Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.
Wenn Medienjournalisten, Satiriker oder Verfassungsrichter Kritik an der Rundfunkaufsicht üben, geht es meistens um den Vorwurf mangelnder „Staatsferne“. Deshalb beschränkte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 2014 den Anteil parteipolitischer Mitglieder auf ein Drittel. Deshalb kritisierten die Satiriker von „Der Anstalt“ in ihrer Sendung im Mai 2018 die parteipolitische Vergangenheit von Fernsehratsmitgliedern, die für gesellschaftliche Bereiche im Aufsichtsgremium sitzen. Und aus eigener Erfahrung kann ich ebenfalls bestätigen, dass der parteipolitische Einfluss über das Drittel explizit parteipolitischer Mitglieder hinausreicht. Insofern bin ich auch der Auffassung, dass Maßnahmen für den Ausbau von Staatsferne und demokratischer Legitimation wie beispielsweise die Bestellung eines Teils der Aufsichtsmitglieder mittels Losverfahren sinnvoll wären.
Unterbeleuchtet in dieser Debatte bleibt jedoch eine weitere Schwachstelle der real existierenden Rundfunkaufsicht, die nichts mit zu großer Nähe zur (Partei-)Politik sondern mit zu großer Nähe zu den Sendern zu tun hat, die beaufsichtigt werden sollen. Gerade weil öffentlich-rechtliche Medien nur einem begrenzten Markttest ausgesetzt sind, braucht es wirksame – und als wirksam wahrgenommene – Kontrolle, inwieweit diese ihren demokratisch festgelegten Auftrag erfüllen. Zumindest was den ZDF Fernsehrat betrifft ist mein Eindruck, dass es hier ebenfalls Defizite gibt.
Trennung zwischen Aufsicht und Sendermarketing
Mangelnde Senderferne beginnt bereits beim öffentlichen (Online-)Auftritt des Fernsehrats, der nur unzureichend zwischen Aufsicht und Sendermarketing trennt. Wie in der letzten Folge dieser Reihe bereits kurz erwähnt ist es beispielsweise so, dass die regelmäßigen Statusberichte zu Spartenangeboten wie 3Sat oder funk als Vorlagen des Fernsehrats nicht-öffentlich sind. Gleichzeitig gibt es zu jedem dieser Statusberichte immer eine Pressemeldung der Anstalt. Anlässlich der Oktober-Sitzung des Fernsehrats liest sich das dann wie folgt:
ZDF setzt mit Event-Fiction Maßstäbe – Intendant Bellut: „Wir müssen alle Generationen erreichen“ (Pressemitteilung)
ZDFmediathek legt weiter zu – ZDF-Intendant Bellut: „Kontinuierliche Optimierung hat sich bewährt“ (Pressemitteilung)
Spitzenplatz für KiKA-Onlineangebot – ZDF-Intendant Bellut: „Qualität schafft Vertrauen bei Kindern und Eltern“ (Pressemitteilung)
Jetzt will ich gar nicht beurteilen, ob diese Jubelmeldungen die Lage korrekt darstellen. Im Rahmen der Dokumentation der Aufsichtstätigkeit – und darum geht es bei der Webpräsenz des Fernsehrats – wirken sie jedoch eher fehl am Platz.
Instrument der Programmbeschwerden
Ebenfalls fragwürdig ist der Eindruck, den der Umgang mit Programmbeschwerden erzeugt. In den über zwei Jahren meiner Mitgliedschaft im Fernsehrat wurde keiner einzigen Programmbeschwerde „stattgegeben“. (Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie das offizielle Wording wäre, sollte der Fernsehrat einmal einer Beschwerde zustimmen. Es kam ja bislang nicht dazu.) In 41 von 43 erledigten Fällen kam folgender Textbaustein zum Einsatz:
Der Fernsehrat weist entsprechend der Empfehlung des Programmausschusses [Chefredaktion/Programmdirektion] in seiner Funktion als Beschwerdeausschuss gemäß § 21 Absatz 3 ZDF-Satzung die Programmbeschwerde zur [betroffene Sendung] vom [Datum] als unbegründet zurück.
