Bits & Bäume: Digitaler Kapitalismus in Grün

Laut den Akteuren, die an der Digitalisierung verdienen, kann sie die Welt verändern: Energieeffizienter, ökologischer, nachhaltiger seien die neuen Technologien. Doch kann dieses grüne Versprechen gehalten werden, ohne den Kapitalismus ganz zu überwinden?

Eine Kollage zum Kapitalismus
Gibt es einen grünen Kapitalismus? Oder muss das System für die Nachhaltigkeit weichen? (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Koushik Chowdavarapu

Timo Daum ist Dozent und Sachbuchautor. Sein Themenschwerpunkt ist Digitaler Kapitalismus.

Dr. Steffen Lange arbeitet am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Seine Themenschwerpunkte sind Digitalisierung, nachhaltiges Wirtschaften, Ökologie und Wirtschaftswachstum.

Wunschtraum, Etappenziel oder Nebelkerze?

Die Digitalisierung tritt an, die Welt zu verändern. Und es stimmt: Mit rasantem Tempo haben sich die Vehikel der Digitalisierung in der Gesellschaft verbreitet. Smartphones kamen erst vor guten zehn Jahren auf den Markt! Auch überall sonst in der Gesellschaft – in den Unternehmen, Verwaltungen, in der Landwirtschaft, im Verkehr und sogar in Kunst und Musik – erhalten Sensoren, Prozessoren und vieles Digitale mehr Einzug.

Ja, man kann mit Fug und Recht sagen, die Digitalisierung verändert die Welt. Doch sie ist nicht irgendeine Technologie, die eben über die Welt strömt. Nein, sie soll nicht nur die Welt verändern, sie soll sie verbessern. So wird sie in jedem Fall von den Agierenden dargestellt, die sie antreiben – allen voran aus dem Silicon Valley. Auf diesen diskursiven Zug sind inzwischen Unternehmen aus aller Welt aufgesprungen, ebenso wie Regierungen und ein Großteil der medialen Berichterstattung.

Wen wundert es da, dass der Digitalisierung noch eine weitere Hoffnung zugeschrieben wird: den Planeten zu retten. Schon seit Jahren besteht die Erwartung, ökologische Probleme durch die Erhöhung der Effizienz – also weniger Energie und Ressourcen pro Produkt zu verbrauchen – zu lösen.

Der Digitalisierung wird zugeschrieben, genau dies zu erreichen. Damit ist sie zu einem zentralen Instrument zur Bewältigung ökologischer Probleme geworden – zumindest in Worten und auf Papier1,2.

Dabei wird sie von Unternehmen, Regierungen, Ministerien und Medien natürlich nicht als Vehikel zur grundlegenden Veränderung des Kapitalismus oder gar zu dessen Überwindung gesehen3. Nein, digitale Technologien sollen und werden in das bestehende System integriert. So verändert sich zwar auch das System selbst – beispielsweise wird es beschleunigt -, es wird aber nicht grundlegend anders.

Die Hoffnung besteht vielerorts dennoch: Kann die Digitalisierung unsere Wirtschaft ökologisch werden lassen? Innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems? Mit anderen Worten: Ist die Digitalisierung das erhoffte Hilfsmittel, vom alten braunen zu einem neuen grünen Kapitalismus überzugehen?

Grüner Kapitalismus

Grüner Kapitalismus ist der Versuch, eine Abkehr vom fossilen Raubbau hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu vollziehen, ohne die Grundprinzipien des Kapitalismus infrage zu stellen. Hendrik Sander zufolge ist es das zentrale Anliegen des grünen Kapitalismus, „alle gesellschaftlichen Energien auf das Ziel eines tief greifenden ökologischen Umbaus zu konzentrieren“ und zum „hegemonialen Projekt“4 zu werden.

Ein Green New Deal soll – wie einst der New Deal – eine neue Ära einleiten, welche die Klimaver-änderung stoppen kann und mit Marktmechanismen einen ökologischen Umbau realisiert. Die Idee ist hierbei explizit, die fundamentalen Logiken des Kapitalismus nicht infrage zu stellen. Dies hat vor allem zwei Gründe, die mal allein, mal gemeinsam auftreten.

Einige argumentieren, man könne die Dynamik und die „kreative Zerstörung“ des Kapitalismus für die grüne Sache nutzen. Denn welches andere System könnte so gut neue grüne Infrastrukturen schaffen und nachhaltige Produktions- und Konsummuster etablieren? Mit anderen Worten: Der Kapitalismus soll vor den grünen Karren gespannt werden.

