Facebooks Medienmacht: Acht Fragen zum „Kampf gegen Clickbait“

Eine zentrale Kommunikationsplattform der digitalen Öffentlichkeit verkündet, dass sie zukünftig bestimmte Nachrichten unterdrücken wird. Informationen zu Kriterien, Prioritäten, Transparenz oder Verantwortung sind rar – aber viele applaudieren. Ein kleiner Denkanstoß.

Bait ist das englische Wort für Köder. Foto: CC-BY-NC-ND 2.0 BreathLes

Clickbait ist für viele seit langem ein Ärgernis. Überschriften à la „Du wirst nicht glauben, was dann passierte!!“ können Timelines verstopfen und Zeit rauben. Ende vergangener Woche machte eine Meldung die Runde, dass Facebook auf seiner Plattform zukünftig bewusst irreführende Überschriften und Verlinkungen aktiv unterbinden will. Statt solcher Inhalte, die bewusst auf Sensationsgier setzen oder mit der Neugier der Nutzer spielen, letztlich aber weder informativ noch unterhaltsam sind, will Facebook „authentische“ Inhalte sichtbarer machen.

Vielen Redaktionen, die über Facebooks Maßnahmen berichtet haben, schien es ironischerweise aber vor allem darum zu gehen, sich mit einer lustigen Überschrift zu profilieren – eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Plattformkonzerns fand jedenfalls kaum statt.

So berichteten die meisten Medien in ähnlich lautenden Meldungen vor allem, dass Facebook dem Clickbait durch eine Anpassung des Newsfeed-Algorithmus nun endgültig ein Ende bereitet. Dieser Mechanismus, mit dem das Unternehmen bestimmt, welche Inhalte wie relevant für einzelne Nutzer sind und dementsprechend priorisiert, beziehe nun nämlich die Verweildauer auf angeklickten Seiten mit ein. Die Entscheidung fußt auf einer simplen Hypothese: Seiten, von denen man schneller wieder zurückkehrt, sind vermutlich eher mit einer irreführenden Köderüberschrift versehen, als solche, auf denen Nutzer längere Zeit verbringen.

Diskriminierung anhand von Formulierungen

Der Originalankündigung auf der Presseseite des Unternehmens kann man entnehmen, dass Facebook den Faktor Verweildauer bereits seit 2014 mit in die Berechnung des Nachrichtenwerts einbezieht. Seit dieser zwei Jahre alten Änderung bezieht das Unternehmen auch das Verhältnis von Link-Klicks zu Nutzerinteraktionen in das Ranking mit ein: Beiträge, die von vielen angeklickt, aber von wenigen geteilt, geliket oder kommentiert werden, wertet Facebook als weniger wertvoll.

Tatsächlich neu ist, dass das Unternehmen jetzt ein offenbar lernendes algorithmisches System einsetzt, das nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert, wie viele Spam-Filter und anhand von Formulierungen Clickbait-Überschriften aussortieren soll. Hierfür wurden laut Facebook zunächst händisch zehntausende Überschriften als Clickbait kategorisiert. Ausschlaggebende Kriterien sollen dabei gewesen sein, ob Titel wichtige Informationen auslassen, die zum Verständnis des Kontextes wichtig sind, und ob sie Teile der Artikel so übertrieben darstellen, dass bei Nutzern falsche Erwartungen geweckt werden. Das algorithmische System hat diese Überschriften dann mit „normalen“ Überschriften verglichen, um gewisse Formulierungen zu identifizieren, die speziell als Klick-Köder verwendet werden.

Links, die von Seiten gepostet werden, welche häufig solche als Clickbait kategorisierten Überschriften verwenden, werden im Newsfeed nun niedriger eingereiht. Das System sei jedoch lernfähig, schreibt Facebook: „Wenn eine Seite aufhört, Clickbait-Überschriften zu posten, werden ihre Posts nicht mehr von dieser Veränderung betroffen sein.“

Manipulation ohne Rechenschaftspflicht

Unabhängig davon, dass gar nicht klar ist, ob auch deutschsprachige Überschriften vom neuen System analysiert und gefiltert werden: Clickbait findet außer den finanziellen Profiteuren von Content-Schleudern und einigen übereifrigen Social-Media-Redakteuren niemand toll. Auch, dass Facebook Inhalte für seine Nutzer filtert und priorisiert, ist nicht neu. Gerade in Anbetracht der jüngsten Diskussionen um die Medienmacht des Plattformunternehmens und die mögliche Manipulation von Nachrichtenflüssen anhand politischer Opportunitäten und kommerzieller Interessen, sollte man sich aber die Zeit nehmen, zweimal nachzudenken. Als erste Anregung dafür hier acht Fragen:

  • Wie definiert Facebook eigentlich Authentizität?
  • Welche Verweildauer auf einer angeklickten Seite wertet Facebook als „normal“?
  • Was ist eigentlich mit Menschen, die gerne Clickbait-Texte (z.B. auf Buzzfeed oder Focus Online) lesen?
  • Wie verträgt sich diese aufmerksamkeitsökonomische Diskriminierung mit den Grundrechten auf Meinungs- und Informationsfreiheit, von denen in den meisten Fällen auch Auslassungen und Übertreibungen gedeckt sind?
  • Wem gibt das Unternehmen Rechenschaft über Quantität und Qualität der diskriminierten Inhalte?
  • Wer überprüft die Treffsicherheit und die Einhaltung der von Facebook selbst gesetzten Kriterien?
  • (Wie) Werden Seitenbetreiber darüber informiert, wenn der Algorithmus zuschlägt und die Plattform ihnen gezielt Reichweite entzieht?
  • Gibt es ein transparentes Verfahren für Seitenbetreiber, um sich gegen die Diskriminierung zu wehren und z. B. die Berücksichtigung kontextueller Faktoren zu verlangen?

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7 Ergänzungen

  1. Es gibt auch ein Leben ohne Facebook.
    Und viele sagen, es wurde ein besseres ohne.

    1. Die Frage ist eher allgemeiner Natur und Facebook nur ein aktueller Aufhänger. Diese im Detail unbekannten Gewichtungen gibt es doch bei allen.

      Interessant wäre, wie facebook glaubt die Verweildauer messen zu können. Rückkehr zu facebook, Messung über ihre Like-Buttons auf der jeweiligen Seite? Was passiert mit Seiten, die so einen Like-Button nicht haben? Seiten ohne enge Anbindung von Facebookelementen, dürften schon deswegen benachteiligt sein.

      1. Also ich habe es so verstanden, dass Facebook die Verweildauer als „Zeit bis zur nächsten Aktivität auf der Plattform“ operationalisiert. Zu Messungen via Social-Buttons haben sie jedenfalls nichts kommuniziert. In Anbetracht der Kommunikationspolitik muss man aber eben sagen: Info ohne Gewähr.

  2. Benutzen eigentlich überwiegend dumme Menschen facebook? In einer halbwegs intelligenten Welt würde ich erwarten, dass Leute die Methodik hinter den Clickbait Überschriften erkennen und diese dann garnicht mehr erst anklicken.
    Da das nicht passiert sehe ich 2 Möglichkeiten. Die Menschen sind tatsächlich so dumm und facebook sollte lieber in Bildung investieren. Oder die Menschen klicken das bewusst an weil sie es lesen wollen. Dann ist das einzige Problem, das facebook nicht erkennt, wer so was lesen will und wer nicht und sollte lieber daran arbeiten.
    Aber Symptome bekämpfen ist halt einfacher und billiger als Ursachen. Auch wenn ich kein Problem damit habe, wenn dieser Clickbait Scheiß verschwinden würde.

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