Der Fernsehrat hat keinen Verstoß gegen die für das ZDF geltenden Rechtsvorschriften festgestellt.
Nur in meiner allerersten Fernsehratssitzung im Juli 2016 kam in zwei Fällen ein anderer Textbaustein zur Anwendung, allerdings wurde auch in diesen Fällen die Beschwerde für „erledigt erklärt“ (siehe Abbildung).
Auf meine Frage, ob schon jemals eine Programmbeschwerde nicht zurückgewiesen worden sei, wurde mir erklärt, dass auch bei Zurückweisung einer Beschwerde diese immer eine intensive Beratung zur Folge hätte. Und in der Tat belegen die öffentlich verlinkten Beschwerdeberichte (z.B. der letzte Bericht vom Oktober) durchaus, dass sich das ZDF intensiv mit Kritik in Form von Programmbeschwerden beschäftigt. Dennoch hinterlässt die ausnahmslose Zurückweisung sämtlicher Beschwerden den Eindruck, als würde das Aufsichtsgremium eine offizielle Rüge – und mehr wäre mit dem Stattgeben einer Beschwerde nicht verbunden – des Senders scheuen.
Konstruktive Kritik als Hauptaufgabe der Rundfunkaufsicht
Ganz allgemein bin ich davon überzeugt, dass Rundfunk- und Fernsehräte der langfristigen Legitimation öffentlich-rechtlicher Medien vor allem dann dienen, wenn sie diese konstruktiv-kritisch begleiten. Und zwar gerade auch in Zeiten, in denen von verschiedener Seite die Notwendigkeit von öffentlich-rechtlichen Medienangeboten grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die Glaubwürdigkeit öffentlich-rechtlicher Medien profitiert auch von einer glaubwürdigen Aufsicht. Und die braucht neben Staats- auch Senderferne.
Herr Dobusch, dieser und auch der vorhergehende Beitrag #30 lassen darauf schließen, dass Sie Ihre Zeit, die Sie für den Fernsehrat des ZDF aufwenden, in Zukunft wohl lieber wieder für andere Themen und Aufgaben verwenden wollen. Nach dieser eindeutigen Ketzerei gegen den geheiligten deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk waren Sie mit Sicherheit die längste Zeit Mitglied eines Gremium des ÖRR. Trotzdem möchte ich Sie noch einmal an das eigentlich sehr einfache Grundgesetz des ÖRR erinnern:
§1 Das System ÖRR und seine Funktionäre sind unfehlbar.
§2 Falls das System ÖRR und seine Funktionäre mal nicht unfehlbar sind, tritt automatisch und unwiderruflich §1 in Kraft.
Damit müsste jetzt auch Ihnen eigentlich klar sein, wieso Programmbeschwerden nie erfolgreich sein können und es dafür auch keinerlei Sprachregelung gibt.
Spaß beiseite (und zum Lachen ist es eigentlich eh nicht) – im System ÖRR gibt es kein Interesse an Transparenz und Öffentlichkeit, außer es gibt externen Zwang. Der Bürger könnte ja sonst Dinge erfahren, die das ohnehin schon ramponierte Bild vom ÖRR noch weiter verschlechtern könnten. Und die Beziehung des ÖRR zum Bürger beschränkt sich sowieso nur darauf, dass der Bürger gefälligst zu zahlen und sich an den vermeintlichen Segnungen des ÖRR zu ergötzen hat. Leider konnte noch kein pseudodemokratischer, aber nicht gleich offensichtlich rechtswidriger Weg gefunden werden, den Bürger nicht nur zum Zahlen, sondern auch zum Konsum des ÖRR zu zwingen.
