Politische Edits auf TikTokInszenierung mit gefährlichen Nebenwirkungen

Politische Edits stilisieren Menschen zu mächtigen Symbolfiguren. Auf Kosten von Inhalten bringen die starken Bilder der Edits Millionen von Klicks und transportieren dabei gefährliche Botschaften.

KI-generierte Illustration von Donald Trump, hinterlegt mit einem Lichtschein.
Die Inszenierung erschafft neue Bilder. – Public Domain generiert von Vincent Först mit Midjourney

Eigentlich tanzte die Schauspielerin Jenna Ortega in ihrer Rolle als Wednesday Addams in der gleichnamigen Fernsehserie zum Song „Goo Goo Muck“ von den Cramps. Eine TikTok-Nutzerin kürzte die Szene auf wenige Sekunden und tauschte die Musik gegen eine schnellere Version von Lady Gagas „Bloody Mary“. Der Edit wird hundertvierzig Millionen Mal geklickt – „Wednesday“ bricht alle Rekorde und Ortega ist weltweit bekannt.

Eine Geschichte, wie sie TikTok beinahe täglich schreibt, und die beweist, dass Edits heute eines der wichtigsten Instrumente der Inszenierung auf sozialen Medien sind. Durch einfache Effekte wie schnelle Schnitte und gezielte Musikauswahl können Edit-Ersteller:innen Inhalten zusätzliche Bedeutung geben. Bisher verhalfen Edits Serien, Filmen und Menschen zu immenser viraler Prominenz. Sie können als Kunstform interpretiert werden oder propagandistischen Zwecken dienen.

Das haben Politiker:innen und Aktivist:innen, die das noch relativ junge Format für ihre Ziele nutzen, unlängst erkannt. Leider gewinnen im Spiel um Aufmerksamkeit nur diejenigen, die sich besonders gut vor der Kamera präsentieren und die Edit-kompatibel sind. Politik wird so zunehmend zu einem für die sozialen Medien aufbereiteten Spektakel, was die nahenden Wahlen in den USA zeigen – mit problematischen Konsequenzen.

Was sind Edits?

Die Journalistin Jules Terpak definiert Edits als „Compilation videos, typically set to music, that convey a narrative about a person, place, thing or topic.“ Diese Erzählungen würden unsere höheren kognitiven Funktionen umgehen und direkt auf die Bereiche unseres Gehirns zielen, in denen Emotionen verarbeitet werden: „where we laugh, where we sing and where we cry.“

Die Technik wird zunehmend auch im politischen Bereich eingesetzt, wo Creator:innen geschickt Politiker:innen in Szene setzen. Sie bescheren den gezeigten Personen mit ihren Edits „Mic-Drop“-Momente: dramatische Auftritte, die sich an einem einzelnen Satz oder einer Geste des Gezeigten orientieren, bevor sie mit einem dazu passenden Musikwechsel in eine vorteilhafte Bilder- oder Videosequenz übergehen. Von Donald Trump und Barack Obama existieren viele Edits dieser Art, die auch häufig dieselben Songs nutzen, zum Beispiel „Telescope“ von TWXN in einer langsameren Version.

Dieser Song bietet sind durch den Refrain an, der nach einem medialen Schlüsselmoment einsetzt. „They know I’m a big boss“ ertönt dann etwa, als Trump nach dem fehlgeschlagenen Attentat die Faust nach oben reckt. Für den nötigen patriotischen Effekt fügen die Ersteller:innen oft den Ruf des amerikanischen Adlers bei wichtigen Übergängen ein, etwa nach dem „We own the finish line“-Zitat aus einer Biden-Rede, gefolgt von Kurzclips amerikanischer Kampfflugzeuge im Einsatz.

