„Schmutzige“ ArbeitDeshalb wollen Influencer keine Influencer mehr sein

Von Schleichwerbung bis Steuerhinterziehung, Influencer*innen haben in Deutschland keinen guten Ruf. Eine neue Studie beschreibt jetzt, wie Influencer*innen Strategien entwickeln, um mit der gesellschaftlichen Ablehnung umzugehen.

bunte Illustration einer Frau, die vor einem Ringlicht einen Lippenstift testet.
Influencer*innen versuchen sich von ihrem schlechten Ruf zu lösen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / fStop Images

Influencer*innen gehören zu den prägenden Gesichtern der Netzkultur, trotzdem haben sie oft keinen guten Ruf. Im Jahr 2020 hat das Marktforschungsinstitut YouGov die Beliebtheit von 24 Berufsbildern international miteinander verglichen. Demnach gehörten Influencer*innen zu den unbeliebtesten Berufen in Deutschland, ähnlich wie unter anderem Callcenter-Mitarbeitende.

Nun beschreibt eine neue Studie, wie Influencer*innen ihren Beruf auch selbst kritisch sehen – und Strategien entwickeln, um mit der gesellschaftlichen Ablehnung umzugehen. Für diese Studie hat Claudia Gerhards, Professorin für Kommunikation und Multimedia an der Hochschule Düsseldorf, ein Konzept aus den Sozialwissenschaften angewandt: „dirty work“.

Den Begriff „dirty work“ ins Deutsche zu übersetzen ist nicht so einfach, denn die wörtliche Übersetzung Drecksarbeit trifft es nicht ganz. Das Konzept des US-Soziologen E.C. Hughes stammt aus den Fünfzigerjahren und beschreibt unter anderem Tätigkeiten, bei denen man sich tatsächlich die Finger schmutzig macht, wie Müllwerker*in oder Minenarbeiter*in. Aber auch moralisch abgewertete Berufe zählen demnach als schmutzige Arbeit, beispielsweise Kasinobesitzer*in oder Paparazzi. Das Konzept bezeichnet also Berufe, die „Image-Probleme und einen schlechten Ruf haben“, schreibt Gerhards in ihrer neuen Studie.

Ablehnung wegen dubioser Werbung

In ihrer Studie überträgt die Forscherin das Konzept „dirty work“ auf den Beruf von Influencer*innen. Gerhards zählt mehrere Gründe für deren schlechtes Image auf: Werbung würde nicht gekennzeichnet, Produkte ungetestet empfohlen, Materialismus und exzessiver Konsum glorifiziert und Fake-Follower gekauft.

Wie Influencer*innen selbst mit ihrem Ruf umgehen, hat Claudia Gerhards in direkten Gesprächen erforscht. Zwischen Mai 2022 und Juni 2024 interviewte sie 14 deutschsprachige Influencer*innen. Deren Namen gibt die Studie nicht preis, aber ihre ungefähre Reichweite: Alle Teilnehmer*innen hätten demnach mindestens 10.000 Follower*innen auf einer Plattform; keiner der Influencer*innen hätte mehr als eine Millionen Follower*innen.

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Als Ursache für ihren schlechten Ruf identifizierten die Interviewten hauptsächlich die „schlechte Integration von Werbung“. Jedoch würden Influencer*innen ihre gesellschaftliche Ablehnung differenzierter sehen und vor allem von Generationen über 30 wahrnehmen.

Um mit der gesellschaftlichen Ablehnung und Stigmatisierung umzugehen, gibt es dem Konzept von „dirty work“ zufolge typische Strategien. Und auch die für die Studie interviewten Influencer*innen würden diese Strategien nutzen, wie Gerhards beschreibt. Demnach setzen sie unter anderem ihre Arbeit in einen anderen Kontext, grenzen sich von negativen Ausnahmen ab – und entwickeln Vermeidungsverhalten, etwa, in dem sie den Influencer-Begriff ablehnen.

Reframing als Reaktion auf Kritik

Die eigene Arbeit in einen anderen Kontext zu setzen („Reframing“) bedeutet etwa, besonders wertvolle Auswirkungen der eigenen Arbeit zu betonen. Gerhards zitiert dazu eine Influencerin: „Man kann wirklich einen Unterschied machen als Influencer*in (…). Ich kann helfen, dass Leute sich nicht mehr so alleine mit ihren Problemen fühlen.“ Oftmals würden Influencer*innen betonen, dass sie auf Nachhaltigkeit setzen.

Außerdem würden Influencer*innen Teile ihrer Arbeit betonen, die nicht als „schmutzig“ gelten, sondern das Berufsbild attraktiv machen. Dazu gehören „die Vorteile von Selbstständigkeit, die Möglichkeit, schnell gutes Geld zu verdienen, Zugang zu außergewöhnlichen Events und Menschen zu haben, kostenlose Produkte zu bekommen und den Beruf als Sprungbrett für die zukünftige Karriere zu nutzen.“

Beauty-Influencer*innen als Negativ-Beispiel

Neben der Betonung, wie aufwendig der Beruf ist, hätten alle Interviewten den Begriff des Influencers gemieden, so Gerhards. Auch das sei eine gängige Strategie, um mit dem Stigma „schmutziger“ Arbeit umzugehen. Grund für die Ablehnung sei vor allem, dass der Begriff den Beruf darauf reduziere, Kaufeinscheidungen zu beeinflussen.