Die staatstragenden (andere würden sagen: etablierten) Parteien haben auch kein Interesse daran etwas zu ändern oder gar das System grundlegend zu reformieren, denn sie hängen selbst viel zu tief mit drin. Für die staatstragenden Parteien ist der ÖRR eine wichtige Selbstdarstellungsplattform, in die sie zumindest ein Stück weit hinein regieren und damit kontrollieren. Für die ehemalige Volkspartei SPD, der inzwischen große Teile des (Wahl)Volks von der Stange gegangen sind, könnte das sogar überlebenswichtig sein. Der ÖRR andererseits ist auf die Parteien angewiesen, um die über lange Jahre geschaffenen Pfründe zu sichern und möglichst noch weiter auszubauen, sprich, dem Bürger tiefer in die Tasche zu langen. Daher wird man auch auf die schon längst überfällige eindeutige Definition des Begriffs „Grundversorgung“, insbesondere wo die Obergrenze dafür ist, noch sehr, sehr lange warten müssen, obwohl es angeblich im Zuge einer erneuten Reform des Rundfunkstaatsvertrags gerade mal wieder einen neuen Anlauf in diese Richtung geben soll.
Ein wirklich unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk müsste nicht nur explizit „staatsfern“, sondern zudem auch explizit „parteienfern“ sein (wobei, wenn man den Begriff „staatsfern“ weniger als unabhängig von der Staatsbürokratie/staatlichen Institutionen sondern etwas unkonventioneller als „bügerfern“ interpretiert, dann ist man beim ÖRR schon recht nahe der maximalen „Staatsferne“). Die von Ihnen beanstandete mangelnde „Senderferne“ ist letztlich nur ein Symptom der mangelnden „Staatsferne“ wie auch der mangelnden „Parteienferne“, da in den Rundfunkräten zu viele Leute sitzen, die bei deutlicher Kritik, auch wenn sie eindeutig berechtigt wäre, befürchten müssten, sich selbst und ihrer Partei zu schaden.
Die Behebung der Mängel „Staatsferne“, „Parteienferne“ und „Senderferne“ wäre nur möglich, wenn sich der ÖRR demokratisch selbst konstituiert und dann aber auch unabhängig von der Staatsbürokratie/staatlichen Institutionen und den staatstragenden Parteien selbst für seine Finanzierung sorgt. Insbesondere Letzteres wäre aber sehr unbequem, viele der lieb gewonnenen Pfründe würden in Frage gestellt, man müsste sich eben bei der Finanzierung dem Wettbewerb stellen. Das hätte aber den Vorteil, dass damit z. B. der Widerspruch zwischen dem Fantasiegehalt eines Claus Kleber, der Begründung dieses Fantasiegehalt wegen des Wettbewerbs am Markt (was auch immer das für ein Markt sein soll) angeblich zahlen zu müssen und der Tatsache, dass man bei der Finanzierung dieses Fantasiegehalts aber gerade nicht am Markt teilnehmen will, sondern sich lieber die passenden Gesetze maßschneidern lässt, nach denen man einfach so dem Bürger in die Tasche langen kann, aufgelöst würde. Der Reputation und Akzeptanz des ÖRR wäre das mit Sicherheit sehr dienlich.
Abschließend sei noch angemerkt, dass die Unabhängigkeit des ÖRR auch einschließen müsste, sich nicht von irgendwelchen kommerziellen Plattformen, sozialen Medien usw., insbesondere den US-Datenkraken Facebook, Youtube/Google und Twitter mit ihrem mitunter fragwürdigem Rechtsverständnis und Geschäftsgebaren, abhängig zu machen, nur weil man offensichtlich dringend mehr jüngere Nutzer für seine Angebote benötigt – bevor jemand mal den Coup mit dem Rundfunkbeitrag ernsthaft in Frage stellen könnte. Dabei will man damit doch seine Pfründe für die Ewigkeit zementieren, wäre ja echt schade, wenn dieser lang ausgetüftelte und bisher so gut laufende Plan – sogar das Bundesverfassungsgericht ist darauf reingefallen – am Ende noch scheitert.
PS: Wer hier Ironie, Sarkasmus oder gar Zynismus findet, der darf’s behalten, da habe ich noch mehr von.
Lieber Leonhard,
zunächst ‚mal Danke für das Teilen Deiner Gedanken!
Auch wenn dem Vorposter Physiker kaum noch etwas hinzuzufügen ist, dennoch ein paar Gedanken dazu…
> Deshalb beschränkte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 2014
> den Anteil parteipolitischer Mitglieder auf ein Drittel.
Und wer kontrolliert’s und kann ggf. darauf Einfluss nehmen?