Edits lassen sich relativ einfach und ohne großen Aufwand erstellen. Editing-Software wie Capcut stellt dafür Vorlagen zur Verfügung. Creator:innen müssen dann nur noch ihr eigenes Material in diese Vorlagen einfügen. Das führt einerseits zu einer Demokratisierung des politischen Aktivismus, andererseits können populistische Inhalte so sehr schnell ein Millionenpublikum erreichen.

Satirische Polit-Edits, wie ein Clip, der Alice Weidels Zugehörigkeit zur LGBTQ-Bewegung suggeriert, sind eher selten. Bisher versuchen nur wenige Content Creator:innen wie „us.edits.flop“, größere politische Zusammenhänge herzustellen.

Politischer Content als Produkt

Der virale Erfolg und die Reichweite der politischen Edits stacheln vormals unpolitische Content Creator:innen an, politischen Content zu erstellen. So findet sich auf einem TikTok-Account zwischen Edits über das kommende Videospiel „Grand Theft Auto 6“ oder den Musiker „Tyler, the Creator“ auch ein einzelner Edit von Trump, der mit 3,6 Millionen Aufrufen das mit Abstand erfolgreichste Video des Accounts ist. Der Creator fragt in der Caption unbedarft: „Should i do more edits like this?“

Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei den sogenannten „Live Matches“ erkennen, in deren Rahmen Teenager – häufig ohne Vorkenntnisse – politische Debatten auf TikTok führen und sich von den Zuschauer:innen dafür bezahlen lassen. Die jungen „political battlers“, die jeweils Demokraten oder Republikaner vertreten, verdienen so mitunter Tausende Dollar im Monat.

Auch bei den US-amerikanischen National Conventions, in deren Rahmen die Parteien ihre Kandidat:innen für das Amt des Präsidenten und des Vizepräsidenten nominieren, spielten dieses Jahr Content Creator:innen eine wichtige Rolle als Werbeträger:innen. Für die Democratic National Convention hat die Partei rund 200 Social-Media-Stars eingeladen und regelrecht hofiert. Neben einer eigens für sie ausgerichteten „Creators for Kamala Yacht Party“ durften ausgewählte Creator:innen exklusive Interviews mit Parteigrößen führen, darunter mit Kamala Harris selbst.

Auf der Republican National Convention waren neben Stars wie Hulk Hogan oder Kid Rock immerhin mehr als 70 Content Creator:innen anwesend. Sowohl für die Parteien als auch die Content Creator:innen ist das von Vorteil. Denn Content von beziehungsweise über Harris und Trump ist ein beliebtes Produkt auf sozialen Medien.

Trump war bereits vor seiner Amtszeit als Präsident eine prominente Figur und hat den Umgang mit den Medien, insbesondere Twitter, perfektioniert. Mit Harris Erfolg als Meme-Figur haben auch die Demokraten einen immens erfolgreichen Start ihrer digitalen Wahlkampfkampagne hingelegt.

Virale Kampagnenarbeit durch Creator:innen

Seit ihrer Nominierung profitiert Harris enorm von den sozialen Medien. Ihr wohl bekanntestes Fan-Edit hat auf TikTok 23 Millionen Aufrufe und knapp fünf Millionen Likes. KamalaHQ, der offizielle TikTok-Kampagnenkanal der Präsidentschaftskandidatin, produziert inzwischen auch eigene Edits. Ein Edit nimmt konkret Bezug auf Trump. Dort heißt es: „The difference is – I’m not mid”.

Harris Tanzeinlagen, Zitate und ihr herzliches Lachen lassen sich gut auf den sozialen Medien verarbeiten. Trump bedient die Plattformen mit seinen knalligen Sprüchen und eingeöltem Bühnencharisma. Die Attribute beider Politiker:innen sind hervorragend für Edits geeignet. Wer starke Bilder liefert, ist in Konsequenz für Creator:innen interessant, die Reichweite generieren wollen. Die Gezeigten kommen wiederum in den Genuss kostenloser und effizienter Kampagnenarbeit seitens der Creator:innen, die in der Regel relativ positiv und unkritisch bleibt.

