Till Schäfer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dortmund. Er ist Repräsentant von Do-FOSS, der Initiative für den Einsatz Freier und Quelloffener Software (Free and Open Source Software, kurz FOSS) bei der Stadt Dortmund.
Christian Nähle ist Verwaltungsfachwirt und Geschäftsführer von Do-FOSS.
Dr. Denis Kurz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dortmund und arbeitet im Koordininationskreis von Do-FOSS.
Saatgut und Software könnten kaum verschiedener sein. Saatgut ist analog, Software ist digital. Saatgut begleitet die Menschheitsgeschichte bereits sehr lange. Software ist, geschichtlich gesehen, noch jung. Saatgut kommt aus der Natur, Software entstammt der menschlichen Kultur. Was also haben Saatgut und Software gemeinsam? Der jeweilige Gebrauch kann an Nutzungsbedingungen geknüpft sein, welche der Hersteller vorgibt.
So kann zum Beispiel das Recht eingeschränkt werden, Software oder selbst geerntetes Saatgut weiterzugeben. Sind Saatgut oder Software auf solche Weise eingeschränkt, werden sie „unfrei“ oder „proprietär“ genannt. Zudem wird unfreies Saatgut biologisch und unfreie Software technisch in der Regel auf eine Weise am Markt bereitgestellt, die eine Nachzüchtung von Saatgut oder eine Weiterentwicklung von Software unterbindet.
Bei Freiem Saatgut und Freier Software hingegen werden Nutzung und Weitergabe nicht eingeschränkt. Aus gesellschaftlicher Sicht können Saatgut und Software also entweder als Privateigentum oder als Gemeingut bewirtschaftet werden. Wir wollen im Folgenden aufzeigen, dass mit dem freien oder proprietären Ansatz jeweils Vor- und Nachteile verbunden sind. Die folgende Betrachtung von Nutzungsrechten und Gemeingütern stellt gesellschaftliche Prinzipien heraus, die sich auf andere Themenfelder übertragen lassen. Saatgut und Software dienen dabei als Beispiele für unsere Betrachtungen.
Freie Lizenzen: Schutz für Gemeingut
Welche Rechte Hersteller von Saatgut oder Software einräumen und welche Pflichten sie einfordern, wird durch Lizenzen geregelt. Um rechtliche Abhängigkeiten der Landwirtschaft von Saatgutproduzenten zu verhindern, hat die Initiative OpenSourceSeeds die Freie Open-Source-Saatgut-Lizenz mit den folgenden drei Regeln entwickelt:
- Regel 1: Jede*r darf das Saatgut frei nutzen, es vermehren, weiterentwickeln, züchterisch bearbeiten und es im Rahmen bestehender Gesetze weitergeben.
- Regel 2: Niemand darf das Saatgut und seine Weiterentwicklungen mit geistigen Eigentumsrechten wie Patenten belegen.
- Regel 3: Jede*r Empfänger*in überträgt zukünftigen Nutzer*innen des Saatguts und seinen Weiterentwicklungen die gleichen Rechte und Pflichten.
Vorbild bei der Entwicklung dieser Lizenz waren die Freien Softwarelizenzen. Die Free Software Foundation Europe formuliert deren Prinzipien wie folgt:
- Freiheit 1: Ein Programm für jeden Zweck auszuführen.
- Freiheit 2: Die Funktionsweise eines Programms zu untersuchen und es an seine Bedürfnisse anzupassen.
- Freiheit 3: Kopien weiterzugeben und damit seinen Mitmenschen zu helfen.
- Freiheit 4: Ein Programm zu verbessern und die Verbesserungen an die Öffentlichkeit weiterzugeben, sodass die gesamte Gesellschaft profitiert.
Diese Prinzipien werden durch konkrete Freie-Software-Lizenzen wie die GNU General Public License ausgestaltet.
Saatgut wie Software: ungleich und gleich zugleich
Proprietäre Lizenzen haben auf dem Software- und dem Saatgutmarkt sehr ähnliche Auswirkungen. So sieht man in beiden Märkten eine starke Monopolisierung. Im Softwarebereich entfallen bei Desktop-Computern über 80 Prozent der installierten Betriebssysteme auf Microsoft Windows. Im Saatgutbereich beherrschen seit der Fusion von Bayer und Monsanto im Jahr 2018 nur noch drei Konzerne 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes.
Das Ergebnis dieses Trends zur Machtkonzentration ist erschreckend: 75 Prozent der zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch verfügbaren Sortenvielfalt sind heute verloren. Beiden Märkten ist wiederum gemein, dass häufig die Monopole dadurch aufrecht erhalten werden, dass Kund*innen der Wechsel zu Alternativen erschwert wird. Im Softwarebereich führt das dazu, dass die Auswahl von Softwareprodukten sich nicht mehr nur an Sachgründen wie zum Beispiel einem starken Datenschutz orientiert. Somit ist die digitale Souveränität eingeschränkt.
Ob auf dem Acker oder am Bildschirm, das grundsätzlich Fatale an proprietären Strukturen ist, dass sie:
- sozial abhängig machen, denn sie führen zu Machtkonzentrationen bei wenigen,
- arm an Vielfalt sind, denn es herrscht eine starke Tendenz zur Monokultur, und …
- kulturvernichtend wirken, denn lokales Wissen kann sich nur schwer erhalten oder weiterentwickeln.
