Zensurheberrecht: Bundesregierung mahnt FragDenStaat ab, FragDenStaat verklagt Bundesregierung

Die Bundesregierung hat das Transparenzportal FragDenStaat abgemahnt, weil es ein staatliches Gutachten zu Krebsrisiken von Glyphosat veröffentlicht hat. Der Streit um das Urheberrecht von staatlichen Dokumenten wird jetzt vor Gericht ausgetragen.

CC-BY-NC 2.0 Campact

Die Bundesregierung hat die Transparenzinitiative FragDenStaat wegen einer angeblichen Urheberrechtsverletzung abgemahnt. Auf seiner Website hatte FragDenStaat ein Gutachten zu Krebsrisiken des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat veröffentlicht, das es zuvor vom staatlichen Bundesinstiut für Risikobewertung (BfR) durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hatte.

Das BfR, das dem Landwirtschaftsministerium von Julia Klöckner (CDU) untersteht, wirft FragDenStaat vor, es habe das sechs Seiten starke Dokument nur privat nutzen, nicht jedoch veröffentlichen dürfen. Dagegen hat das FragDenStaat am gestrigen Dienstag eine negative Feststellungsklage eingereicht. Jetzt muss das Landgericht Berlin entscheiden, ob das Vorgehen der Bundesregierung rechtswidrig ist.

Dokumente von der Industrie abgeschrieben

In dem Glyphosat-Gutachten beschrieb das BfR im Jahr 2015 Studien, die die Tumorbildung im Zusammenhang mit Glyphosat erforschten. Kritiker werfen der Behörde vor, sie habe bei der Industrie abgeschrieben, als es um die erneuerte Zulassung für das Pflanzenschutzmittel Glyphosat ging. Anders als die Internationale Agentur für Krebsforschung geht das BfR von einer geringen Krebsgefahr durch Glyphosat aus.

Zuvor hatte das BfR bereits den MDR für die Veröffentlichung von Dokumenten zu Glyphosat verklagt. Den Gerichtsstreit ließ es sich rund 80.000 Euro kosten.

Lücke im deutschen Urheberrecht

Bei ihrer Abmahnung nutzt die Bundesregierung eine Lücke im deutschen Urheberrecht: So legt das Urheberrechtsgesetz zwar fest, dass Texte wie Gesetze und Verordnungen keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Eine solche Ausnahme für sämtliche staatlichen Dokumente gibt es allerdings trotz lange wiederholter Forderungen nicht.

Der Anwalt Raphael Thomas, der die Klage für FragDenStaat eingereicht hat, kommentiert gegenüber netzpolitik.org: „Das Versteckspiel mit Informationen, die nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Allgemeinheit zustehen, ist unehrenhaft, demokratiefeindlich und zum Glück mit den gesetzlichen Vorgaben unserer Zeit nicht mehr vereinbar. Es ist bedauernswert, dass Bundesbehörden wie das BfR hier immer noch auf gerichtlichen Nachhilfeunterricht angewiesen sind.“

Im Januar hatte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs im Zusammenhang mit den Afghanistan-Papieren bereits dagegen ausgesprochen, das Urheberrecht zur Verhinderung der freien Berichterstattung zu missbrauchen. Auch im Fall des Glyphosat-Gutachtens könnte letztlich der Europäische Gerichtshof entscheiden. Für die Finanzierung des Gerichtsstreits sucht FragDenStaat derzeit noch nach Spenden.

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6 Ergänzungen

  1. Anders als die Internationale Agentur für Krebsforschung geht das BfR von einer geringen Krebsgefahr durch Glyphosat aus.
    Nein, das tut sie nicht. Die IARC hat nur bewertet, ob Glyphosat überhaupt Krebs verursachen kann – nicht, wie groß das Krebsrisiko durch Glyphosat ist. Das sind zwei völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen. Sehr viele Substanzen können grundsätzlich krebserregend sein, ohne dass sie für uns im Alltag ein Risiko darstellen.

