Big-Data-RasterfahndungDie Palantir-Konkurrenz schläft nicht

Innenminister Dobrindt braucht IT-Dienstleister, wenn er die automatisierte Datenanalyse bei den Polizeien des Bundes wie geplant gesetzlich erlauben will. Dass es Alternativlösungen zum US-Konzern Palantir gibt, ist kein Geheimnis.

Alexander DOBRINDT Bundesinnenminister und Markus SOEDER Ministerpraesident Bayern und CSU-Vorsitzender machen sich ein Bild von den Grenzkontrollen der Bayerischen Grenzpolizei am Grenzuebergang Kiefersfelden / Inntal Ost am 15.05.2025 *** Alexander DOBRINDT Federal Minister of the Interior and Markus SOEDER State Premier of Bavaria and CSU Chairman take a look at the border controls of the Bavarian Border Police at the Kiefersfelden Inntal Ost border crossing on 15 May 2025
Alexander Dobrindt (CSU) mit Parteifreund und Ministerpräsident Markus Söder, dessen Bundesland Palantir als Dauerlösung einsetzt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Sven Simon

Das Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) plant neue Befugnisse für das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Sie sollen künftig Big-Data-Analysesoftware einsetzen dürfen. Ob dafür als Softwareanbieter der erheblich polarisierende US-Konzern Palantir gewählt wird, ist jedoch noch offen. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte nach unserer Veröffentlichung des Referentenentwurfs eine noch „andauernde Prüfung“ für die Bundesebene.

Ein aktueller Beschluss der Innenministerkonferenz setzt dagegen auf ein „neues, europäisch beherrschtes System“. Denn „die digitale Souveränität“ sei auch für „IT-Produkte der automatisierten Datenanalyse anzustreben“.

Weil das Vorhaben der automatisierten Datenanalyse für die Polizeien des Bundes schon in Kürze zusammen mit einem ganzen „Sicherheitspaket“ ins Kabinett wandern wird, drängen nun Palantir-Konkurrenten an die Öffentlichkeit. Wortreich beschwert sich die Konkurrenz über die Einäuigkeit des Innenministers bei der Auswahl des Softwarepartners.

Der deutsche Anbieter One Data etwa beklagte den gewissen „Promifaktor“ von Palantir, der nicht etwa technisch begründet sei. Auch der Deutschland-Geschäftsführer vom Softwarekonzern SAS, Robert Simmeth, sagt gegenüber netzpolitik.org, dass es „leistungsfähige Alternativen“ gäbe, die auch „rechtsstaatlich kompatibel“ seien.

Der CEO von One Data, Andreas Böhm, gibt auch zu bedenken, „dass US-Anwendungen dem Cloud Act unterliegen und somit dem Zugriff durch US-Sicherheitsbehörden“. Sein Unternehmen biete hingegen „eine souveräne Alternative, die rechtlich im europäischen Raum verankert“ sei. Allein ist er damit nicht: Es würden sich „im Wochentakt“ Unternehmen melden, die sagen würden, „wir können so etwas auch bauen“. Das sagt der Grüne Konstantin von Notz, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Innenexperte ist.

Vereinfachung und Beschleunigung der Datenrecherche

Was ist eigentlich die technische Problemlösung, die Palantir für die Polizei attraktiv erscheinen lässt? Die Software des Konzerns bringt verstreute, heterogene und teilweise unstrukturierte Daten zusammen. Und die liegen bei den Polizeien in großer Fülle vor, aber eben nicht immer schnell und einheitlich zugreifbar. Also kommen die Palantir-Leute in die Amtsstuben und zeigen, wie der Datendschungel aus Polizeidatenbanken und teilweise angejahrten Softwarelösungen erschlossen werden kann.

Dass dabei weitestgehender Zugang zu Daten gewährt werden muss, ist eine technische Notwendigkeit. Das betrifft auch unausweichlich zahlreiche personenbezogene Datensätze über Menschen. Am Ende kommt das Flickwerk aus allen polizeilichen Datenquellen auf der Palantir-Plattform zusammen und kann darüber per Klick ausgewertet werden. Das vereinfacht und beschleunigt polizeiliche Recherchen in den Daten.

Das alles ist technisch keine Magie oder anderen Anbietern Lichtjahre voraus. Es ist modernes Datenmanagement, semantische Datenmodellierung und Anomalie- und Mustererkennung, die in der Informatik gut erforscht sind. Und beileibe nicht jeder öffentliche Auftraggeber war immer voll des Lobes über Palantirs Leistungen. Das bekannteste Beispiel in Europa dürfte Europol sein, die den Konzern nach wenigen Jahren Zusammenarbeit schassten und sich mit dem Konkurrenten IBM zusammentaten. Die Entscheidung Frankreichs gegen Palantir ist ein weiteres prominentes Beispiel.

Fuß in der Tür

Ein entscheidender Vorteil des US-Konzerns aber: Palantirs deutsche Tochter hat den Fuß schon in der Tür und steht im engen politischen Austausch. Es existiert seit Frühjahr 2022 ein Rahmenvertrag, den das bayerische Landeskriminalamt geschlossen hat und der es Polizeien anderer Bundesländer erleichtert, die Software einzusetzen.

