Die heutige Degitalisierung versucht sich selbst streng an das Thema zu halten und bringt gleich zum Start ein paar Kernthesen in einer Art effizienten Sprache auf ein paar Bulletpoints zusammen:
- Es ist einfacher, effizienter zu werden als effektiv.
- Zu viel Effizienz kannibalisiert unser Zusammenleben und etablierte Strukturen.
- Staatliches Handeln oder Handeln für unsere Daseinsvorsorge muss in Teilen ineffizient sein.
- Effizienz als Forderung ist eine hohle Phrase, wenn das eigentliche Ziel der Effizienz nicht benannt wird.
Nun war das zwar ein sehr effizientes Entrée, nur wahrscheinlich etwas kryptisch. Es folgt eher sehr viel Text und Linkwerk, um das auszubreiten.
Effi… effe… was war noch mal der Unterschied?
Bei der massenhaften Verwendung des Begriffs der Effizienz kommt es nicht selten vor, dass eigentlich noch ein anderer Begriff mitgemeint ist: Effektivität. Um die beiden Begriffe kurz noch mal abzugrenzen, folgendes unsinniges Beispiel, im wahren Sinne des Wortes.
Es ist möglich, Unsinn effizient zu machen, aber Unsinn ist nicht effektiv. Mit Effizienz ist im Allgemeinen gemeint, Dinge richtig zu tun, mit Effektivität ist wiederum gemeint, die richtigen Dinge zu tun.
Bei der Digitalisierung erleben wir oftmals das starke Bemühen, bestimmte bisher mühsame oder langsame Tätigkeiten durch digitale Hilfsmittel schneller, mit höherer Qualität oder weniger Aufwand durchzuführen. Im Wirtschaftskontext geht es dabei oft schlicht um mehr Output aus bestehenden Strukturen oder Prozessen.
Bei der Digitalisierung der Verwaltung, aber auch beim Gesundheitswesen erleben wir dabei aber oftmals ein anderes Phänomen im vermeintlich guten Sinne, durch Digitalisierung etwas effizienter zu machen: Elektrifizierung. Oder frei nach Thorsten Dirks: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“
In der Zeit immer stärkerer Durchdringung von Abläufen mittels sogenannter Künstlicher Intelligenz erleben wir hier immer mehr den Aufbau von Rube-Goldberg-Maschinen – fast schon überzogen komisch komplizierten Konstrukten, die mit maximaler technischer Komplikation eher banale Tätigkeiten „vereinfachen“ sollen. Meist führt mehr Effizienz durch digitale Tools an einer Stelle aber nicht zwangsläufig zu irgendwelchen Verbesserungen in der Gesamtbetrachtung, ganz im Gegenteil.
Für Recruiter*innen wird es durch den massenhaften Einsatz von generativer KI in Bewerbungsschreiben etwa immer schwieriger, passende Bewerber*innen aus jetzt viel mehr oft gleichartigen Bewerbungen herauszufiltern. Also setzen Recruiter*innen selbst wiederum KI-Tools zum Filtern dieser steigenden Anzahl von Bewerbungen ein. Der Gesamtprozess wird zwar auf beiden Seiten durch den Einsatz von KI scheinbar effizienter, in der Gesamtbetrachtung kommt es aber zu keinerlei Fortschritt. Anthropic, selbst Hersteller von Tooling zum Generieren von Texten, bittet Bewerber*innen inzwischen, bei Bewerbungen vom Einsatz von KI-Tools abzusehen.
Die technologische Eskalationsspirale von mehr Technologieeinsatz ist aber letztlich bequem, weil so eingesetzte KI-Unterstützung den eigentlichen Prozess nicht infrage stellt. So schafft Digitalisierung zwar mehr Bequemlichkeit, aber insgesamt keinerlei Fortschritt. Letztlich ist es einfacher, viel komplizierte Technik für „mehr Effizienz“ in Prozesse einzubauen, als darüber nachzudenken, ob das eigentlich die richtigen Dinge sind, die getan werden müssten, um besser und schneller ans Ziel zu kommen oder mehr Menschen zu erreichen. Es ist einfacher, effizienter zu werden als effektiv.
Die Kannibalisierung der Welt
Im Zeitalter von Kettensägen-Libertären liegt nun vielleicht der Gedanke nahe, dass es radikale Veränderungen braucht, um effizienter zu werden.
Diese Gedanken radikaler Effizienz sind aber nicht gänzlich neu, wenngleich diese inzwischen mehr libertäres Zusammenstutzen des Staates auf einen Minimalstaat beinhalten. Versuche radikaler Vereinfachung gab es aber schon länger.
Da ist nicht nur der Merzsche Bierdeckel für eine vereinfachte Steuererklärung, inzwischen selbst polithistorisches Artefakt, sondern auch der schon ältere Gedanke nach radikaler Vereinfachung der Einkommenssteuer durch den „Professor aus Heidelberg“, Paul Kirchhof. Dieser war 2005 mit der Idee einer Flat Tax, 25 Prozent Einheitssteuersatz, öffentlichkeitswirksam krachend gescheitert.
Radikale Einfachheit im Steuersystem klingt aus Effizienzgründen verlockend, schließlich kommt das deutsche Steuerrecht auf mehr als 200.000 Worte, eine Steuererklärung dauert im Schnitt 4 Stunden für die durchschnittliche Arbeitnehmer*in und es scheint alles immer komplizierter [€] zu werden.
