Warum es Youtube und Google Image Suche heute noch gibt: Sechs entscheidende US Gerichtsurteile für die Entwicklung des Internets

Google Image Search (Youtube)

Das US – Magazin „The Verge“ hat die sechs Gerichtsurteile vorgestellt, die das Internet zu dem gemacht haben was es heute ist. Verlinken, Anschauen von Videos auf Youtube, Verträge online schließen, Google Bilder Suche – all das sähe heute anders aus, hätte es diese Gerichtsurteile nicht gegeben. Zwar aus US Perspektive, aber dennoch interessant. Wir stellen für Euch die sechs Entscheidungen auf Deutsch vor (gekürzt und leicht verändert), die ausführlichere englische Version findet ihr hier.

 

Reno v. American Civil Liberties Union (1997)

Der Reno Fall war maßgeblich, um die Meinungsfreiheit im Internet zu sichern.

Im Februar 1996 hatte der US Kongress ein Gesetz verabschiedet, das Pornographie und „unanständiges“ Material im Internet regulierte. Vor allem Minderjährige sollten nicht mit diesen „unanständigen“ Materialien in Berührung kommen. Um das sicherzustellen, schrieb das Gesetz vor, dass jede Person strafrechtlich verfolgt werden konnte, die wissentlich minderjährigen Personen etwas „Unanständiges“ schickte oder „unanständiges“ Material übertrug. Die Gerichte hatten die Frage zu beantworten, ob das Interesse Kinder vor schädlichen Materialien zu schützen das Interesse an einem offenen und freien Internet überwiegt. Der US Supreme Court schlug sich auf die Seite für ein freies Internet und erklärte die Vorschrift für nichtig. Das Schutzinteresse für Kinder rechtfertige nicht einen so massiven Eingriff in die Kommunikation zwischen Erwachsenen. Mit anderen Worten, der Gehalt des Internets kann nicht darauf reduziert werden was „kinderfreundlich“ ist, sondern es müssen andere Formen von Inhaltskontrolle, welche weniger einschränkend für die Meinungsfreiheit für Erwachsene sind, genutzt werden um Kinder zu schützen.

Außerdem hatte sich mit diesem Fall der Supreme Court zum ersten Mal mit dem Internet und dessen Charakter auseinandergesetzt: Ist das Internet dem Radio, Fernsehen oder den Printmedien vergleichbar? Der Supreme Court gab dem Internet den höchsten Standard an Schutz für Meinungsfreiheit (Freedom of Speech), wie sonst nur den Printmedien. Er urteilte, dass das Internet nicht so reguliert werden könne wie Rundfunk, da beim Internet anders als beim Rundfunk die Kapazität nicht begrenzt sei (limitierte Radiofrequenzen).

 

Zeran v. America Online, Inc. (1998)

Der Zeran Fall hat sichergestellt, dass Webseiten-Betreiber nicht strafrechtlich verfolgt werden können für Inhalt, den User auf der Webseite veröffentlichen.

Im April 1995 geschah der Terroranschlag auf Oklahoma City. Kurze Zeit später tauchte auf einem AOL Nachrichtenbrett eine Anzeige auf, die Gegenstände mit Aufdrucken wie „Besuch Oklahoma – es ist ein Mordsspaß“ zum Verkauf anbot. Interessierte Käufer*innen sollten den Verkäufer Herrn Zeran kontaktieren unter der in der Anzeige angegebenen Telefonnummer. Allerdings war die Anzeige nur ein Streich und Herr Zeran beteuerte, nichts mit der Anzeige zu tun gehabt zu haben. Zeran’s Telefon stand nicht mehr still, er wurde mit einer Welle von wütenden Protestanrufen überrollt. Zeran verklagte AOL dafür, dass AOL diese (Spaß)anzeige auf dem Nachrichtenbrett veröffentlicht hatte (lassen). Das US Gericht entschied, dass AOL nicht als der Veröffentlicher des (Spaß)beitrages gelten konnte. Es bestätigte die Vorschrift, nach der Betreiber*innen eines interaktiven Computer Services nicht als Veröffentlicher*in von Beiträgen von Nutzer*innen gelten können. Nach dem Urteil des Gerichts genießen Webseitenbetreiber Immunität für den Inhalt der Beiträge der Nutzer*innen, auch wenn diese Beiträge illegal sind. Das Gericht hat damit weiter das Recht auf Meinungsfreiheit im Internet gestärkt. Wäre der Fall anders ausgegangen, wären die Webseitenbetreiber*innen zur Zensur verdonnert. Ohne die Zeran Entscheidung wären User-basierte Plattformen wie Youtube undenkbar – zu groß die rechtlichen Bedenken der Betreiber.

 

Zippo Manufacturing Co. v. Zippo Dot Com, Inc. (1997)

Der Zippo Fall war grundlegend für die Frage: Wo können die Betreiber von Internetseiten verklagt werden?

