Wochenrückblick KW 28Erfasst und überwacht

Geheimdienste sollen Staatstrojaner bekommen, Gesichtserkennungs-Unternehmen wie PimEyes gefährden unsere Anonymität und Privatsphäre – und die Steuer-Identifikationsnummer soll in Zukunft noch gefährlich viel mehr können. Die Themen der Woche im Überblick.

Schweinchen am Strand
Auf der Suche nach den besten Informationen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Bruno van der Kraan

In dieser Woche haben wir neue Recherchen veröffentlicht und alte weitergetrieben. Dass die Geheimdienste gerne Staatstrojaner hätten, haben wir bereits berichtet – auch, dass das im neuen Gesetzentwurf zum Verfassungsschutzrecht steht. In dieser Woche haben wir uns angeschaut, wie die Internet-Provider darauf reagieren, dass bei ihnen Hardware installiert werden soll, um Staatstrojaner in den Datenverkehr einzuschleusen. Schon nächste Woche will die Bundesregierung den Gesetzentwurf beschließen.

Außerdem ging es um Gesichtserkennung, die Zukunft der Steuer-ID, zweckentfremdete Corona-Daten und wer was in Sozialen Medien tun darf.

Gefährliche Gesichtserkennung

Unsere Recherchen haben gezeigt, wie PimEyes, eine polnische Suchmaschine für Gesichter, unsere Anonymität untergräbt. 900 Millionen Gesichter sind schon in der Datenbank – alle Fotos von Menschen im Internet können bereits darin sein.

Das zeigt einmal mehr, wie tief automatisierte Gesichtserkennung in unsere Rechte auf Anonymität und Privatphäre eingreift, hat Markus Beckedahl kommentiert und fordert: Setzt unsere Datenschutzrechte endlich auch durch! Denn eigentlich gäbe es genug Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.

Großes Interesse an Gesichtserkennung gibt es auch in Spanien: Dort testet eine Supermarktkette ein Gesichtserkennungssystem, um Personen zu identifizieren, die ein gerichtlich bestätigtes Ladenverbot haben. Die Technik kommt von der israelischen Firma AnyVision. Sie verspricht, so Diebstähle einzudämmen – völlig unverhältnismäßig, kritisieren Gegner:innen der anlasslosen Überwachung.

Daten sammeln, Daten speichern

Die Steuer-Identifikationsnummer soll bald mehr können, als nur für Zuordnung beim Finanzamt sorgen: Sie ist im Gespräch als Personenkennziffer, die dann zum Datenabgleich für alle Bürger:innen dient. Die Hintergründe zur Registermodernisierung und warum das wahrscheinlich verfassungswidrig ist, haben wir aufgeschrieben.

Auch Interpol will seine veralteten Informationssysteme erneuern – mit Geldern aus dem Bundesinnenministerium. Wir haben uns angeschaut, was für die Modernisierung der IT-Architektur von Interpol geplant ist und wer beteiligt ist, beispielsweise der frühere BKA-Vizechef.

Daten zur Corona-Prävention

Wie schnell allerdings Daten zweckentfremdet werden, hat diese Woche ein Fall aus Hamburg gezeigt: Dort hat die Polizei mindestens sieben Personen angerufen, die ihre Nummer in einem Restaurant in eine Liste eingetragen haben, damit das Gesundheitsamt sie informieren kann, wenn ein Corona-Fall bekannt wird. So schnell kann es also gehen, bis einmal erhobene Daten bei der Polizei landen.

Trotzdem sollen unter der deutschen Präsidentschaft im EU-Rat die Daten von Fluggästen gesammelt werden, um die Ausbreitung des Covid-19-Virus einzudämmen. Dafür müsste die PNR-Richtlinie geändert werden, was auch Konsequenzen für Bus- und Bahnreisen hätte. Aktuell prüft das Innenministerium in einer EU-weiten Umfrage, ob das umgesetzt werden könnte.

