Privatsphäre von Kindern: Wer will an die Daten?

Kinder hinterlassen heutzutage die wohl größten digitalen Fußabdrücke der Geschichte – ihre Daten werden sowohl von privaten Unternehmen als auch von Regierungen gesammelt und ausgewertet. Das hat Folgen: Es geht um ihre Freiheit, aus Fehlern zu lernen, ihre Chancen und Möglichkeiten und diskriminierende Algorithmen.

Auch Kinder nutzen Smartphones und dabei fallen Daten an. – Vereinfachte Pixabay Lizenz Anviere

Dieser Text ist eine Übersetzung des Artikels „Your family is none of their business“, der am 23. Juli 2019 von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) veröffentlicht wurde. EDRi veröffentlichte ebenfalls eine Kurz-Animation zum selben Thema. Übersetzung von Kirsten Fiedler.

Der Sommer bedeutet meist, dass Eltern ihren Kindern mehr Zeit widmen können. Oft heißt dies auch, dass Kinder mehr Zeit an elektronischen Geräten verbringen, sei es an den eigenen oder an denen ihrer Eltern. Selfies mit den Kleinen oder Beschäftigungsmaßnahmen per Facebook-Spiel oder einer Youtube-Playlist – das sind nur einige Beispiele, die den digitalen Fußabdruck unserer Kinder zum Größten in der Menschheitsgeschichte machen.

Wer will an die Daten eurer Kinder?

Mobiltelefone, Tablets und andere elektronische Geräte öffnen die Tür für die Nutzung der Daten über die Person, die dieses Gerät benutzt – wie alt sie ist, welcher Ethnie sie angehört, wo sie sich befindet, welche Websites sie besucht. Oft ist diese Person minderjährig. Obwohl viele Apps und Dienste erst ab 12 oder 14 Jahren offiziell genutzt werden dürfen, ist es für Eltern meist sehr schwierig, das zu kontrollieren. Aber wer will eigentlich an die Daten eines jungen Menschen?

Ein erstes Beispiel sind die Unternehmen, die „intelligentes“ Spielzeug, also Smart Toys, entwickeln. Im vergangenen Jahr standen sie mehrfach im Rampenlicht, weil sie Daten von Minderjährigen übermäßig gesammelt, gespeichert und falsch behandelt haben. Man erinnere sich an den berüchtigten Fall von „My Friend Cayla“, der „intelligenten“ Puppe, die nachweislich die Gespräche zwischen ihr und Kindern aufzeichnet und mit Werbetreibenden teilt. Tatsächlich wurde die Puppe in Deutschland verboten.

Die Liste der „intelligenten“ Technologien, die Daten von Kindern sammeln, ist jedoch noch viel länger. Ein weiteres Beispiel für den Missbrauch von Kinderdaten durch ein Privatunternehmen wurde 2015 bekannt, als Google seine Schulprodukte jungen amerikanischen Schülern anbot und sie ohne ihre Zustimmung über ihre verschiedenen (Heim-)Geräte verfolgte, um weitere Google-Produkte zu verbessern.

Jüngst kam der hessische Landesdatenschutzbeauftragte zu dem Ergebnis, Microsoft Office 365 müsse aus Datenschutzgründen aus Schulen verbannt werden.

Neben privaten Unternehmen haben auch Behörden ein Interesse daran, die Online-Aktivitäten von Kindern aufzuzeichnen, zu speichern und zu nutzen. Ein Bericht von Big Brother Watch aus dem September 2018 zeigt zum Beispiel, dass das britische „Department for Education (DfE) ein riesiges Datenvolumen über einzelne Kinder aus staatlich finanzierten Schulen und Kindergärten abfragt, dreimal jährlich in der Schulzählung und anderen jährlichen Umfragen“.

Die von den Schulen erhobenen Daten – etwa Name des Kindes, Geburtsdatum, ethnische Zugehörigkeit, Schulleistungen, besondere Bildungsbedürfnisse – werden mit dem Profilen in sozialen Netzwerken oder anderen Daten wie Haushaltsdaten kombiniert, die dann von Datenhändlern gekauft werden. Warum werden alle diese Datensätze zusammengeführt?

