Netzpolitischer Wochenrückblick KW 21: Geht bitte wählen!

Wir präsentieren die neuesten Recherchen zu den Twitter-Tricks der AfD. Anlässlich der EU-Wahlen blicken wir auf fünf Jahre Digitalpolitik der EU zurück und zeigen, wie viel Geld die Parteien in den Wahlkampf bei Facebook gesteckt haben. Außerdem gratulieren wir zu 70 Jahre Grundgesetz, geben Hintergründe zur Fusion-Aufregung und stellen teure IT-Projekte vor.

Genau hinschauen, lohnt immer. Scheint irgendwie das Motto der Woche gewesen zu sein. CC-BY-NC-ND 2.0 Diana Robinson

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Seit gestern sind insgesamt 400 Millionen Europäer:innen dazu aufgerufen, ein neues EU-Parlament zu wählen. Am Sonntag ist Wahltag in Deutschland. Das nehmen wir zum Anlass, um auf Europas Netzpolitik der letzten fünf Jahre zurückzublicken, und die wichtigsten Gesetze und Ereignisse Revue passieren zu lassen. Ob Datenschutz, Milliardenstrafen gegen Konzerne, Uploadfilter und immer neue Sicherheitsgesetze: Wir meinen, die vergangenen fünf Jahre unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker waren ein Wechselbad der Gefühle. Wie es für die Freiheit von Internet und Gesellschaft weitergehen wird, ist jedoch nur schwer abzusehen und hängt stark davon ab, wie die Europäer:innen in diesen Wahltagen abstimmen.

Die kommenden Jahre werden entscheidend sein bei der Frage, in welcher digitalen Gesellschaft wir leben wollen. Geht bitte wählen, wenn Ihr könnt und dürft – es war nie wichtiger!

Umso schlimmer, dass der beliebte Wahl-O-Mat offline gehen musste und damit besonders Erstwähler:innen eine wichtige Orientierungshilfe genommen wurde. Die Kleinpartei VOLT hatte vor Gericht wegen Benachteiligung geklagt und Recht bekommen. Ein unverhältnismäßiges Urteil, findet Daniel Seitz. Dank einer außergerichtlichen Einigung ist der Wahl-O-Mat seit heute wieder online.

Wie viel Geld geben Parteien für Wahlwerbung auf Facebook und Instagram aus? Wir haben das durchgerechnet

Außerdem wissen wir endlich, wie viel Geld Parteien für Wahlwerbung auf Facebook und Instagram ausgeben. Dank eines endlich veröffentlichen Transparenzreports können wir uns kurz vor der EU-Wahl erstmals ein Bild davon machen, wie viel Geld die Parteien in Deutschland für Werbung auf Facebook und Instagram ausgeben. Die SPD gibt am meisten Geld für Werbung bei Sozialen Medien aus, die AfD hat andere Methoden, wie wir nun wissen.

Und auch dieser Wahlkampf vergeht nicht ohne Aufregung: Der Youtuber Rezo hat es durch sein Video „Die Zerstörung der CDU“ geschafft, die altehrwürdige Partei mächtig unter Druck zusetzen. Besonders die Reaktionen auf das Video zeigen, dass wir davon noch mehr brauchen, meint Markus Beckedahl und fragt: Wer ist hier eigentlich alternativlos?

Unsere Recherchen werfen mehr Licht in die Twitter-Trickkiste der AfD

Wieso wirkt die AfD auf Twitter oder Facebook teilweise so groß? Eine gemeinsame Recherche von netzpolitik.org und t-online.de geben einen umfassenden Einblick in die Twitter-Tricks der AfD. Jetzt ist klar, dass die Partei etwa einen Social-Media-Berater aus Münster dafür bezahlte, damit dieser Twitter-Accounts mit Spammer-Methoden züchtete und unter wechselnden Namen innerhalb der AfD weiterreichte. Er steht im Verdacht, hinter den zahlreichen Fake-Accounts zu stehen, die mit koordinierten Retweets Parteimitglieder stärken und Reichweite künstlich erhöhen.

Fusion-Festival: Weitergabe von Daten und Desinformation

Der Wirbel um das Fusion-Festival geht in eine neue Runde: Der öffentliche Druck auf die Polizei steigt enorm. Besonders nachdem bekannt wurde, dass das Polizeipräsidium Neubrandenburg sensible, personenbezogene Daten aus dem Genehmigungsverfahren des Festivals ungeschwärzt an einen verurteilten rechten Gewalttäter weitergegeben hat. Damit sollte in einer Bachelorarbeit an der FH Güstrow der Einsatz der Polizei auf dem Festival aus „wissenschaftlicher“ Perspektive begründet werden.

Als nach dem vielen Wirbel um Wasserwerfer-Einsätze, Gerüchten von 1.000 Polizist:innen auf dem Fusion-Gelände und dem Skandal um die Weitergabe von Dokumenten, die Polizei zurückrudert, können wir aufdecken: Die Polizei hat in der Krisen-Kommunikation Fakten verdreht.

