Mehr Wettbewerbskontrolle bei Plattformen, weniger bei Printmedien: Bundestagsanhörung zur Kartellrechtsreform

Das Bundeskartellamt soll mehr Möglichkeiten bekommen, die digitale Wirtschaft zu regulieren. Bei einer Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag begrüßten Experten die geplanten Schritte. Der Vorschlag der Bundesregierung, Presseverlagen mehr Absprachen und Kooperation zu ermöglichen, fiel hingegen durch.

Neue Regeln für digitale Märkte. Foto: Stuart Guest-Smith unter CC0 via unsplash

Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. Man kann leicht den Eindruck bekommen, die digitale Welt werde allein von diesen fünf US-Konzernen bestimmt. Selbstverständlich gibt es dann doch mehr Unternehmen, die die digitale Wirtschaft prägen und nicht alle Märkte sind so dominiert von einem einzigen Unternehmen, wie es bei Google und dem Suchmaschinenmarkt oder Facebook und dem Social-Media-Markt bei uns in Deutschland der Fall ist.

Dass die digitale Wirtschaft nichtsdestotrotz auch wettbewerbsrechtlich stärker reguliert werden muss, sieht aber offenbar auch die Bundesregierung so. Im September legte das Kabinett einen Entwurf zur Überarbeitung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) [PDF] vor, der auch Vorschläge enthält, die ein Vorgehen des Bundeskartellamtes gegen das Entstehen und Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung auf digitalen Märkten erleichtern sollen. Dazu befragte der Wirtschaftsausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Anhörung am Montag sieben von den Parteien benannte Sachverständige (Video).

Fusionskontrolle auch für Startups

Ein zentraler Punkt der GWB-Novelle ist, dass für die Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen künftig nicht mehr allein der Umsatz der Firmen relevant sein soll, sondern auch der Transaktionswert. Gerade bei Startups überschreite der Umsatz den für eine Prüfung bislang notwendigen Schwellenwert häufig noch nicht, heißt es dazu in der Gesetzesbegründung:

Dennoch können ihre Geschäftsideen ein hohes Marktpotenzial und eine große wirtschaftliche Bedeutung für den Erwerber haben. Solche Übernahmen können unter Umständen auch zu einer gesamtwirtschaftlich unerwünschten Marktbeherrschung oder erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen.

Die Übernahme von WhatsApp durch Facebook im Jahr 2014 wurde zum Beispiel nicht geprüft, weil der Messenger damals keine relevanten Umsätze erzielte. Dass der Zusammenschluss wettbewerbsrechtlich natürlich trotzdem relevant ist, weil er Facebooks quasi-Monopol bei Social-Media-Diensten stärkt, zeigte nicht zuletzt der Kaufpreis von 19 Milliarden Dollar. Wenn der Bundestag das Gesetz in der aktuellen Form beschließt, könnten künftig vom Bundeskartellamt auch Firmenübernahmen ab einem Kaufpreis von 400 Millionen Euro geprüft werden. Dies würde laut Prognosen der Bundesregierung nach aktuellem Stand zu etwa drei weiteren Fusionsprüfungen pro Jahr führen.

Unter den Sachverständigen fand dieser Vorschlag große Zustimmung. Der Ökonom Ulrich Schwalbe von der Universität Hohenheim wies Kritik aus der Internetindustrie zurück, dass deutsche Start-ups somit quasi unverkäuflich würden und kein Wagniskapital mehr anziehen könnten. Die Übernahmen seien ja nicht automatisch verboten, sondern würden lediglich einer Prüfung unterzogen. In den USA liege die Aufgreifschwelle für die Fusionskontrolle zudem deutlich niedriger. Dort müssen Unternehmenskäufe ab einem Wert von etwa 300 Millionen Dollar angemeldet und geprüft werden.