Die lokalen Behörden wollen immer mehr Algorithmen trainieren, die das Verhalten von Kindern vorhersagen, um bestimmte Kinder zu identifizieren, die potenziell zu Bandenzugehörigkeiten oder Radikalisierung neigen könnten.

Immense Konsequenzen für die Zukunft der Kinder

Unsere Kinder haben von allen Menschen den wohl größten digitalen Fußabdruck in der Menschheitsgeschichte. Manchmal beginnt die Erhebung der Daten eines Kindes schon vor der Geburt. Diese Daten werden zunehmend dessen Zukunft, seine Chancen und Möglichkeiten bestimmen. Was bedeutet das für die Entwicklung der Kinder und ihre Lebensentscheidungen?

Wie einige Studien zeigen, zielt die umfangreiche Datenerhebung an Schulen unter anderem darauf ab, „Verhaltensfehler“ der Schüler*innen früh zu erkennen, dagegen vorzugehen und ihre Leistung zu optimieren. Aber Fehler sind während der Entwicklung eines Kindes unglaublich wertvoll – Fehler zu begehen und Lehren zu ziehen ist eine wichtige Ergänzung zur Wissensübertragung durch die Erwachsenen.

Tatsächlich zeigt eine weitere Studie, dass der Lernprozess gefördert wird, wenn Kinder die Lösung auf eine Frage nicht wissen oder sie falsch beantworten. Die ständige Verwendung von Algorithmen zur Leistungsoptimierung auf Grundlage des digitalen Fußabdrucks eines Kindes schadet daher dem Recht des Kindes, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen.

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Fehler sind nicht die einzige Quelle wichtiger Erkenntnisse. Mit der steigenden Anzahl von Angriffen auf IT-Systeme von Schulen können Kinderdaten in die falschen Hände geraten. Dumme Fehler könnten dann auch dazu genutzt werden, den Ruf des zukünftigen Erwachsenen zu schädigen. Einige Fehler müssen vergessen werden. Allerdings erhöht die Protokollierung jedes Entwicklungsschrittes eines Kindes das Risiko, dass die Fehler der Vergangenheit später gegen es verwendet werden.

Letztendlich können die Daten von Kindern dazu beitragen, dass sie diskriminiert werden. Wie bereits erwähnt, werden Daten oft dazu verwendet, das Verhalten von Kindern vorherzusagen – wobei Behörden lediglich dort eingreifen, wo sie es für notwendig halten. Algorithmen sind jedoch ein Spiegel für menschliche Vorurteile, zum Beispiel gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe.

Was passiert, wenn einem schwarzen Kind vorhergesagt wird, dass es dem Risiko einer Gangzugehörigkeit ausgesetzt ist? Berichte zeigen, dass Behörden die Kinder, die möglicherweise von einer Bande rekrutiert werden könnten, so behandeln, als wären sie bereits Teil der Gang. Rassistische Profilerstellung durch Algorithmen kann so schnell zu einer traumatischen Erfahrung für ein Kind werden.

EDRi setzt sich schon seit Jahren aktiv für den Schutz von Daten ein – von Groß und Klein. European Digital Rights ist ein Netzwerk von 42 Bürgerrechtsorganisationen, die sich für die Achtung der Menschrechte, unter anderem der Privatsphäre, einsetzen. EDRis in vielen Sprachen erhältliche, kostenlose „Digital Defenders“-Broschüre für Kinder erklärt auf spielerische und praktische Weise, warum und wie man die eigene Privatsphäre online schützen kann.

EDRi begleitet derzeit auch die laufende Reform der ePrivacy-Richtlinie. Die Reform konzentriert sich darauf, Privatsphäre und Vertraulichkeit bei elektronischer Kommunikation zu sichern. Dabei geht es insbesondere um die Verarbeitung von Metadaten und Inhalten von Diensten wie WhatsApp, GMail und Online-Werbung. Diese EU-Reform ist daher eine große Chance, die missbräuchlichen Praktiken der Datensammlung und -verwertung einzuschränken.

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