EU-RatspräsidentschaftDänemark setzt Chatkontrolle wieder auf die Agenda

Chatkontrolle, mehr Daten für die Polizei, KI-freundliches Urheberrecht, eine Überarbeitung des Datenschutzes: Das wünscht sich die ab 1. Juli amtierende dänische Ratspräsidentschaft für die Digitalpolitik der EU. Nutzer*innen- und Freiheitsrechte finden – wenn überhaupt – nur als Randnotiz statt.

Mette Frederiksen steht während einer Pressekonferenz an einem Rednerpult vor der Fahne der EU, Dänemarks und Deutschlands.
Unter Mette Frederiksen übernimmt Dänemark ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian Spicker

„Der sexuelle Missbrauch und die Ausbeutung von Minderjährigen, die online stattfindet und verbreitet wird, nimmt zu.“ Das schreibt Dänemark im Programm zur EU-Ratspräsidentschaft, die das Land am 1. Juli von Polen übernimmt. Dänemark liefert eine Lösung mit: die Chatkontrolle.

Die EU-Ratspräsidentschaft wechselt alle sechs Monate von einem Mitgliedsland zum nächsten. Zwischen Juli und Dezember werden dänische Politiker*innen den Gremien des EU-Rats vorstehen. Das Amt bringt keine direkten Befugnisse mit sich, aber Dänemark kann die Agenda setzen. Wie möchte das Land diese Macht für Digitalpolitik nutzen?

Der Chatkontrollen-Zombie

Auf das digitalpolitische Banner schreibt sich Dänemark die Regulierung zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch von Kindern (CSAR), hinter der sich die Chatkontrolle versteckt. Es benötige „klare und harmonisierte Gesetze“, um Missbrauch und Missbrauchsdarstellungen zu verhindern und zu bekämpfen, so das Programm. Ende Mai hatte der Vorgänger Polen eine Einigung bei der Chatkontrolle noch aufgegeben.

Zudem möchte die neue Ratspräsidentschaft Polizeibehörden dabei helfen, „die Digitalisierung beim Kampf gegen Schwerverbrecher zu nutzen“. Dafür brauche man die notwendigen Werkzeuge wie beispielsweise Zugang zu Daten. Zudem sei es notwendig, „Kooperationen zum Datenaustausch mit internationalen Organisationen und Drittländern zu stärken“. Was damit konkret gemeint ist, bleibt unklar.

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Sorgen um die Demokratie

Dänemark sorgt sich um die Standhaftigkeit der Demokratie. Gerade für den Kampf gegen Falschinformationen, „genauso wie beim Online-Schutz von Kindern und jungen Menschen“, möchte Dänemark die Tech-Giganten regulieren. Meta und Co sollen laut Programm mehr Verantwortung übernehmen und für die Inhalte auf ihren Plattformen zur Rechenschaft gezogen werden.

Während der Ratspräsidentschaft möchte Dänemark die Demokratie mit einer freien und vertrauenswürdigen Presse sowie der Erhöhung der Digitalkompetenz der Unionsbürger stärken. Daneben plant das Land, alltägliche digitale Herausforderungen wie unter anderem unethische Geschäftsmodelle und die umfangreiche Datenerfassung anzugehen. Hier verweist das Programm erneut auf „schädliche Online-Inhalte für Kinder und junge Menschen“ – diesmal als zu lösendes Alltagsproblem.

Wirtschaftsfreundliche „Vereinfachungen“

Auch die Digitale Souveränität hat es auf die Agenda geschafft. Für eine digitale Wettbewerbsfähigkeit seien bessere Rahmenbedingungen notwendig. Die dänische Ratspräsidentschaft möchte unter anderem an der Datenschutzgrundverordnung schrauben, um „Firmen Rechtssicherheit zu gewährleisten, unnötige Bürokratie abzubauen und die Transparenzpflicht gegenüber Investoren zu erhöhen“. Laut Programm möchte Dänemark den Datenschutz vereinfachen und Regulierungsaufsicht reduzieren.

Neue Möglichkeiten sieht das Dänemark darin, dass Künstliche Intelligenz kreative Inhalte generieren könne. Nun müsse sich die Gesetzgebung zum Urheberrecht weiterentwickeln, um „einen fairen und effizienten Markt zu ermöglichen“.

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5 Ergänzungen

  1. „Der sexuelle Missbrauch und die Ausbeutung von Minderjährigen, die online stattfindet und verbreitet wird, nimmt zu.“

    Nein, es wird einfach dank dem technologischen Fortschritt häufiger aufgedeckt. Hinzu kommen KI generierte Inhalte, wo man schwerlich von „Ausbeutung“ sprechen kann.

    Es wird aufgrund dieser Rechtslage und den zur Verfügung stehenden und zukünftigen Tools so wirken, als steige der „Missbrauch“ immer weiter. Mal sehen was dann als nächstes folgt.

    1. Meine Antwort wenn mir gegenüber so argumentiert würde (und bereits wurde) ist dann immer ähnlich:

      Der Missbrauch und die Ausbeutung von missbrauchten Minderjährigen für den staatlichen Missbrauch der online vorhandenen Möglichkeiten zur missbräuchlichen Überwachung aller Nutzer finde ich persönlich pervers, übergriffig und Obrigkeitsstaatlich.

  2. „Dänemark setzt Chatkontrolle wieder auf die Agenda“
    … genau wie vermutlich alle weiteren Ratspräsidentschaften in der Liste bis 2030 außer evtl Luxemburg und die Niederlande.

    Alle anderen folgenden Länder, die die Ratspräsidentschaften bis 2030 innehaben waren im Grunde alles immer Hardliner dafür.

  3. Sorry, aber „fairer und effizienter Markt“ im Kontext von „kreativen Inhalten“ und „Urheberrecht“, liest sich wie „Sonderbehandlung für den subversiven kreativen Markt und dahinter“.

    Das bedeutet nämlich „kein Urheberrecht“. Und wenn, dann nur in einer der fürstlichen Registraturen, wenn man da nicht „fair und effizient“ rausgeblockt wird. Denn wie heißt’s so schön… Adobe first? Andere Länder, andere Sitten. Sind wir noch im selben Land? Heute, Morgen, …

    Vielleicht sollte ich schon mal aus Solidarität die Dänemarkkarte Deinstallieren. Kein Interesse mehr, denn welches Playbook sehen wir hier? USA first. Damit Grönland weiter grönen darf. Ich versteh’s ja…

  4. „Dänemark sorgt sich um die Standhaftigkeit der Demokratie“
    Ganz zurecht! Verschiebe ich die Macht immer mehr in Richtung der Exekutive, zu der schließlich auch die Regierung gezählt wird, dann gerät die Gewaltenteilung ins Ungleichgewicht. Die Demokratie zerfällt dann förmlich, jedes mal, wenn eine weitere Identifikationsmöglichkeit mit den Staaten verschwinden. Die EU (Kommission, Rat) spielt ein gefährliches Spiel und spielt damit Populisten und radikalen „Kräften“ massiv in die Hände.

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