Der zweite Grund für das Festhalten am kapitalistischen System ist, dass wir keine Zeit haben, ihn zu überwinden. Beim Klimawandel bleiben nur wenige Jahre, höchstens Jahrzehnte – da kann man nicht parallel noch schnell den Kapitalismus überwinden. Wie das funktionieren kann oder eben nicht, schauen wir uns im Bereich Verkehr genauer an.

Die Alternative zum Privatauto: Carsharing oder Bus und Bahn?

Die Unternehmen des Silicon Valley treten an, die Mobilität der Zukunft als IT-Service zu gestalten, und fordern damit die klassischen Industrien heraus. Ihre Vision ist ein „smarter“ Verkehr, der mit Daten und Algorithmen gesteuert wird. Plattformkapitalistische Geschäftsmodelle rund um kostenlose Services und die Sammlung von Userdaten sollen die Nutzung fossiler Energieträger und den „dummen“, nicht vernetzten Verkehr ablösen.

Die Akteure aus dem Silicon Valley versprechen uns eine smarte Zukunft, die Lösung ökologischer Probleme mithilfe von Algorithmen und Technologie, und das ganz ohne grundlegende gesellschaftliche Veränderung – ein generelles Charakteristikum der kalifornischen Ideologie. Der Einsatz von viel Kapital, gepaart mit dem Markt, soll es richten.

Plattformen dieses neuen Verkehrsmodells drängen auch in Deutschland auf den Markt: die Privatfahrtenvermittlung Uber, Taxi-Vermittlungs-Apps wie MyTaxi, Carsharinganbieter wie DriveNow und Plattformen für die Autovermietung zwischen Privatpersonen wie Tamyca und Drivy.

All diesen Angeboten ist gemeinsam, dass der Zugriff auf einen Service den Besitz eines Produkts ablöst. Mit einer „Ökonomie des Teilens“ oder „kollaborativem Wirtschaften“ haben diese allerdings wenig zu tun – sie sind von Unternehmen betriebene neue Nutzungsformen, bei denen die Profitabiltiät der Plattform im Vordergrund steht5.

Von einer sinkenden Umweltbelastung der Städte Europas durch die Automobilflut ist allerdings noch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Fahrten mit den neuen Flotten, insbesondere der Point-to-Point-Carsharing-Angebote, ersetzen eher Fahrten mit dem öffentlichen Personennahverkehr, als dass sie einen nachweisbaren Effekt auf die Anschaffung und den Betrieb von Privatfahrzeugen hätten6.

Das ist auch kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern erklärtes Ziel: In einer einzigen Presseerklärung verkündete Uber, den Privatbesitz an PKWs überflüssig machen zu wollen – Traumszenario für die Verkehrswende. Im selben Atemzug drückte Ubers Chief Executive Officer Dara Khosrowshahi auch seine Absicht aus, den öffentlichen Personenverkehr durch seinen Service zu ersetzen: „Ich möchte das Bus-System für eine Stadt betreiben.7

Die Wissenschaftler Brand und Wissen ziehen ein ernüchterndes Fazit über die Bestrebungen des digitalen Verkehrssystem: „Im Kern handelt es sich bei den beschriebenen marktfähigen und technologiefixierten Strategien einer Ökologisierung der Automobilität also um den Versuch, die imperiale Lebensweise durch die selektive ökologische Modernisierung […] auf Dauer zu stellen.“

Doch das gilt wohl nicht nur für das derzeit entstehende digitale Verkehrssystem, sondern – wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden – für auf Wirtschaftswachstum ausgerichteten digitalen Kapitalismus insgesamt.

Die Wachstumslogik bleibt erhalten

In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang der amerikanischen Automobilindustrie inmitten der Weltwirtschaftskrise eine bahnbrechende Erfindung. Keine technische allerdings, sondern eine des Marketings: „Jedes Jahr ein neues Auto!“ Alfred Sloan forderte, die „Änderungen am neuen Modell sollten so neu und attraktiv sein, dass eine Nachfrage entsteht […] bis zu einer gewissen Unzufriedenheit mit früheren [Modellen]“.

Der Chef von General Motors hatte damit die dynamische Obsoleszenz erfunden. Letztendlich sollte diese Strategie der Einführung von Produkten mit bewusst begrenzter Haltbarkeitsdauer zu einem Schlüsselelement der amerikanischen (und globalen) Konsumwirtschaft werden.