Andersherum wurden hunderttausende interne Daten von 200 US-amerikanischen Polizeirevieren veröffentlicht. Verantwortlich dafür ist das Transparenz-Kollektiv Distributed Denial of Secrets. Jetzt ermittelt das FBI und die Staatsanwaltschaft in Zwickau hat einen Server im Rahmen eines internationalen Rechtshilfeersuchens der USA beschlagnahmt.

Beschnittene Grundrechte weltweit

Durch die Corona-Krise werden weltweit immer mehr Grundrechte eingeschränkt. Eine interaktive Karte vergleicht jetzt die Maßnahmen in mehr als 160 Ländern hinsichtlich Demokratie und Menschenrechte. Wir haben das aufschlussreiche Projekt des Grundrechte-Monitors angeschaut.

Grundrechte schützen, das haben sich diese Woche Twitter und Facebook auf die Fahne geschrieben. Seit vergangener Woche gilt in Hongkong ein neues Nationales Sicherheitsgesetz, das elementare Grundrechte in der Stadt beschneidet. Deshalb wollen große soziale Netzwerke und Messenger nicht mehr mit den Behörden in Hongkong zusammenarbeiten.

In den USA zeigt Twitter allerdings ein anderes Gesicht. Dort liefert das Twitter-Partnerunternehmen Dataminr Fotos, Tweets, Orte und Zeitpunkte von Protesten im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung an die Polizei. Das seien bloß Nachrichtenalerts, behaupten die Firmen, NGOs sprechen allerdings von Überwachung.

In Europa ist jetzt klar, dass Youtube nur die Postanschrift herausgeben muss, wenn User:innen beschuldigt werden, urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen zu haben. Das hat in dieser Woche der Europäische Gerichtshof entschieden: Schließlich steht im Gesetz ausdrücklich nur Adresse – und nicht IP-Adresse, E-Mail-Adresse oder Handynummer.

Weniger Willkür in sozialen Medien

Fotos von niedlichen Tierbabys zu posten, gehört nicht zu den Kernaufgaben der Polizei. Das hat uns in dieser Woche der Jurist Friedrich Schmitt erklärt und im Interview darüber gesprochen, wo die rechtlichen Grenzen für polizeiliche Social-Media-Arbeit verlaufen. Denn Polizeibehörden dürfen nicht twittern, was sie wollen.

Andererseits dürfen auch soziale Plattformen wie Facebook und Twitter nicht einfach löschen und sperren, was sie wollen – insbesondere, wenn sich Amtsträger und Behörden äußern. Denn darunter leide die Meinungsfreiheit, hat uns Jacqueline Neumann im Interview gesagt. Sie kann sich sogar eine Antwortpflicht vorstellen.

Werkzeuge zur Überwachung

In China wird die uigurische Bevölkerung seit Jahren überwacht und verfolgt. Jetzt haben Sicherheitsforscher:innen eine ganze Familie von Überwachungstools entdeckt, die maßgeschneidert sind für die muslimische Minderheit und über alternative App-Stores verbreitet werden.

Wie Smart-TVs ins unseren Wohnzimmern spionieren, hat sich das Bundeskartellamt genauer angeschaut und auf 250 Seiten die Ergebnisse seiner Untersuchung präsentiert. Das Ergebnis ist vernichtend: Die Hersteller erheben zu umfangreiche Daten, blenden zu viel Werbung ein und generell braucht es mehr gesetzliche Regelungen zum Schutz der Verbraucher:innen, fordert das Bundeskartellamt.

Mehr Transparenz

Mehr Transparenz soll es jetzt immerhin im Fernsehrat geben: Dort wird diskutiert, wie das Gremium offener werden kann. Denn bisher gibt es keinen Livestream von den Sitzungen und selbst Vorlagen zu öffentlichen Sitzungen bleiben größtenteils unter Verschluss. Diese Bestimmungen der Geschäftsordnung sollen jetzt geändert werden.

Und nein, auch in dieser Woche haben uns die Corona-Pandemie und ihre technischen Begleiterscheinungen nicht in Ruhe gelassen. Wir haben mit Kirsten Bock darüber gesprochen, warum bei der Corona-Warn-App zwar vieles gut gelaufen ist, beim Datenschutz aber noch Luft nach oben ist. Im Interview kritisiert sie die Datenschutz-Folgenabschätzung der Anwendung und fordert eine gesetzliche Grundlage, um möglichen Missbrauch zu verhindern.