Stattdessen würden die interviewten Influencer*innen hauptsächlich den Begriff Content Creator nutzen. Das betone die „Produktionselemente ihrer Arbeit“, also Inhalte entwickeln, Videos und Fotos erstellen, schneiden, Texte schreiben, die Community betreuen. Somit würden sich Influencer*innen mit anderen kreativen Berufen assoziieren. Gerhards schreibt:

Durch den Wechsel zu Content Creator und einen Fokus auf das komplexe Produktionselement ihrer Arbeit versuchen sie sich zu befreien von einem Berufsbegriff, der nicht von Influencern selbst, sondern von Marketingspezialisten geprägt wurde.

Auch viele Plattformen nutzen bereits den neuen Begriff: Als Influencer*in auf TikTok bekommt man Geld aus dem sogenannten Creator Reward Program.

Außerdem beschreibt die Forscherin, wie sich Influencer*innen stark von anderen Influencer*innen abgrenzen, die den schlechten Ruf durch ihr Verhalten verstärken. Für einige Interviewte gebe es einen bestimmten Typ von Influencer*innen, die alles Negative vereinen. Gerhards fasst diesen Typ so zusammen: „Beauty-Influencer*innen, die Produkte bewerben, die sie nicht mal getestet haben, zu viel Werbung integrieren und für oberflächliche Themen einstehen.“ Weiter schreibt sie: „Was in den Interviews auffiel, war die Vehemenz, mit der viele Teilnehmende den Begriff ‚Influencer‘ ablehnten“.

Am Ende der Studie nennt Gerhards Ansätze für weitere Forschung. Demnach ließen sich noch mehr digitale Berufsfelder mit dem Konzept von „dirty work“ untersuchen, auch mit Blick auf neue digitale Strategien, mit gesellschaftlicher Ablehnung umzugehen.

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9 Ergänzungen

  1. Ich sag nur: Impressumspflicht. Warum man sich in Deutschland selber doxxen muss, ist ein ewiges Rätsel. Die Ampel wollte das abschaffen, aber wurd nichts.

    1. Abgesehen davon dass die Impressumspflicht auch in anderen Ländern der EU gilt, muss sich niemand selber doxen. Es muss lediglich eine Erreichbarkeit gegeben sein. Abgesehen davon geht es hier um Unternehmer.

      1. Influencer sind angehalten ein Impressum anzugeben, sobald sie damit Geld verdienen. Das gilt auch für YouTube und co.

        Man kann höchstens ein doxxing verhindern indem man ein Service einer Anwaltschaft oder Unternehmen nutzt dessen Impressum als Service nutzen zu dürfen.

  2. Gesellschaftliche Ablehnung oder Boomer? Oder „klassische Medien“?

    Gibt es da überhaupt Metriken, und wie spiegeln sich darinnen die hiesigen Guckzahlen?

  3. Man sollte hier Alterskontrollen einführen!
    Unsere Kinder, Jugendliche und Teenies wurden durch Influencer verdorben.

    Und „KI“ Pflaster drüberkleben.

  4. Ich schaue wöchentlich Sashka, die ich als Journalistin bezeichnen würde. Allein die nennt jede Woche zwei, bis drei Influencer*innen, von denen ich noch nie gehört habe und die mit Aussagen auffallen wie „Als Influencer muss man unter anderem Mails beantworten. Deshalb ist der Job viel anstrengender als ein 9-to-5“ oder auch „Nachmittags ging ich mit meinem Hund spazieren und dann hatte ich eine Date night. Wie ihr seht, ist das ein ganz normaler Arbeitstag, wie bei jedem anderen´.“ Plus die Betrügereien mit gefakten Tränen, Energie pearls um Krebs zu heilen, Erpressung von Unternehmen, erbetteln von „Spenden“ und gleichzeitigem Mi**brauch von der Oma oder Kindern — Also sorry, aber wie kann eine Umfrage unter 14(!) Menschen von dem/der Autor*in und dann auch von euch(!!) als „Studie“ bezeichnet werden? Wie gesagt, ich muss nur einmal die Woche Sashka kucken, um pro Monat auf mehr Influencer*innen zu kommen, denen offensichtlich gleichgültig ist, was sie tun, solange Geld reinkommt. Und das ganze dann noch als anstrengenden Job bezeichnen. Klengan oder Sinan wären da weitere journalistische Angebote (Ersterer etwas boulevardmäßiger, aber trotzdem noch sauber recherchiert) Und ihr versteckt die Anzahl von 14(!) gefragten(!)) Influencer*innen in einem Nebenabsatz. — Was kommt als nächstes? Die Headline „Deshalb wollen Diktatuuren keine Überwachungssoftware mehr nutzen“ mit Verweis auf zwei Männer, welche der Redaktion persönlich bekannt sind und die auf Nachfrage geantwortet haben?

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