    Eine sehr gute Darstellung gibt es bei den ScienceBlogs:
    http://scienceblogs.de/plazeboalarm/index.php/glyphosat-und-die-who-erst-hue-dann-hott-warum-der-widerspruch-gar-kein-widerspruch-ist/

    Ich weiß, etwas off-topic. Bei diesem Aufregerthema muss man aber sachlich argumentieren.

  2. Ergibt sich die Lösung nicht durch einen Blick in das IWG? Warum steht das im Artikel gar nicht? Das ist doch ein risikoloser Streit…

  3. Erinnert sich noch jemand an die Debatte zu Hitlers „Mein Kampf“?
    https://www.fr.de/kultur/literatur/hitlers-mein-kampf-bleibt-verboten-11162024.html

    Man müsste eigentlich mal eine Übersicht / Chronologie machen, wo mittels Urheberrecht unbequeme Positionen / Inhalte letztlich doch zensiert wurden. Der Witz ist ja nicht, dass wir alle längst wussten, dass mit Glyphosat was nicht stimmt (Biokompatibilität vs Toxizität), sondern wir alle uns mit der Informationspolitik zufrieden geben.

    Ich glaube das nennt man Chilling Effekt ;-)
    (Ganz im Sinne des vorauseilendem Gehorsams und Unterwürfigkeit.)

  4. Schon vergessen?
    Sowohl der MDR als auch FragDenStaat haben nicht das gesamte Gutachten veröffentlicht (das it wesentlich mehr als nur 6 Seiten!), sondern nur die Auszüge, die ihnen passten und mit denen sie behaupteten, das BfR habe bei Monsanto „abgeschrieben“. Daß die Zitate nur einen kleinen Teil des Gutachtens ausmachten und auch als solche gekennzeichnet waren, fiel dabei unter den Tisch.
    Dummerweise kann man keine vollständige Veröffentlichung erzwingen – aber man kann gegen die Veröffentlichung klagen, wenn sie derart für die Erstellung von FakeNews mißbraucht wird. Und zwar nach dem Urheberrecht.

    1. Hallo M.Langner,
      den Aspekt mit der Verzerrung der Aussage des Gutachtens durch auszugsweises Zitieren verstehe ich. Inwieweit das sachlich den Kern der Sache trifft oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, das ist hier aber auch nicht der Punkt. Grundsätzlich geht es doch darum, ob Behörden auf die von ihnen (oder in ihrem Auftrag) mit Steuergeldern erstellten Dokumente ein Urheberrecht beanspruchen können.
      Meiner Ansicht nach sollte das nicht möglich sein (vielleicht mit Ausnahmen wie Ausstellungskatalogen von staatlichen Museen, Jubiläumsbänden von Städten, Publikationen zur Stadt- und Regionalgeschichte und ähnliches – also tatsächlich künstlerischen oder schriftstellerischen Werken). Dokumente (oder Auszüge daraus), die im Rahmen der Verwaltungstätigkeit entstanden sind, sollten damit aber nicht vor der Veröffentlichung geschützt werden können. Letzendlich sind sie nichts anderes als Daten, die durch die Behörde produziert wurden und über die sie ebenso wie über Einnahmen und Ausgaben dem Volk als Souverän rechenschaftspflichtig sein sollte. Im Idealfall müssten alle diese Dokumente ohnehin in irgendeiner Form digital zur Einsicht bereitgestellt werden – wie zum Beispiel das heute schon bei Urteilen des Bundesgerichtshofes üblich ist. Daher würde mich interessieren, nach welchen Regeln des Urheberrechts Ihrer Meinung nach dagegen geklagt werden kann.

  5. Ich halte die Argumentation der Bundesregierung für falsch. Es gilt hier der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Wenn das Dokument einerseits dem Informationsfreiheitsgesetz unterfällt und freizugeben ist, kann es nicht sein, dass eine andere Vorschrift dann die Verwendung („zu privaten Zwecken“ ist ja i.S. der Informationsfreiheit ersichtlich Unsinn) wieder verbietet. Das Recht kann nicht mit der Rechten geben und mit der Linken wieder nehmen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.