Saatgut und Software sollten als Gemeingut behandelt, anstatt privat eingehegt werden. Freie Lizenzen sind eine Voraussetzung dafür, dass Menschen sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen können. Sie ermöglichen es ihnen, Saatgut und Software nach ihren Bedürfnissen zu verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Diese vier Freiheiten für Gemeingüter sind zentral für eine mündige Gesellschaft.
Die Konferenz „Bits & Bäume“ brachte im Jahr 2018 erstmals im großen Stil Aktive aus der Zivilgesellschaft zusammen, um die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu diskutieren. Jetzt ist das Konferenzbuch „Was Bits und Bäume verbindet“ erschienen. Als Medienpartner der Konferenz veröffentlichen wir an dieser Stelle jeden Montag einen Beitrag daraus. Das ganze Buch ist auch als Download verfügbar und steht unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 DE.
Auch wenn es hier vorzugsweise um netzpolitische Themen geht, finde ich es richtig und gut, dass das Thema Saatgut an dieser Stelle mal angesprochen wird. Es gibt zu dem Thema zwei sehenswerte Dokumentationen (auch wenn diese bereits ein paar Jahre alt sind).
ORF-Doku „Triumph der Tomate“
https://www.youtube.com/watch?v=aomXvGBdMDA
NDR-Doku „Verbotenes Gemüse“
https://www.youtube.com/watch?v=7XhxZNrZqQg
Aber Vorsicht, man bekommt die Wut während man sie sich ansieht :-) Das trägt so groteske Züge, dass im Bericht genannte Hobbyzüchter die das Saatgut auch versenden, dieses mit einem Aufdruck „Nicht zum Verzehr geeignet“ versehen _müssen_ (was natürlich völliger Unsinn ist, im Gegenteil diese Tomaten schmecken ausgezeichnet).
Auch ich finde gut, dass man dieses Thema hier bespricht.
Ob Information binär oder in Form der vier Bausteine einer DNA codiert vorliegt, spielt informationstheoretisch schließlich gar nicht so die große Rolle. Daher liegt es nahe sich beim Code des Lebens und dessen (juristischem) Schutz an freien Lizenzmodellen zu orientieren. Es ist in Zeiten von CRISPR und angesichts der im Artikel erwähnten Marktkonzentration auch mehr denn je dringend nötig.
Gleichsam kann man von Freier Software aber auch lernen, dass sie schädliche Monopole oder Duopole nicht verhindert hat. Android ist frei. Aber indem Google beim Playstore und App-Vertrieb – dem „Android-Ökosystem“ – eine Quasi-Monopolstellung innehat und „der Markt“ (aka einflussreiche Hardware-Produzenten und PlayCard-Vertriebspartner) bei diesem Aufbau kräftig durch Mitmarschieren dazu beigetragen haben, führt trotzdem kaum ein Weg an Google vorbei.
Bei freiem Saatgut wäre das so, als würde Bayer/Monsanto sein Saatgut zwar unter freie Lizenz stellen, so dass es jeder verändern kann. Aber egal wo und welche Endprodukte man kauft, man bekommt quasi nur Lebensmittel/Stoffe die mit Monsanto-Saatgut gezüchtet sind, weil Bauern und Agrarkonzerne aus eigenen (meist kapitalistischen) Motiven „mitmarschieren“. Eine Open Source Lizenz könnte also zwar wichtiges Erbgut erhalten aber ob das praktisch relevant wird, ist dadurch nicht garantiert. Nichtsdestotrotz ist der Erhalt desselbigen und eine freie Lizenzierung – um es noch einmal zu betonen – auch in meinen Augen von enormer Wichtigkeit.
In einem sollte man aber sogar noch weiter gehen als bei Software: auch technisch modifiziertes Saatgut (CRISPR, Gene-Editing) erhält eine Unmenge „Code“ auf den _niemand_ einen Anspruch erheben kann und darf – der natürlichen Ursprungs ist. Lizenzmodelle für Saatgut sollten i.m.A. auch verhindern, dass der natürliche Code nach technischen Veränderungen kaum mehr reproduzierbar ist. Das alleinige „offenlegen“ (Open Sourcing) einer Gensequenz ist sehr wahrscheinlich nichtssagend, wenn man am Ende nicht mehr weiß wie die natürliche Ursprungssequenz ausgesehen hat. Eine freie Lizenz für Saatgut sollte daher i.m.A. auch vorsehen Veränderungen am Saatgut offenzulegen (bspw. als Diff zwischen ursprünglicher DNA und modifizierter).
Oder um es anders zu formulieren: die Nutzung und Veränderung von Open Source Saatgut müsste an eine gemeinnützige Plattform gebunden sein, eine Art gemeinnützigem „GitHub“, auf der Veränderungen des Saatguts und wer diese durchgeführt hat, transparent durch Wissenschaftler und Experten nachvollziehbar sind. Eine Umgehung dieser Plattform wäre wegen des dann vorliegenden Lizenzverstoßes strafbewährt.
Vielleicht gibt es in diesem Bereich auch echte Anwendungsfälle für Blockchains, deren Rolle es wäre die ursprüngliche Gensequenz zu speichern, kryptografisch zu signieren und alle Modifikationen auf diese zurückführbar zu halten, um einerseits mögliche Manipulationsversuche und Lizenzverstöße nachvollziehbar zu machen, als auch die Ursprungssequenzen reproduzierbar zu halten. Wissenschaftsinstitute, Universitäten und Forschungseinrichtungen (kommerziell/nicht-kommerziell) würden die Blockchain untereinander teilen.