung des Codes zu unterstützen.
Die Gretchenfrage dabei ist laut Seibel, wie Prototypen wie GiessDenKiez.de von der Testphase in den Regelbetrieb der Kommunen übernommen werden können. Dafür sieht er mehrere Möglichkeiten: Ein Weg führe über den konsequenten Einsatz freier Software. So könne man sich untereinander vernetzen und gegenseitig unterstützen – dafür müssten allerdings immer wieder die kommunalen Zuständigkeiten geklärt werden, erklärt Seibel.
Nicht nur Neues fördern
Denn damit digitale Plattformen langfristig betrieben werden können, müssen entsprechende Aufträge vergeben werden. Genau daran hakt es häufig – niemand fühlt sich zuständig und Prototypen bleiben im Teststadium. „Da gibt es noch eine Lücke zwischen den Innovation Labs und den normalen IT-Dienstleistern des Landes“, sagt Seibel.
Zwar bestünde in Berlin eine enge Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden, allerdings seien die Zuständigkeiten und Prozesse komplex und die Umsetzung digitaler Projekte berge viele Hürden. Um diese Probleme zu lösen, könnte sich Seibel ein Data Office vorstellen, wie es bereits in San Francisco seit einigen Jahren besteht. Eine solche Koordinationsstelle wäre dann für alles zuständig, was in den Bereich offener Daten und digitaler Infrastruktur fällt – unabhängig davon, ob es um Bäume oder Kindergärten geht.
Digitalisierung braucht Beschlüsse
Das CityLAB selbst wird durch das Land Berlin gefördert. GiessDenKiez.de ist nicht die erste Anwendung, die das Team entwickelt. Dort ist schon Software entstanden, die intern in Verwaltungen eingesetzt wird oder gesellschaftliche Partizipation ermöglicht, etwa wenn neue Radwege geplant werden.
Wie langfristig diese Projekte bestehen können, hängt vor allem davon ab, ob dafür eine dauerhafte digitale Infrastruktur geschaffen wird. Dafür müssten politische Gremien entsprechende Beschlüsse fällen: etwa, dass nur noch Fachverfahren eingesetzt werden, die automatisiert maschinenlesbare Daten ausgeben können, diese Daten unter offenen Lizenzen stehen und Behörden, die für diese Themen zuständig sind, mit ausreichend Personal besetzt sind. Für Benjamin Seibel ist klar: Prototypen mit offenen Daten wird es in Zukunft vom CityLAB noch einige mehr geben.
Das ist ein tolle Iniative, die vor allem als gutes Beispiel Wege aufzeigt, wie im Artikel beschrieben.
Ich möchte nur auf einen Aspekt hinweisen, der natürlich nicht sofort umgesetzt werden muss, aber im Diskussionforum der Initiative nicht einfach weggewischt werden sollte: So doll ist die Datenqualität zu den Bäumen nämlich nicht: Ein junger Baum vor der Tür ist nicht eingezeichnet, ein anderer daneben längst abgesägt, eine neue Baumreihe etwas weiter steht mit „Alter 0 Jahre“ im Plan. Also sollten Nutzer:innen Anmerkungen eingeben können, als ein nächster Schritt, um die Datenqualität zu erhöhen und vor allem auch die Realität und nicht irgendwelche Konstrukte („junge Bäume werden gegossen“) abzubilden. Immerhin konnte ich den Straßenverlauf in OpenStreetMap korrigieren, sowas zeigt die Möglichkeiten.
Fazit: Ein gutes Beispiel, in dieser Form vielleicht auch eine notwendige Realsieriung, und jetzt weiter voran gehen, gerade bei guter Resonanz.
Für mich klingt das wie ein Paradebeispiel für Solutionismus ( Evgeny Morozov): Wir richten die öffentliche Infrastruktur zugrunde – in diesem Fall die Grünflächenpflege in Berlin – und dann finden wir eine digitale „Lösung“, sie in diesem Fall darin besteht, dass Freiwillige eine öffentliche Aufgabe übernehmen. Denn als (mittlerweile Alt-)Berliner kann ich mich noch daran erinnern, dass die Bezirke die Stadtbäume früher gewässert haben. Die haben kein Geld mehr dafür, es gibt immer weniger Wasserpumpen (wichtig zum Wässern, weil besser als Leitungswasser) – aber was soll’s, dafür gibt es jetzt eine Internetplattform!
Ich begrüße es sehr, wenn Bürgerinnen und Bürger aktiv Aufgaben zur Pflege und Erhaltung des öffentlichen Raumes übernehmen. Wertschätzung und Achtsamkeit für die Umgebung kann so eher entstehen, als wenn wir diese Aufgaben staatl. Institutionen überlassen. Die könnten sich dann auf andere Aufgaben konzentrieren.