Diese Logik setzt sich in der digitalen Version des Kapitalismus fort. Heute ist es nicht nur „Jedes Jahr ein neues Auto“, sondern außerdem „Jedes Jahr ein neues Smartphone“. Genauer gesagt: Neben kontinuierlich neue Autos treten kontinuierlich neue Smartphones. Und selbst bei den Autos wirkt die Digitalisierung als Wachstumsbeschleuniger: Was aktuelle Autos von Versionen vor ein paar Jahren unterscheidet, hat immer auch etwas mit digitalen Möglichkeiten zu tun: Einparkhilfen, Ansätze autonomen Fahrens, Außenkameras und anderem mehr. Auch werden die Autos hierdurch immer schwieriger zu reparieren – was die Abhängigkeit von den Konzernen weiter steigen lässt.

Das gleiche Spiel sehen wir in anderen Sektoren: Theoretisch könnte das Smartphone als Multifunktionsgerät viele andere Geräte ablösen – stattdessen kaufen die Menschen zusätzlich neue internetfähige Fernseher, intelligente Saugroboter, Bluetooth-kompatible Stereoanlagen, smarte Sicherheitsanlagen und so weiter.

Angesichts dieser Dynamiken ist zu fragen: Kann der digitale Kapitalismus trotz bestehender Ausrichtung auf Profitgenerierung und damit auf steigende Absatzzahlen und Wirtschaftswachstum doch noch nachhaltig werden? Sehen wir uns einige Zahlen an.

Eine ökologische Bilanz der bisherigen Digitalisierung

Im Zuge der Digitalisierung ist immer wieder von den positiven Effekten einer informationszentrierten Ökonomie die Rede, die bestehende nachhaltige Ressourcen effizienter einsetze. Die Zahlen erzählen bisher eine andere Geschichte. Generell kann man die ökologischen Effekte der Digitalisierung in drei Bereiche teilen: erstens die materielle Basis – die Menge der Energie, der Emissionen und der Verbrauch von Ressourcen, die der Digitalisierung zuzuordnen sind. Das ist noch am leichtesten zu schätzen. Beispielsweise entfallen inzwischen rund zehn Prozent des weltweiten Stromverbrauchs auf die Nutzung des Internets und der Geräte der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) – und alle Prognosen sagen, dieser Anteil werde noch steigen.

Zweitens stehen dem die Energieeinsparungen gegenüber, die durch digitale Tools erreicht werden können. Wie viel Energie kann durch intelligente Robotik in der Industrie, durch precision farming, durch smarte Verkehrslenkung und so weiter, eingespart werden? Hier sind die Zahlen weniger einfach und klar. Es scheint jedoch sicher, dass die Effizienz steigt. In welchem Ausmaß, ist von Sektor zu Sektor unterschiedlich.

Drittens wird die höhere Effizienz für Mehrverbrauch – sprich Wirtschaftswachstum – genutzt und setzt damit Reboundeffekte frei. Ein Beispiel ist das Streaming (siehe Beitrag von Sühlmann-Faul).8 Insgesamt sind die ökologischen Auswirkungen der bisherigen Digitalisierung schwer zu messen und am Ende kaum zu bestimmen. Denn die Digitalisierung ist ein historisch einmaliges Phänomen und kann nicht von derzeit stattfindenden anderen Veränderungen getrennt werden.

Eines ist jedoch glasklar: Bisher hat die Digitalisierung nicht dazu geführt, dass weltweit der CO2-Ausstoß oder Ressourcenverbrauch gesunken wäre. Ganz im Gegenteil: Im Zeitalter der Digitalisierung steigen beide weiter an. Damit nicht genug: Um ökologische Ziele zu erreichen, bräuchten wir eigentlich eine rasante Reduktion der Umweltbelastung – davon sind wir im digitalen Zeitalter weit entfernt.

Kein Ende in Sicht

Die Digitalisierung, wie sie derzeit stattfindet, verändert also weder die Grundprinzipien des Kapitalismus noch den Umstand, dass das derzeitige Wirtschaften ökologisch unhaltbar ist. Vielleicht ist der digitale Kapitalismus aus ökologischer Sicht das kleinere Übel. Vielleicht ist eine weitere Ausbreitung von Massenkonsum und westlichem Lebensstil über den Globus mithilfe digitaler Möglichkeiten sogar signifikant umweltgerechter, als sie es auf Grundlage des vorherigen Kapitalismus gewesen wäre. Allerdings führt diese Gegenüberstellung in die falsche Denkrichtung.

Die Digitalisierung bringt keinen neuen Kapitalismus hervor, stattdessen bewirkt sie die Fortsetzung bestehender Dynamiken. Klar ist jedoch auch: Ökologisch nachhaltig ist das nicht. Auch der digitale Kapitalismus ist somit keine ökologische Alternative zum bestehenden und die Suche und der Kampf um ein umweltgerechtes Wirtschaftssystem gehen weiter.