Auch Märkte, auf denen kein Geld sondern Daten fließen, sind wettbewerbsrelevant

Darüber hinaus schlägt die Bundesregierung eine gesetzliche Klarstellung vor, dass auch dort wettbewerbsrechtliche relevante Märkte vorliegen können, wo kein Geld fließt, sondern Menschen mit ihren Daten bezahlen. In der Begründung der GWB-Novelle heißt es dazu:

Insbesondere in der digitalen Wirtschaft können Daten und der Zugang zu Datenquellen eine erhebliche Bedeutung für die Marktstellung von Unternehmen haben. Für ihre Aufgabenerfüllung sind die Kartellbehörden und die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern daher auf die Möglichkeit eines umfassenden Austauschs angewiesen. Dieser Austausch wird durch eine Klarstellung im Gesetz weiter befördert.

Das Gesetz würde zudem fünf neue Kriterien für die Prüfung der Marktmacht eines Unternehmens einführen, die eine Anwendung des Wettbewerbsrechts auf sogenannten mehrseitigen Märkten erleichtern soll. Damit sind jene Märkte gemeint, bei denen ein Unternehmen gleichzeitig zwei unterschiedliche Nutzergruppen im Ziel hat, denen zusammenhängende aber verschiedene Leistungen angeboten werden. Ein typischer Fall ist das Geschäftsmodell der Werbefinanzierung: Unternehmen agieren mit ihren Produkten (Zeitungen, Social-Media-Plattformen usw.) sowohl auf einem Publikumsmarkt als auch auf dem Werbemarkt. Bislang hatten Kartellbehörden und Gerichte die Einstufung der unentgeltlichen Nutzerseite als Markt immer wieder verneint, so die Bundesregierung. Auf EU- und Bundesebene habe hier jedoch ein Umdenken eingesetzt:

Ein besseres Verständnis der Wirkungsweise zweiseitiger Märkte hat dazu geführt, dass das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission in mehreren Fusionskontrollentscheidungen das Vorliegen eines Marktes angenommen haben, obwohl die betreffende Leistung unentgeltlich angeboten wurde.

Die neuen Prüfkriterien sollen nun dafür sorgen, dass „die ökonomischen Besonderheiten, die sowohl die Ausgestaltung der Geschäftsmodelle als auch das Nutzerverhalten prägen“, ausdrücklich zum Prüfprogramm der Wettbewerbsbehörden gehören. Künftig sollen deshalb auch direkte und indirekte Netzwerkeffekte, der Wechselaufwand für Nutzer zu anderen Plattformen und Diensten, Größenvorteile, der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck in der Branche beachtet werden.

Wettbewerbsrechtler Rupprecht Podszun von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hält diese Maßnahmen für gelungen. Sie seien „so moderat, dass im Silicon Valley keine Schweißausbrüche losgehen“, entsprächen aber dem aktuellen Stand der Diskussionen in den Wirtschaftswissenschaften. Die konkrete Ausgestaltung des neuen Spielraums müsse freilich durch Gerichte und Wettbewerbsbehörden erfolgen, die gesetzliche Anpassung sei jedoch ein wichtiges Signal, so Podszun.

Auch Wirtschaftswissenschaftler Schwalbe begrüßte den Vorschlag. Die Liste der Kriterien könnte seiner Meinung nach jedoch noch ergänzt werden. Faktoren wie die Heterogenität der Nutzerschaft und Datensätze sowie die Diversität im Plattformangebot sollten ebenfalls Beachtung finden. Jutta Gurkmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sprach sich ebenfalls für eine Ergänzung der Kriterienliste aus. Auch der Zugang zu Analysemethoden und Verbundeffekte sollten explizit genannt werden.

Der Chef des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, bestätigte, dass die genannten zusätzlichen Kriterien für die Praxis grundsätzlich ebenfalls sinnvoll seien – betonte jedoch auch, dass die im Gesetz aufgeführte Liste nicht abschließend sondern beispielhaft sei. Die Überprüfung der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens erfolge ohnehin immer einzelfall- und kontextbezogen.