Bayern hat dafür eine europäische Ausschreibung durchgeführt und eine zeitaufwendige externe Quellcode-Prüfung vornehmen lassen. Wie genau diese Prüfung aussah und welche Ergebnisse sie hatte, bleibt allerdings geheim. Wenn über Alternativen gesprochen wird, kommt dennoch bei Polizeipraktikern oft das Argument, dass man sofort eine Softwarelösung bräuchte, die eben nur mit Palantir möglich sei. Sonst müsste man diese Schritte wiederholen.

Ist Palantir erst einmal im Einsatz, sind die polizeilichen Nutzer am Haken. Denn das System ist nicht interoperabel mit Konkurrenzsoftware. Daten also einfach in ein anderes System zu übertragen, ist nicht vorgesehen und wäre entsprechend aufwendig. Verständlich aus Anbietersicht, für Polizeien aber eine schwer überwindbare Abhängigkeit und auch eine Kostenfalle bei etwaigen Preissteigerungen. Denn schließlich hängen zahlreiche polizeiliche Ermittler mit ihrer täglichen Arbeit an ihren Computern dann schon am Datentropf.

Zugleich erschwert diese Verschlossenheit eine Evaluation der Leistungsfähigkeit der Software. Bei der Auswertung oder einer wissenschaftlichen Begleitung der automatisierten polizeilichen Datenanalyse weiterhin auf anekdotenhafte Fallbeispiele und fiktive Fallkonstellationen zu vertrauen, ist keine ernsthafte Option.

Zwingend notwendige gesetzliche Grundlage

Letztlich ist es der Auftraggeber, der die Regeln für Software-Dienstleister der Polizei macht: Für den gesetzlichen Rahmen ist das Parlament zuständig, für die praktische Umsetzung sind die aufgestellten Kriterien und die Leistungsbeschreibung in der Ausschreibung ausschlaggebend.

Weder für das BKA noch für die Bundespolizei gibt es bisher die zwingend notwendige gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Palantir oder eines Konkurrenzproduktes zur automatisierten Massendatenanalyse. Vorgaben dafür macht ein Urteil vom 16. Februar 2023, in dem das Bundesverfassungsgericht detailreiche Kriterien für solche Analysen aufstellt.

Palantir

Wir berichten mehr über Palantir als uns lieb wäre. Unterstütze unsere Arbeit!

Doch selbst wenn die Palantir-Scheuklappen noch fallen und Konkurrenten ernsthaft in den Blick genommen werden sollten, bleiben die Probleme der massiven Grundrechtseingriffe, die solche automatisierten Polizeidatenanalysen mit sich bringen. Das liegt insbesondere daran, dass eben nicht nur Daten von Verdächtigen gerastert werden, sondern auch von völlig unverdächtigen Menschen, deren Daten aus ganz verschiedenen Gründen in Polizeidatenbanken eingeflossen sind. Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International in Deutschland, nennt das System gegenüber netzpolitik.org eine „auf einem geheimen Code basierende Software“, die Schlussfolgerungen ziehe, „die der Mensch vor dem Rechner oftmals nicht nachvollziehen kann“.

Ob überhaupt ein kommerzielles Unternehmen wie der nach Europa expandierende US-Konzern Palantir für die Verarbeitung solch sensibler Polizeidaten geeignet ist, bleibt kontrovers. Der Grüne von Notz nannte das Outsourcing von „relevanten Teilen polizeilicher Datenverarbeitung an einen privaten Anbieter“ gegenüber netzpolitik.org „ein verfassungsrechtlich extrem heikles Feld“.

Experten zerpflücken automatisierte Datenanalyse bei der Polizei Sachsen-Anhalt

Wer ist die Konkurrenz?

Neben dem schon erwähnten Unternehmen One Data und SAS sind auch Konzerne wie IBM oder Anbieter wie Atos oder das Stuttgarter Softwareunternehmen Almato mit dem Produkt „Bardioc“ oder die französische Konkurrenz Thales mit „Commander“ oder ChapsVision mit „Argonos“ am Markt vertreten. Als weiterer deutscher Anbieter sieht sich auch das Unternehmen Secunet aus Essen als prädestiniert. Das liegt daran, dass es jahrzehntelange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Polizei- und Geheimdienstbehörden aufweisen kann.

Christine Skropke von Secunet präsentiert in der Bundestagsanhörung den Zeitplan für NasA.
Christine Skropke von Secunet in der Bundestagsanhörung 2024. - Alle Rechte vorbehalten Deutscher Bundestag

So ließ Secunet schon letztes Jahr bei einer Palantir-Anhörung im Bundestag wissen, dass als eine Alternativlösung ein hiesiges Anbieterkonsortium „in sechs bis zwölf Monaten“ eine vergleichbare Software liefern könne. Mit im Boot war der deutsche Softwarekonzerns SAP, aber auch mittelständische Unternehmen. Die dafür geforderte „Anschubfinanzierung“ blieb aber aus.