Zum Schluss noch ein kleiner Tipp: Morgen kommt wieder ein neuer Podcast. Diesmal berichtet Daniel Laufer von seiner Recherche zu Angriffen auf einen Bankenserver und Markus Beckedahl und Chris Köver schauen auf die aktuellen Entwicklungen rund um die Corona-Warn-App.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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4 Ergänzungen

    1. „Die Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse ist ein Teil der polizeilichen Ermittlungen, das ist eine Selbstverständlichkeit in einem Strafverfahren. Insofern stehe ich auch in diesem Punkt zur Arbeit und hinter unserer Polizei“, sagt Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU). Die Stuttgarter Polizei ermittele im Strafverfahren auch zu den Lebens- und Familienverhältnissen der identifizierten Tatverdächtigen. Der Begriff „Stammbaumforschung“ sei da fehl am Platze. „Unsere Polizei arbeitet professionell und korrekt“, sagt Minister Strobl.
      https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.aufregung-um-angebliche-aeusserung-im-gemeinderat-polizei-stuttgart-keine-stammbaumforschung.ef01ab29-34f2-4a3b-8881-59b4da114b6c.html
      https://taz.de/Nach-Ausschreitungen-in-Landeshauptstadt/!5694642/

      Das geht ja nur dann, wenn Seehofer die Rassismus-Forschung unterbindet, oder?

  1. Unterstützung bekommt Stuttgarts Polizei von Armin Schuster (CDU), Obmann im Bundestags-Innenausschuss. „Wohnort, Herkunft, Geschlecht, Vorstrafen oder Alter von Straftätern zu erfassen, ist völlige normale Polizeiarbeit“, sagte er auf Nachfrage. Die Aufregung über die Pläne könne er nicht verstehen, sagte Schuster. „Die Vorwürfe dienen doch einzig dazu, die linke politische Treterei gegen die Polizei weiter zu verstärken.“

  2. Wie auch anderswo stinkt in Stuttgart der Fisch vom Kopf her. Die Verantwortlichen oberer Polizeibehörden sind überaltert und hatten auch in der Vergangenheit wenig Sinn für eine sich wandelnde Gesellschaft. In einer Zeit, in der rassistische Repression durch die Polizei nicht mehr in dem Umfang toleriert werden kann, bedeuten Äußerungen von Polizeipräsident Franz Lutz offenkundige Führungsschwäche zum Nachteil der Polizei. Und Herr Lutz hat überdies eine wenig überzeugende Historie von Führungsarbeit, die nur Erzkonservative und ewig Gestrige beglücken konnte. Es gab schwarze Tage in Stuttgart, die durch ikonische Bilder im kollektiven Gedächtnis noch immer präsent sind. Mappus musste gehen, Lutz überdauerte.

    Wer von Nationalität, Migrationshintergrund bei „einem [sic!] Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ spricht, der betreibt „Stammbaumforschung“, auch wenn er das Wort nicht selbst in den Mund genommen hat. Und wenn dies Polizeiroutine bei Profiling ist, dann ist das umso schlimmer.

    Der GdP-Landeschef Kirstein, ließ sich dazu hinreißen: „Aber die Presse bekommt dann auch keine Informationen mehr, welcher Herkunft ein Täter ist.“ Wer Polizeiarbeit so rechtfertigt, der tut dies mit einer Agenda für politische Agitation. Wie dumm kann man denn noch sein?

    Wer sich als Polizist, der fest auf dem Fundament unserer Verfassung steht, den sorgt verständlicherweise das angeschlagene Ansehen der Polizei. Wenn die überwiegende Mehrheit dieser Polizisten so eine Führung und so eine Vertretung auch noch schultern müssen, dann wird sachgemäße Polizeiarbeit nicht besser sondern schwieriger.

    Die Zeit ist reif für Personalentwicklung auf Führungsebene !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.