Politiker:innen haben daher Vorteile davon, wenn sie an der eigenen Editability arbeiten. Das ist zeitgenössische „Image-Pflege“. Wer die passenden Dinge tut und sagt, die gut in zurechtgeschnittene Edits passen, wird mit Aufmerksamkeit belohnt. Terpak bezeichnet diese neue mediale Pflicht der Politiker:innen als „creating blank canvas moments for editors, commentators and others on the internet to run with“.

Werbung als Vorbild

Wenn die Supermarkt-Kette Edeka in einem viralen Werbespot einen sympathischen Opa erst seinen eigenen Tod vortäuschen lassen muss, damit die auf der ganzen Welt verstreute High-Performer-Familie – Arzt, Geschäftsmann und Hausfrau mit Kindern – endlich an Weihnachten zum gemeinsamen Festessen zusammenkommt, will sie ihren Kund:innen suggerieren, die Marke Edeka stehe für Nächstenliebe, Familienglück und beruflichen Erfolg.

Hinter dem vermittelten Symbolwert verschwimmt das, was Edeka eigentlich ist: ein Supermarkt mit einer nur geringfügig anderer Produktauswahl als die Konkurrenz. So wie Werbung respektive Public Relations gute Geschichten braucht, allgemein als „Storytelling“ bekannt, brauchen die politischen Edits Schnitt, Komposition und die passende musikalische Untermalung, um auch alte Herren wie Trump und Biden ins rechte Licht rücken zu können.

Politische Edits und Werbung hübschen mit verherrlichenden Bildern und starken Emotionen ihre Produkte auf. Diese Effekte sind nötig, ohne sie wäre das Gezeigte viel weniger interessant. Letztendlich sind die politischen Edits also kleine Werbefilme mit Signalwirkung, die mit den Techniken des Marketings arbeiten.

Denn zwischen dem Werbespot von Edeka und einem Kawaii-Edit (japanisch für „niedlich“) von Trump mit Anime-Schnurrhaaren, der auf einer Wahlkampfveranstaltung einen kleinen Jungen auf den Armen hält und fragt, ob der Junge zurück zu seinen Eltern oder bei Trump bleiben will – der Junge sagt schüchtern „Trump“ ins Mikrofon – besteht also eine gewisse Ähnlichkeit. Es handelt sich um Effekthascherei, die durch hochemotionale Bilder Werte vermittelt, die nichts mit der Realität zu tun haben.

Plattformen und Populismus gehen Hand in Hand

Nun sind soziale Medien für emotionalisierende – und im politischen Kontext populistische – Botschaften geschaffen. TikTok behauptet zwar nach außen, seine Mission sei, „Kreativität zu inspirieren und Freude zu bringen“. Aber das wirtschaftliche Ziel besteht darin, die Nutzer:innen so lange wie möglich auf den Plattformen zu halten, um möglichst viel Geld mit Werbung zu verdienen. Denn die Plattformen sind in erster Linie Werbeträger, ihre bevorzugten Kund:innen sind nicht die Nutzer:innen, sondern Unternehmen.

Was erregt, klickt gut und fesselt die Nutzer:innen an den Bildschirm, zum Wohle der Werbung. Die Struktur der Plattformen beeinflusst so indirekt die öffentlichen Auftritte und das Verhalten der Politiker:innen. Politische Edits müssen deshalb kritisch auch als ein PR-Tool verstanden werden – das hat rechte Politik unlängst erkannt. In der überreizten Atmosphäre der sozialen Medien gewinnt die Politik der Gefühle, nicht der Sachlichkeit und wertvollen Inhalte. Ruhige und überlegte Stimmen haben in Zukunft noch weniger Chancen, gehört zu werden – und auch hierzulande flimmern bereits die ersten Edits von Björn Höcke und Co. über die Bildschirme.

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