Gefährliche ReflexpolitikWer die Versammlungsfreiheit einschränkt, hilft der AfD

Die schwarz-rote Koalition will das liberale Versammlungsgesetz des Landes Berlin verschärfen. Wer heute Grundrechte schleift, macht die Protesträume enger, wenn irgendwann die Rechtsextremisten an die Macht drängen. Das ist gefährlich. Ein Kommentar.

Blick auf eine Demonstration. Sichtbar im Bild ist ein Plakat, auf dem steht: "Fediverse, deine Macht im Netz"
Satirischer Protest in Berlin-Grunewald am 1. Mai. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / A. Friedrichs

Bei einer pro-palästinensischen Demo kommt es zu Gewalt. Ein Polizist wird schwer verletzt, er muss im Krankenhaus behandelt werden. Diesen Vorfall nutzen nun Politiker:innen aus der schwarz-roten Landesregierung, um die Einschränkung des Berliner Versammlungsgesetzes zu fordern. CDU-Mann Burkhard Dregger stellt sich in die innenpolitischen Fußstapfen seines Hardliner-Vaters und möchte das „Versammlungsrecht so restriktiv ausgestalten, wie es das Grundgesetz zulässt“. Das ist gefährlich und vollkommen unnötig.

Wir befinden uns in Deutschland an einem politischen Scheideweg. Die rechtsextremistische AfD ist mittlerweile in einigen Bundesländern in Umfragen die stärkste Partei. Teile der Union reißen die Brandmauern immer weiter ein. Deutschland könnte also in absehbarer Zeit eine autoritäre Rechtsregierung drohen.

In solchen Zeiten Grundrechte einzuschränken, wird den autoritären Durchmarsch einfacher machen. Die Rechnung ist einfach: Kommt eine rechte Regierung an die Macht, muss sie Gesetze erst einmal ändern, um ihr autoritäres Projekt durchzusetzen. Jede Gesetzesänderung ist eine demokratische Möglichkeit für die Empörung und Protest. Jedes Grundrecht, das schon geschliffen ist, bedeutet also weniger Widerstand.

Schon heute Einschränkungen möglich

Berlin hat ein relativ liberales Versammlungsfreiheiheitsgesetz, das sich positiv von Landesgesetzen wie in NRW abhebt. In der Praxis aber klagen Demoveranstalter schon heute über Einschränkungen von polizeilicher Seite. Mit widersinnigen Auflagen und repressiven Maßnahmen schränkt die Polizei schon heute die Demonstrationsfreiheit ein, so zuletzt am 1. Mai. Die Polizei wollte im Grunewald die Nutzung der Grünflächen für eine Kundgebung verbieten, wurde aber noch vom Verwaltungsgericht gestoppt.

Die schwarz-rote Koalition hat sich eine Evaluation des Versammlungsfreiheitsgesetzes in den Koalitionsvertrag geschrieben. Das ist nun der Türöffner für mögliche Einschränkungen. Erklärtermaßen will die Koalition die „öffentliche Ordnung“ wieder als Grund ins Versammlungsgesetz aufnehmen, auf Basis dessen sich Demonstrationen einschränken lassen.

Daraus wird deutlich: Regierungsparteien und Behörden sehen Demonstrationen nicht vorrangig als elementaren lebendigen und wichtigen Teil der Demokratie, sondern immer nur als Bedrohung und Risiko, welches minimiert werden muss. Diese einseitige Sicht tut dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht gut.

Starke Grundrechte machen resilient

Die Polizei hat schon heute genügend Möglichkeiten, bei Straftaten auf Demonstrationen zu reagieren und einzugreifen. Während die Scharfmacher sich negative Beispiele herauspicken und damit die Einschränkungen begründen, ist auch klar: Ein geändertes Versammlungsrecht wird alle Demonstrationen betreffen und einschränken.

Am Ende könnte sich eine rechtsradikal dominierte Regierung freuen, dass sie mit Verweis auf die „öffentliche Ordnung“ demokratischen Protest einfacher verhindern kann. Gerade deswegen sollten wir in diesen Zeiten Grundrechte schützen, wo wir können. Denn starke Grundrechte erweitern den Möglichkeitenraum für demokratische Resilienz. Und die brauchen wir unbedingt.

5 Ergänzungen

  1. „Deutschland könnte also in absehbarer Zeit eine autoritäre Rechtsregierung drohen.“

    Die haben Deutschland und die EU doch schon längst. Der massive Rechtsruck zB bei der Migrationspolitik, der Ausbau des digitalen Überwachungsstaats und das Schleifen von Grund- und Freiheitsrechten durch sogenannte Mitte-Parteien von „gemäßigt rechts“ bis „linksliberal“, sollten Beweis genug sein.