Zehn Jahre zu spät

„Deutschland wäre das erste Land mit klaren gesetzlichen Kriterien für die Beurteilung digitaler Märkte“, zeigte Mundt sich mit den Vorschlägen der Bundesregierung zur Plattformregulierung zufrieden. Dass diese Schritte de facto zehn Jahre zu spät kommen und für Verbraucher relevante Teile digitaler Märkte bereits von wenigen Unternehmen dominiert werden, fand in der Expertenbefragung kaum Erwähnung. Lediglich die wettbewerbspolitische Sprecherin der Grünen, Katharina Dröge, thematisierte, wie sich dort, wo bereits monopolartige Situationen vorliegen, wieder mehr Wettbewerb herstellen lasse.

Konkret schlug sie vor, über Verpflichtungen zur Interoperabilität von Plattformen und Diensten nachzudenken, zum Beispiel bei Messengern. Ähnlich wie bei E-Mails könnten Nutzer dann über mehrere Messenger-Anbieter hinweg miteinander kommunizieren. Zudem betonte sie die Rolle, die die mit der ab 2018 wirksamen Datenschutzgrundverordnung eingeführte Möglichkeit zur Datenportabilität für eine Belebung des Wettbewerbs spielen könnte. Jutta Gurkmann vom vzbv betonte, dass hier vieles von der konsequenten Umsetzung der Vorschriften abhänge. Dafür müssten gängige und einheitliche Datenformate festgelegt werden, sodass Nutzern die Mitnahme der eigenen Daten von einer Plattform zur nächsten möglich sei. Gleichzeitig müssten dabei auch Datenschutzaspekte beachtet werden, etwa wenn miteinander kompatible Messenger unterschiedliche Sicherheits- und Datenschutzniveaus hätten oder die eigenen Daten in Soziale Netzwerken mit denen anderer verknüpft seien.

Auf den Vorschlag von Rubbrecht Podszun angesprochen, im Bundeskartellamt die Stelle eines Cheftechnologen (CTO) zu etablieren, um die Einbindung technischer Kompetenz sicherzustellen, zeigt sich dessen Präsident Mundt selbstbewusst. Seine Behörde, deren Durchsetzungsbefugnisse im Zuge der Reform ebenfalls erweitert werden, benötige einen solchen Posten nicht beziehungsweise habe ihn „auf verschiedene Köpfe verteilt“ bereits heute. Dies würden das erfolgreiche kartellrechtliche Verfahren gegen Preisabsprachen von Apple und Amazon bei Hörbüchern sowie das im Frühjahr 2016 eröffnete Verfahren gegen Facebook zeigen. „Wir sind im weltweiten Vergleich der Wettbewerbsbehörden, die sich mit digitalen Märkten beschäftigen, quasi Vorreiter“, so Mundt. Auch die Arbeit der zuständigen Grundsatzabteilung und ein im September veröffentlichtes Arbeitspapier zu Marktmacht von Plattformen und Netzwerken im Internet zeigten, dass das Bundeskartellamt technisch bereits auf der Höhe sei. Die mit der GWB-Novelle jetzt vorgeschlagenen Neuerungen für digitale Märkte seien zu großen Teilen in seinem Haus mit erdacht und bereits erprobt worden.

Kritik an Ausnahmen des Kartellverbots für Presseverlage

Ein anderer Aspekt der GWB-Novelle, der im weiteren Sinne auch mit dem digitalen Wandel zusammenhängt, ist der Vorschlag der Bundesregierung, Vorgaben für die Kooperation von Presseunternehmen zu lockern. Bei der Freistellung vom Kartellverbot soll es ausschließlich um den verlagswirtschaftlichen Bereich gehen, nicht um den redaktionellen. Konkret will die Bundesregierung Verlagen und Zeitungshäusern eine Zusammenarbeit im Anzeigen- und Werbegeschäft, beim Vertrieb sowie bei der Zustellung und der Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften erleichtern. Sie begründet den Schritt als Maßnahme zur Sicherung der Pressevielfalt in Anbetracht sinkender Auflagen und Werbeerlöse im Printbereich.