> Deshalb kritisierten die Satiriker von „Der Anstalt“ in ihrer Sendung im
> Mai 2018 die parteipolitische Vergangenheit von Fernsehratsmitgliedern,
> die für gesellschaftliche Bereiche im Aufsichtsgremium sitzen.
Und das verändert jetzt genau was?
Wir wissen bereits, dass der Fisch von der pseudodemokratischen Basis her
und am Kopfe stinkt.
> Gerade weil öffentlich-rechtliche Medien nur einem begrenzten Markttest
> ausgesetzt sind, braucht es wirksame – und als wirksam wahrgenommene –
> Kontrolle, inwieweit diese ihren demokratisch festgelegten Auftrag erfüllen.
Und darum kümmert sich beim ZDF jetzt aktiv wer?
Was Du dann im Weiteren beschreibst, ist einzig und allein Folge von mangelnder Kontrolle (incl. einem dedizierten Auftrag), denn Möglichkeiten zur Veränderung gibt es schlichtweg – nicht.
Eine „Staatsnähe“ des örR (inclusive ZDF) ist die conditio sine qua non seiner Existenz – sonst gäbe es den örR im 21. Jahrhundert bereits lange nicht mehr. Viele der ursprünglichen Rahmenbedingungen haben sich seit 1961 massiv verändert. Der 1. Senat des BVerfG hat am 28.02.1961 (und in seiner „Folgerechtsprechung“) genau diese „Staatsnähe“ zementiert, indem er anfing, den Artikel 5 – politisch genehm – „umzuinterpretieren“. Er durfte fortan nicht mehr „Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat“ (BVerfGE 7, 198, aus 1958) sein – sehr zur Freude und zum Gefallen aller MinisterpräsidentInnen bis zum heutigen Tage. Das jüngste Urteil vom 18.07.2018 bescheinigt dann auch die (politisch gewollte) Konformität mit dem GG (unter großen Lobeshymnen für den örR) aus der Sicht des BVerfG – und damit ist dann hier in Deutschland auch erst ‚mal Ende.
Wir können lange über „staats-“ und „senderferne“ lamentieren, neue Schlagwörter finden, die uns eine andere Realität zu verkaufen versuchen, als die, in der (und mit der) wir leben. Das deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ist schon lange tot (ein Blick in die „Angebote“ desselben könnte sich als hifreich erweisen), und wird nur noch von einzelnen Finanz-Profiteuren und Claqueuren weiter geritten. Gemessen am (vielleicht) durchaus vorhandenen Bedarf eines solchen Systems in der Bevölkerung geht die Diskrepanz zur praktizierten und erlebten „Wirklichkeit“ beim örR aber schon zu lange in Richtung Unendlich.
Die beim örR vorhandenen „(Kontroll-)Gremien“ sind alles andere als „demokratisch“ besetzt (wie Du ja selbst schreibst), und wer wollte sich dort (im Hinblick auf Veränderung) schon den eigenen Ast absägen?
Und Du darfst gerne weiter träumen!
Deine „Bemühungen“ in Ehren, aber Du bewegst Dich im falschen System! Und das ist „ausdauernder“, als Du es je sei’n und Dir überhaupt vorstellen könntest, weil hinter dem nur noch käuflich erhältlichen „Demokratieerhalter“ ganz andere Interessen stehen. Du weißt vermutlich auch sehr genau (oder sogar besser), welche ich da meine…
Ich sehe nur noch eine einzige Möglichkeit: Einstampfen und mit verbindlichem (d.h. auch zeitgemäßem) Auftrag – unabhängig u.a. von jeglicher Landespolitik – neu starten. Und genau das… wird nicht passieren, weil niemand da ist, der es in die Hand nehmen könnte (Vergleiche dazu die aktuell laufenden „Diskussionen“ der MinisterpräsidentInnen zur kommenden Erhöhung des Rundfunkbeitrages incl. einem neuem „Abzockmodell“).
Als letzte Hoffnung bleibt also nur noch der EGMR (…und das im „Rechtsstaat“ Deutschland)!
Ich wünsch‘ ein fröhliches Wochenende…