Die Konferenz „Bits & Bäume“ brachte im Jahr 2018 erstmals im großen Stil Aktive aus der Zivilgesellschaft zusammen, um die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu diskutieren. Jetzt ist das Konferenzbuch „Was Bits und Bäume verbindet“ erschienen. Als Medienpartner der Konferenz veröffentlichen wir an dieser Stelle jeden Montag einen Beitrag daraus. Das ganze Buch ist auch als Download verfügbar und steht unter der Lizenz CC­ BY-NC-SA­ 3.0­ DE.


Fußnoten

  1. Die Bundesregierung Digitale Agenda 2014-2017 (2014)
  2. GeSI & Accenture Smarter 2030. ICT Solutions for 21st Century Challenges (2015)
  3. OECD OECD Digital Economy Outlook 2015 (OECD Publishing, 2015)
  4. Sander, H. Auf dem Weg zum grünen Kapitalismus? Die Energiewende nach Fukushima (Bertz und Fischer, 2016)
  5. Loske, R. Sharing Economy: Gutes Teilen, schlechtes Teilen? Blätter für deutsche und internationale Politik 11, 89-98 (2015)
  6. Steiner, J., & Graff, A. Kannibalisiert Car-Sharing den ÖPNV? Kommentar in: Lehmann, H. Car-Sharing entlastet den Verkehr kaum: Der Tagesspiegel (2. Februar 2015)
  7. Hook, L. Uber’s new CEO plans expansion into buses, bikes (2018)
  8. Sühlmann-Faul, F. Streaming heizt unserem Planeten ein. In: Was Bit und Bäume verbindet. (2019)

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3 Ergänzungen

  1. Zunächst ist anzumerken, dass laut Prognosen die Digitalisierung der Arbeitswelt in Deutschland i.V.m. KI (Industrie 4.0) – bis 2030 – bis zu vier Millionen Arbeitsplätze kosten könnte. Zwar bemühen sich verantwortliche aus Politik und Wirtschaft diesen Umstand kleinzureden und argumentieren ihrerseits mit der Erschließung neuer Möglichkeiten für die Arbeitnehmer. Fakt ist aber: Es wird in der Arbeitswelt deutlich mehr Verlierer als Gewinner geben. Zur Erinnerung: Vor über zwei Jahrzehnten wurde für das Internet in Deutschland damit geworben, dass mittel- bis langfristig rund 70.000 Arbeitsplätze entstehen würden.
    Heute müssen wir feststellen, dass hier ein Verdrängungswettbewerb stattgefunden hat, welcher z.B. für dass Aussterben von Fachgeschäften in den Innenstädten verantwortlich ist und auch so mache(n) Bankkaufmann/-frau überflüssig macht Eine Münze hat bekanntlich immer zwei Seiten!

  2. Im grunde ist die Konzernsoftware extrem unökologisch. Ein aktuelles Linux läuft z.B. noch auf einem aufgerüsteten 15 Jahre alten PC. Windows 10 würde damit niemals funktionieren. Die Konzerne entwickeln ihre Software so das ständige Neukäufe notwendig sind. z.B. keine Android Sicherheitsupdates mehr für ältere Handys usw.

    Daher wäre eine radikale Stärkung von OpenSource notwendig. Das geht aber nur indem auch staatliche Behörden darauf umsteigen und dies fördern anstatt die Konzerne zu pimpern. Dann liese sich Digitalisierung doch schon um einiges ökologischer umsetzen.

    Bei den etablierten Politik Akteuren ist dazu jedoch kein Wille zu erkennen. Wenn mehr verkauft wird bekommt der Staat ja mehr Steuereinnahmen (Mehrwertsteuer und co), hat also sicher kein Interesse daran Konsumverzicht attraktiv zu machen. Hier bräuchten wir aber eine radikale Kehrtwende.

  3. Ein sehens- und beachtenswerter Vortrag zum ditalen Wandel.
    Nicht kurz, aber prägnant auf den Punkt formuliert!
    Es werden auch exemplarisch einige Detailaspekte angesprochen, die sonst KEINER der „Digitalisierungsexperten“ in einer Präsentation erwähnt.

    https://www.tele-akademie.de/begleit/video_ta190602.php?xtmc=lesch&xtcr=1

    mp4-Download unter
    https://dlplanetschule-a.akamaihd.net/tele-akademie/ta190602_harald_lesch_-_die_digitale_diktatur.mp4

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.