Wikileaks: Der investigative Journalismus sitzt auf der Anklagebank

Selbst wenn sich Julian Assange des Hackens eines Passwortes schuldig gemacht hat, kann die Anklage eine einschüchternde Wirkung entfalten und die Pressefreiheit gefährden. Davor warnen Journalistenverbände und Bürgerrechtsorganisationen.

Die USA klagen Julian Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente an. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Absolut Vision

Es geht um mehr als Assange, schrieb zuletzt Judith Horchert beim Spiegel. Und genau das trifft den Punkt. Die Person Assange verstellt den Blick darauf, dass nicht nur der exzentrische Australier, sondern der investigative Journalismus und damit die Presse als Ganzes mit auf der Anklagebank sitzt.

Die Anklage gegen Assange beruht derzeit einzig und alleine auf „Verschwörung zur Attacke auf Regierungscomputer“. Sie ist geeignet die Diskussion um die Pressefreiheit in Teilen zu umschiffen, weil das Hacken von Computern nicht von der Pressefreiheit gedeckt wäre. Konkret wird Assange beschuldigt, Chelsea Manning dabei geholfen zu haben, ein Passwort eines Computernetzes der Regierung zu knacken. Die US-Regierung weiß aber nicht, ob das überhaupt erfolgreich war.

Der Chaos Computer Club zeigte sich in einer Pressemitteilung besorgt: „Die drei jüngsten Festnahmen von prominenten Aktivisten aus der Whistleblower-Szene, Chelsea Manning, Julian Assange und Ola Bini, stellen einen frontalen Angriff auf die Pressefreiheit dar. Der Chaos Computer Club (CCC) ruft zur Unterstützung auf.“ Der CCC verurteile diese Angriffe auf Journalisten, Whistleblower und deren Unterstützer scharf. Es handele sich um schockierende und koordinierte Verletzungen von Menschenrechten und Pressefreiheit, heißt es weiter.

Reporter ohne Grenzen forderte Großbritannien auf, Assange nicht an die USA auszuliefern: „Großbritannien sollte in Einklang mit seinen Gesetzen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen handeln und Assange nicht wegen seiner Journalismus-ähnlichen Aktivitäten an die USA ausliefern.“

Das Committee to Protect Journalists sieht in dem jetzigen Anklagepunkt aus den USA ebenfalls eine Gefahr für die Pressefreiheit:

„Die möglichen Auswirkungen der Anschuldigung einer Verschwörung zwischen Journalist und Quelle auf die Pressefreiheit sind äußerst besorgniserregend“, sagte Robert Mahoney, stellvertretender Direktor des Committee to Protect Journalists. „Mit dieser Verfolgung von Julian Assange könnte die US-Regierung eine rechtliche Argumentation dazu etablieren, wie Journalisten Informationen einholen oder mit Quellen interagieren sollten, die abschreckende Folgen für die investigative Berichterstattung und die Veröffentlichung von Informationen von öffentlichem Interesse haben könnten.“

Unbenommen davon, ob sich Assange also des Hackens eines Passwortes schuldig gemacht hat, kann die Anklage, die auf die Interaktion von Quelle und Journalist zielt, eine einschüchternde Wirkung entfalten und die zukünftige Zusammenarbeit von Informanten und Presse erschweren.

Angriff auf die Pressefreiheit

Und nicht nur das: In den bisherigen Ermittlungen gegen Wikileaks war beispielsweise in einem Brief der US-Staatsanwältin Tracy Doherty-McCormick vom 7. März 2018 an Daniel Domscheit-Berg enthalten, dass die Ermittlungen wegen des „unerlaubten Erhalts und der Verbreitung geheimer Informationen“ geführt werden.

Doch wenn es um die „Verbreitung geheimer Informationen“ geht, dann ist dies ein fundamentaler Angriff auf die Presse. Der investigative Journalismus als Ganzes, die Veröffentlichung und Auswertung geheimer Dokumente und eine Kontrolle von Regierungen durch die Presse wären ständig mit drastischen Strafen bedroht.

Der Whistleblower Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon Papers veröffentlichte, warnt in einem Interview mit der taz vor einem Angriff auf die Presse: „Ich betrachte es als Schuss auf Journalisten und Verleger, die sich investigativem Journalismus widmen. Es ist eine Eskalation von Trumps Krieg gegen die Presse, die er in Tweets als Feind des Volkes bezeichnet.“

Angesichts dieser fatalen Auswirkungen sind deutsche Journalistenverbände erstaunlich leise. Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) forderte in einer knappen Pressemitteilung lediglich die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards ein, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) äußerte sich gar nicht.

Weiteres Umfeld von Wikileaks im Fokus

Im Zuge der Verhaftung scheint auch das weitere Umfeld von Wikileaks in den Fokus zu geraten. So wurde nur kurz nach Assanges Verhaftung der Software-Entwickler und Internetaktivist Ola Bini am Flughafen in Quito in Ecuador festgenommen.  Bini hat sowohl für Mail-Verschlüsselung mit Enigmail wie auch für Tor programmiert. Die ecuadorianischen Behörden werfen ihm Hacking vor.

Für die sofortige Freilassung Binis setzt sich nicht nur das Tor-Project ein, sondern auch die Presse- und Informationsfreiheitsorganisation Article 19 und der Chaos Computer Club. Auch der UN-Sonderberichterstatter für die Meinungsfreiheit, David Kaye, sprach sich für den festgenommenen Programmierer aus.

Eine Ergänzung

  1. Im Fall Phone-Hacking in UK wurde der Murdoch-Presse das widerrechtliche Eindringen in Systeme zum Vorwurf gemacht. Ist das dann auch okay?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.