Teure IT-Projekte: Hauptsache irgendwas mit Blockchain und KI

Indes können erstmals Zahlen zu den IT-Projekten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) genannt werden. Aus einer Kleinen Frage der Linksfraktion geht hervor, dass das BAMF viel Zeit und Geld in Automatisierung, Blockchain oder Künstlicher Intelligenz investiert. Etwa wurden 4,5 Millionen Euro für eine Blockchain ausgegeben, um zu testen, ob und wie sich so Asylverfahren verwalten lassen können. Dabei gibt es gleich mehrere problematische Punkte: Etwa ein großes Wirrwarr an unterschiedlichen Beraterfirmen, die an den Projekten teilnehmen, oder, wesentlich drängender, datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Asylverfahren.

Zudem ist wohl die rechtliche Lage bei dem Einsatz des Staatstrojaners durch die Polizei unklar. In einem wissenschaftlichen Gastbeitrag beschreiben Benjamin Derin und Sebastian Golla, dass Polizeien den Trojaner zwar nutzen, aber oft nicht installieren dürfen. Das Aufspielen der Schadsoftware sei dann rechtswidrig, wenn dafür Wohnungen betreten oder Nachrichten mit falschem Absender verschickt werden müssten. Zudem sei es auch unzulässig, IT-Sicherheitslücken offen zuhalten und auszunutzen.

Überwachte Politiker führen zu weniger Überwachung.

Deutschland feiert diese Woche 70 Jahre Grundgesetz. Ob Staatstrojaner, die neuesten IT-Projekte des BAMF oder Wasserwerfer auf friedlichen Festivals. Allein diese Woche hat gezeigt, dass das Jubiläum des Grundgesetzes ein Tag der Mahnung sein muss. Vor dem Hintergrund der Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre, kommentiert Markus Reuter, dass Grund- und Freiheitsrechte eben nicht gnadenvoll vom Staat gewährt würden, sondern jeden Tag aufs Neue erhalten und erkämpft werden müssten.

Überwachte Politiker führen zu weniger Überwachung. Denn eine heimliche Videoüberwachung war Auslöser der Ibiza-Affäre. Nachdem der Skandal um FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache die österreichische Koalition zu Fall brachte, wird wohl erst mal nichts aus dem digitalen Ausweiszwang. Ähnlich wie der Klarnamenpflicht wollte Österreich gegen die Anonymität im Netz per Gesetz vorgehen. Doch die Regierungskrise wirbelte den Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren durcheinander – und könnte es zur Gänze kippen.

Nie wieder WhatsApp

Die EU-Staaten könnten Messenger zur Öffnung zwingen, um deren Marktmacht zu beschränken. Damit wäre eine Kommunikation zwischen verschiedenen Messenger-Diensten möglich. Doch kleine Anbieter sehen das kritisch, da das Datenschutzniveau sinken könnte und Informationen mit den Marktführern geteilt werden müssten.

Außerdem gibt es Neuigkeiten aus dem Justizministerium. Seit 2016 gibt es in der EU einheitliche Regeln zur Netzneutralität, doch anscheinend blockiert das Justizministerium eine bessere Durchsetzung dieser. Deutschland ist eines von zwei Ländern in der EU, die Verstöße bisher nicht mit angemessenen Bußgeldern ahnden und das soll offenbar auch so bleiben.

Und Finanzminister Olaf Scholz möchte das Transparenzregister gegen Steuerhinterziehung öffnen. Was zunächst gut klingt, wird jedoch bei genauerem Hinschauen zu einer Nebelkerze statt wirklicher Offenheit: Denn der Zugang zu den Daten soll Geld kosten und wird weiterhin von einer privaten Firma verwaltet.

Feministischer Algorithmus

Natürlich gibt es auch diese Woche wieder etwas für die Ohren. In der neuesten Ausgabe unseres netzpolitischen Podcasts haben wir mit Caroline Sinders über feministische Algorithmen gesprochen. Dabei geht es um die Frage, welche Zutaten (in Form von Daten, selbstverständlich) eigentlich in einen Algorithmus sollen und ob diese so gestaltet werden können, dass sie nachvollzogen werden können.

Leonhard Dobusch widerspricht in der neuesten Folge von „Neues aus dem Fernsehrat (41)“ dem Satiriker und EU-Wahlkandidaten Nico Semsrott bei der Frage, ob politische Parteien Videoausschnitten der öffentlich-rechtlichen Sender auf Youtube nutzen sollen dürfen. Dobusch schreibt, dass es sich hierbei zwar um einen Verstoß gegen das Urheberrecht handle, wenn sich Parteien an dem Videomaterial bedienen, doch das sollte es eigentlich nicht sein.

Auf der re:publica hat Markus Beckedahl in einer Debatte von ZDF-Kultur mit dem EU-Abgeordneten Axel Voss über die EU-Urheberrechtsreform diskutiert. Im Video-Archiv der re:publica ist die lange Fassung verfügbar. ZDF-Kultur hat nun eine zusammengeschnittene Best-of-Fassung in kurzen zwölf Minuten in der Mediathek veröffentlicht.

Das Video-Archiv der re:publica enthält außerdem viele weitere netzpolitisch-relevante Vorträge und Debatten zu zahlreichen Themen. Wir haben die spannendsten Talks von der letzten re:publica zum Thema „Digitale Öffentlichkeit“ in einer Playlist zusammengestellt. Viel Spaß beim zeitsouveränen Nachschauen.

Wir wünschen ein schönes Wahl-Wochenende!

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