In derselben Bundestagsanhörung betonte der als Sachverständiger geladene Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit Nachdruck, die Software-Lösung von Palantir sei „weniger verfügbar und plug-and-play, als sie immer beworben wird“. Er berichtete von gleich zwei Unternehmenskonsortien aus seinem Verband, die „lösungsnahe Angebote machen können“. Mitgliedsunternehmen könnten bereits bestehende Systeme für die Polizeien „sehr leicht adaptieren“ und zwar „ohne wirkliche Risiken einzugehen, was die Funktionalitäten angeht“. Aus politischen Gründen sei die Software „national zu beschaffen“.

Das ist nun ein Jahr her. Aber mochten sich die deutschen Konkurrenten noch so anbiedern, man stieß offenbar auf taube Ohren. Auch in den Bundesländern sind alternative Anbieter für Softwareprodukte der kriminalpolizeilichen Auswertung und Analyse auf Nachfrage von netzpolitik.org weitgehend unbekannt.

Für die Polizeien des Bundes wird sich wohl in Kürze herausstellen, ob Palantir und sein Software-Monolith zum Zuge kommt. In der hessischen Polizei jedenfalls, die als eines von drei Bundesländern Palantir bereits einsetzt, weiß man von nichts. Bodo Koch, deren Chief Digital Officer, will an Palantir festhalten und erklärte kürzlich gegenüber dem NDR allen Ernstes: „Wir betreiben seit Beginn intensive Marktschau dazu und da haben wir auch noch nichts gehört, was die Alternative sein könnte.“

9 Ergänzungen

  1. Ach dafür machen schwarz/rot die Schulden?
    Für Überwachungskameras aus China, Palantier und AI aus USA?

  2. Ist das Problem nicht, dass die Alternative zu Palantir nicht so effektiv und wirkungsvoll sind, wie das Original?

    So ist es ja zum Beispiel auch bei Cloud Dienstleistungen: Google und Microsoft bieten (noch) bessere Technik Lösungen als europäische Anbieter.

    1. Das ist schon allein deshalb nicht richtig, weil die dortigen Clouds bezüglich datenschutzrechtlicher Aspekte nicht akzeptabel sind.

      Wie kommen sie zu diesen Behauptungen bzw. was soll der Mehrwert dieser US-Anbieter sein? Sie stellen suggestiv unbewiesene Behauptungen auf.

      1. Dir ist schon klar, dass die Skalierungsdienste von MS und Google mir ihrem grossen Infrastrukturen deutlich besser funktionieren als europäische Anbieter? Das ist Fakt und seit Jahren genau das Problem, warum wir keine Konkurrenzfähigen EU-Produkte zu den Amis haben.

        1. Wir hätten schon konkurrenzfähige Produkte, wenn die EU nicht so dämlich wäre und den Amis alles widerspruchslos in den Rachen schmeissen würde, den Vor-Ihnen-Kuschfaktor inklusive. Da ruht sich Europa schön auf dem scheinbar warmen US-Kissen aus. Sonst wäre es nämlich nie so weit gekommen.
          Ob die Skalierungsdienste, rein technisch gesehen, wirklich ohne diese Privilegien besser funktionieren würden, sei dahingestellt. Hier ist eine Menge über Jahrzehnte gewachsener US-Hyperkapitalismus im Spiel, der mit erpresserischen Methoden arbeitet und die technische Leistung (den damals wirklich guten Suchmaschinenalgorithmus von Google mal ausgenommen) weitaus höher erscheinen lässt, als sie es ohne ihn eigentlich wäre.

        2. Können Sie bitte technisch erklären, warum „große“ Infrastrukturen besser funktionieren als „kleine“? Wie definieren Sie groß und klein?

  3. Eine typische (nicht nur) Informatikerinnen Sicht. Fachkundig, kompetent und mit Blick aufs Detail.

    Doch was sagt uns das übergeordnete Bild? Sind deutsche/europäische Datenanalysesysteme denn grundrechtsschonender? Wie ändert sich Gesellschaft und Politik bei omnipräsenter Kontrolle und Überwachung? Wie nennt man so eine Staatsform?

    Und ganz ehrlich: wo bringt uns das weiter? Wie konnten jemals Staaten ohne diese „Technik“ existieren? Und welche Staatsformen haben traditionell auf Überwachung der eigenen Bevölkerung gesetzt und warum?

    Gestern stand ich noch vor dem Abgrund. Heute bin ich einen Schritt weiter.

  4. Die faschistische Gleichschaltung der Welt verlangt aber nach einer weltumspannenden Einheitsbrei-Lösung. Damit MAGA auch die volle Kontrolle über seine künftigen Vasallenstaaten hat.
    Deshalb auch die Panikmache aus den Reihen der Union von wegen: Wir brauchen jetzt sofort Palantir und kein Konkurrenzprodukt, sonst müssen wir alle sterben.😱

    Am Ende geht es eben doch nur um Totalüberwachung und nicht um irgendeine Pseudosicherheit, die man ja selbst gefährdet!

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.