Helmut Verdenhalven vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. betonte die unbedingte Notwendigkeit der vorgeschlagenen Ermöglichung einer engeren Zusammenarbeit. Angesichts der schwierigen Lage der Verlagsbranche, der es noch nicht ausreichend gelinge, mit digtalen Angeboten Gewinne zu erzielen, könnten so Redaktionen erhalten werden. Derzeit hätten Mediaagenturen auf dem Werbemarkt quasi eine Monopolstellung inne, selbst größere regionale Verlage hätten es schwer, Werbekunden auf sich aufmerksam zu machen:

Diese Kooperationsregel ist unverzichtbar. Große und kleine Verlage sitzen hier in einem Boot, wir sehen uns alle in einem gemeinsamen Projekt, die Medienvielfalt zu sichern.

Cornelia Haß von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi äußerte hingegen die Befürchtung, dass von der Regelung vor allem große Medienkonzerne profitieren würden, die ihre Marktmacht nutzen könnten, um kleineren Verlagen Bedingungen zu diktieren. Sie befürchtet, dass die Pressevielfalt letztendlich geschwächt werden würde. Gemeinsame eKioske, die von Verdenhalven als Anwendungsbeispiel genannt wurden, könnten von Verlagen bereits heute genutzt werden. Darüber hinaus bemängelte Haß, dass eine im Koaltionsvertrag der Großen Koalition [PDF, S. 95] angekündigte Medienstatistik nicht umgesetzt wurde, so dasss eine objektive Beurteilung der Medienvielfalt in Deutschland nicht möglich sei. Wenn die Bundesregierung Pressevielfalt fördern wolle, solle sie dies lieber über eine finanzielle Förderung von Gründungen im Medienbereich tun, wie dies etwa in Dänemark praktiziert werde.

Auch Kartellamtspräsident Mundt und Jürgen Kühling von der Monopolkommission äußerten sich zu diesem Vorschlag der Bundesregierung kritisch. Letzterer betonte, dass eine Zusammenarbeit zur Effizienzsteigerung bereits heute möglich wäre – es dürften daraus nur keine unlauteren Wettbewerbsbeschränkungen entstehen. Er vermisse konkrete Anwendungsfälle einer solchen Kooperationserlaubnis jenseits der Kartellbildung bei Werbepreisen. Rupprecht Podszun von der Heinrich-Heine-Universität schlug ergänzend vor, ein Transparenzregister für Werbepreise einzurichten, das einen leichten Überblick über marktübliche Preise ermöglicht.

Eine Absage erteilten Mundt und Kühling (ebenso wie die Bundesregierung) dem über den Bundesrat eingebrachten Wunsch von ARD und ZDF [PDF], die Kooperationserlaubnis möge sich ebenfalls auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beziehen. Dort, wo sie in Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrages handeln, finde das Kartellrecht ohnehin keine Anwendung. Dort, wo sie kommerziell tätig seien, müssten die gleichen Regeln gelten, wie für alle anderen Rundfunkbetreiber auch, so Mundt.

Kartellamt als Verbraucherschutzbehörde?

In erster Lesung wurde die GWB-Novelle im Bundestagesplenum bereits im November behandelt. Wann mit der zweiten und dritten Lesung sowie Abstimmung zu rechnen ist, ist laut Bundestagsquellen bislang unklar. Offenbar verhandeln Union und SPD noch über die kritisierte Kartellverbotsfreistellung für Presseverlage. Auch eine mögliche Kompetenzerweiterung des Bundeskartellamtes für die Ahndung von Verbraucherrechtsverstößen in der digitalen Welt ist noch in der Diskussion. Im November hatten Abgeordnete der Großen Koalition die Einrichtung einer Verbraucherschutzabteilung im Kartellamt öffentlich ins Spiel gebracht. Verbraucherschützer begrüßten den Vorschlag, bislang enthält der Gesetzentwurf dazu aber keine Vorschläge.

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