    Unter der AfD würde das noch schlimmer werden. Aber was, wenn nicht autoritäre Rechtsregierungen sind denn dann die merz’sche Groko und die zensursulöse EU-Kommission?

  2. An dieser Stelle möchte ich unbedingt den Aufruf zur Verteidigung unserer Grundrechte erweitern an die „Demonstranten“ in Berlin, die zu Gewalt aufrufen, hetzen, die Polizei und Journalisten angreifen, menschenfeindliche Sprüche auf Plakate und Banner schreiben…
    => meiner Ansicht nach sind genau diese Personen diejenigen, die offenbar unsere Grundrechte einreißen möchten!
    Ich demonstriere viel (mit Omas gegen rechts) – und ich kann da in keinem Fall die Polizei als die Seite ausmachen, die die Grundrechte angreift. Im Gegenteil, ich habe hier in Berlin auf den Demos, an denen ich teilnehme, einen ohne Übertreibung bewundernswerten Eindruck von der fairen Berliner Polizei gewonnen. Und den hatte ich auch schon, als man noch für Freiheit-statt-Angst und den Whistleblowerschutz von Edward Snowden demonstrierte (für diese Art Demos findet sich heute ja niemand mehr: nicht verwunderlich, – es hat ja nie geholfen).

    1. Ich höre von verschiedenen Demo-Veranstalter:innen, die über Schikanen der Polizei berichten und über Versuche, die Versammlungsfreiheit auf der Polizeiebene einzuschränken. Das sind allerdings anekdotische Berichte, da könnte man auch mal recherchieren.

      1. Die Polizeiarbeit recherchieren, die ich als bewundernswert fair erlebe?, oder das recherchieren, was ich meinte: „Demonstranten“ die die roten Linien des fairen Diskurs (weit) überschreiten?

        Die Angst muss weg aus unseren Diskussionen!
        Manchmal, wenn ich Polizisten hier in meinem Bezirk sehe, wie sie mit psychisch stark verstörten Menschen, Suchtleidenden, Wutbürgern, Obdachlosen so umgehen, als hätte tatsächlich gerade jemand Margot Friedländers „sei ein Mensch“ geschult, kann ich nur hier mal protokollieren, dass ich das nicht so menschenwürdig-hilfreich könnte, was eine Polizei hier bei uns schafft – und was ich für sehr sehr kostbar halte für einen Rechtsstaat, dem man gern vertrauen würde (ohne bequem unaufmerksam zu werden, versteht sich! Ich weiß, da gibt es auch schwarze Schafe bei der Polizei – aber FÜRCHTEN tue ich mich derzeit vor meinen Mitbürgern, wenn ich zu Demos gehe!).

        1. Meiner Erfahrung nach ist „die Polizei“ hilfreich, kompetent und sehr gut geschult. Erste Hand, allerlei. Gelesen habe ich auch anderes.

          Es gibt eben kontroversere Einsatzgebiete, auch für Demonstranten, als ich erlebt habe. Aus dem Alltag, kenne ich auch keine solch problematischen Beispiele. Von „demonstrativ“ etwas engagierteren zufälligen Bekannten hat man allerdings schon auch mehr über Clashes und problematische „Einzelfälle“ gehört, im Verlaufe der Jahrzehnte.

          Was man in der Berichterstattung beobachten kann, ist allerdings, dass offensichtlich ein gewisses Maß an Repression geschieht, bisher eher südlich, gerne mal mit Inkompetenz kaschiert (Unterstellung, aber ich gucke absichtlich mal von der pessimistischen Seite her), wie bei den Zwiebelfreunden, oder dem Reporter mit dings/untern.

          Abgesehen von der Frage, ob man hier jetzt mit Statistiken wedeln sollte, da die Problematik, dass diese Dinge durchgehen bereits das Repressionspotential etablieren, muss man dann schon vorsichtig gucken, ab wann eigentlich Repression und Unterdrückung (von Gruppierungen, Meinungen, politischer Richtung) passieren. Die Sollbruchstellen werden in der Transformation zum Regime schnell zu Genickbruchstellen (zunächst für Einzelne), vgl. USA, zzgl. allgemein historisch. Während Gerichte zwar Dinge korrigieren, steht systemisch selbstverständlich die Frage im Raum, ob die Repression wirklich am erneuten Auftreten gehindert wird, was offensichtlich bisher nicht der Fall ist. Zwar würde im Falle häufigeren Auftretens dann von den Gerichten mit härteren Bandagen geurteilt werden, vgl. USA, doch reicht mir als „Investor“ oder „Unentschlossenem“ gegebenenfalls schon das Fehlen der Checks and Balances für den bedauerlichen Einzefall, um von „irgendwas mit IT in Deutschland“ weitestgehend abzusehen, und das ohne solchen aktivistischen Hintergrund, wenn das auch nur einer von mehreren Gründen ist. Along those lines…

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.