Zippo Manufactoring, ein Feuerzeughersteller aus Pennsylvania, verklagte die Californische Web Firma Zippo Dot Com. Der Feuerzeughersteller wollte, dass die Internetfirma nicht mehr den Namen Zippo verwendete. Die entscheidende Frage war, ob Zippo Manifacturing die Internet Zippofirma überhaupt in Pennsylvania verklagen konnte. Zippo Dot Com war eine Firma die Zugang zu USENET newsgroups anbot und nur 2 % der User waren in Pennsylvania ansäßig. Mit dem Urteil etablierte das Gericht den sogenannten „Zippo Test“. Nach diesem Test wird eine Seite entweder als „passiv“, „interaktiv“ oder „kommerziell“ klassifiziert. Je nach Klassifizierung kann die Seite unter dem Recht des jeweiligen Staates belangt werden: umso kommerzieller und interaktiver umso eher kann der Webseitenbetreiber vor das jeweilige Gericht gestellt werden. Auch wenn der Zippotest umstritten ist und als zu vereinfachend kritisiert wird, so war er doch sehr einflussreich für die Gestaltung des Internets und die Frage nach der Gerichtsbarkeit von Internet Seiten.

 

ProCD v. Zeidenberg (1996)

Der Pro CD Fall ist wichtig, da er bestätigte: Wenn Du auf „Zustimmen“ klickst, dann ist es verbindlich. Du hast zugestimmt.

Zeidenberg hatte sich eine CD, auf der ein Telefonverzeichnis war, von ProCD gekauft. Zeidenberg postete das Telefonverzeichnis auf einer Webseite und bot Zugang zum Verzeichnis zu einem geringeren Preis als ProCD an. Allerdings hatte Zeidenberg davor immer wieder Lizenzwarnungen von ProCD erhalten, als er das Telefonverzeichnis auf seinen Rechner hochlud, dass er den Inhalt der CD nicht kommerziell weitergeben durfte. Zeidenberg klickte sich durch die Warnungen. Das Gericht befand, dass Zeidenberg durch das Klicken durch die Warnungen zugestimmt hatte, dass ProCD die alleinige Lizenz zur Veröffentlichung hatte.  Durch klicken auf Zustimmen war die Lizenzvereinbarung Teil des Vertrages geworden und Zeidenberg hatte mit der Veröffentlichung gegen den Vertrag verstoßen. Für das Internet ist die Entscheidung relevant, da im Internet Verträge durch das Klicken auf „Zustimmen“ geändert und geschlossen werden können.

 

Religious Technology Center v. Netcom (1995)

Der Netcom Fall war ein weiterer maßgeblicher Fall für die Verantwortlichkeit von Serverbetreibern.

Auf einer Usenet newsgroup wurden von einem User Manuskripte des Scientology Führers L. Ron Hubbard hochgeladen, obwohl die Scientology Kirche das Copyright an den Manuskripten hatte. Netcom, auf dessen Server die newsgroup betrieben wurde, wurde daraufhin von Scientology verklagt: Netcom hätte die unter copyright stehenden Materialen veröffentlicht. Das Gericht stärkte das Recht auf Meinungsfreiheit (Freedom of Speech) und hielt Netcom nicht verantwortlich für den Verstoß des Users gegen das Copyright der Scientology Kirche. Netcom könnte nicht als Veröffentlicher der Materialien gelten. Auch sei Netcom als Serverbetreiber nicht verantwortlich. Ansonsten müsste Netcom den Inhalt aller Posts seiner User vorher screenen, was die Meinungsfreiheit der User unzulässig beeinträchtige.

 

Perfect 10, Inc. v. Amazon.com, Inc.

Der Perfect 10 Entscheidung haben wir zu verdanken, dass die Google Bilder Suche und ähnliche Services immer noch existieren dürfen.

Perfect 10 war ein Magazin, dem Playboy oder Hustler vergleichbar, welches seine Webseite nur Abonent*innen zugänglich machte. Andere Webseiten kopierten illegal Bilder, die auf der Seite von Perfect 10 gezeigt wurden, und veröffentlichten sie. Amazon und Google verwendeten diese illegal kopierten Bilder beim Anzeigen von Suchresultaten. Das Magazine Perfect 10 klagte gegen Google und Amazon. Das Gericht stellte sich auf die Seite von Google und Amazon. Es bewertete die Leistung von Suchmaschinen als „erstaunlich wertvollen Gewinn für die Allgemeinheit“, auf die nicht verzichtet werden sollte nur weil es finanzielle Nachteile für jemanden haben könnte.

 

Und in Deutschland?

Angeregt durch den Artikel von „The Verge“ fragen wir uns: Was sind die wichtigsten deutschen Gerichtsurteile für die Entwicklung des Internets? Vielleicht habt ihr Vorschläge? Wir würden gerne ein Best of  von deutschen Urteilen vorstellen.

9 Ergänzungen

  1. Das Urteil des LG Hamburg zum Thema „Haftung für Links“ vom 12.05.1998 sollte unbedingt auf die Liste — allein schon wegen der daraus resultierenden Disclaimer-Flut.

  2. In einer Deutschen Liste würde sich sicher das Urteil gegen Felix Somm finden. http://www.fitug.de/news/somm/
    Auf der bis heute negativen Seite sicher auch die Geschichte mit der Störerhaftung bei offenen WLAN, die bis heute dazu führt, dass es kaum offene WLAN gibt.

  3. Wäre ggf. wichtig, nicht nur deutsche sondern auch europäische Urteile mit Relevanz für Deutschland zu betrachten.

  4. ‚Sechs entscheidende US Gerichtsurteile für die Entwicklung des Internets‘

    versucht ihr jetzt auch auf die Klickbait-Liste von Facebook zu kommen ;)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.