Nur trägt eine radikale Vereinfachung eines Systems wie dem deutschen Steuersystem dennoch geradezu kannibalische Züge. Von einfachen Lösungen einer Flat Tax würden Menschen mit wenig Einkommen nicht wirklich profitieren, weil eine einfache Steuer auf wenig immer noch oftmals in der jeweiligen Situation zu viel ist. Reiche wiederum freuen sich über einen weniger hohen Steuersatz als bisher; zugegeben profitieren Reiche aber auch von einem komplizierten Steuersystem, weil Reiche sich hier entsprechende Expertise zur Bewältigung von Steuerfragen kaufen können. Einfach gemacht ist also nicht automatisch für alle gedacht. Effizienz wird hier zu einem Dogma, das aber nicht für Äpfel und Birnen gleichzeitig passt.
Ganz zu schweigen von geradezu absurden Seiteneffekten wie der Tatsache, dass ein einfaches Steuersystem einen Berufsstand von knapp 100.000 Steuerberater*innen ernsthaft in ihrer Existenz gefährden würde. Manchmal ist es gar nicht so erstrebenswert, ein besonders effizientes und scheinbar einfaches System zu haben, wenn es mit etablierten Strukturen kollidiert. Effizienz ist einerseits gut, weil sie auf den ersten Blick Dinge besser machen kann, aber sie kann auch wieder schlecht sein, wenn bestehende Strukturen und unser Zusammenleben kannibalisiert werden. Das gilt aber nicht nur für das Steuersystem.
In den Aspekt der Kannibalisierung wegen vermeintlich mehr „Effizienz“ sind im Bereich Künstlicher Intelligenz natürlich auch die anderen Seiteneffekte wie Energiekrisen wegen Rechenzentren, digitaler Kolonialismus, Plagiarismus und anderes einzuschließen. Diese negativen Folgen für uns alle werden aber meist als notwendiges Übel beschrieben auf der Suche irgendeiner künstlichen allgemeinen Intelligenz.
Diese soll – oh Wunder – jetzt dann aber doch nicht mehr in einem Big Bang kommen, sondern eher nur in Form vieler iterativer, kleinerer Verbesserungen, wie OpenAI inzwischen selbst schreibt:
Früher betrachteten wir die Entwicklung der künstlichen Intelligenz als einen diskontinuierlichen Moment, in dem sich unsere KI-Systeme von der Lösung von Spielzeugproblemen zu weltverändernden Problemen wandeln würden.
Das war wohl nicht so ganz effektiv, das Vorgehen bei der Entwicklung von KI bisher. Dennoch erwecken Tech-Bros nach wie vor den Eindruck, dass sie quasi alles mit nur genügend Daten effizienter machen könnten als bisher.
Die Notwendigkeit von Ineffizienz
Diese Scheinlösungen, mit Daten und KI allein etwas besser machen zu wollen, können wir jetzt in Echtzeit in den USA verfolgen. Weil sich dort das Department of Government Efficiency (DOGE) unter der Leitung von Elon Musk unbarmherzig durch den Staatsapparat frisst, stellt sich vielleicht auch die Frage nach dem Nutzen von Regierungseffizienz. Gut, eigentlich geht es in den USA um einen Staatsstreich, dennoch hält sich das vermeintliche Narrativ von Regierungseffizienz immer noch auch in Europa.
Der Gedanke, einen Staat oder die Verwaltung wie ein Unternehmen als CEO führen zu können, ist Donald Trump wegen seiner Unternehmer-Vergangenheit natürlich sympathisch, die Idee war aber schon länger daneben. Schon die erste Präsidentschaft Trumps trat mit dem Versprechen an, die amerikanische Regierung wie ein Unternehmen zu führen. Das war schon damals eine ziemlich fatale Idee. Auch Ende 2024 wurde davor gewarnt, vergeblich.
Verwaltung und Staat und die dazugehörigen Themenbereiche wie etwa Sozial- oder Gesundheitswesen, Inneres, Bildung, Forschung, Entwicklungshilfe, auswärtige Angelegenheiten und noch viele weitere mehr funktionieren nicht nach klassischen Effizienzmetriken. Klar, wie teuer eine Verwaltung ist, das kann gemessen werden. Es lässt sich trefflich und heftig darüber streiten, wie groß oder klein der Staatshaushalt sein muss. Dann hört es aber schon mit klassischen Effizienzmetriken auf.
Es lässt sich schlecht sagen, dass etwa öffentliche Gesundheitsvorsorge besonders effizient ist, wenn sie besonders günstig ist. Schlimmer noch, gerade im Bereich öffentlicher Gesundheit ist eher das Ausbleiben von großen gesundheitlichen Krisen ein Zeichen von Effizienz im Public-Health-Sinne. Messen lassen sich oftmals nur die negativen Symptome, etwa wenn sich in einer Pandemie Lücken in diesem Bereich zeigen oder eben mit dem Auftreten von eigentlich längst beherrschten Infektionskrankheiten wie Masern in den USA. Flankiert wird das auch noch von Budgetkürzungen und Entlassungen in der nationalen Public-Health-Behörde CDC – aus Effizienzgründen.
Ebenso wird innere Sicherheit ja auch idealerweise daran gemessen, dass es eben bestenfalls keine Attentate oder Terroranschläge gibt. Auch hier gibt es ein datenbasiertes Effizienzparadox. Gerade weil etwas nicht auftritt, ist etwas im staatlichen Kontext oftmals effizient.
Dazu hat staatliches Handeln die Aufgabe der Daseinsvorsorge für uns alle. Staatliche Leistungen im Sinne von Daseinsvorsorge müssen uns allen zugutekommen, einfach weil das zu unserem Verständnis eines demokratischen Staats dazu gehört, so ist zumindest zu hoffen. Man stelle sich vor, Kindergärten oder Schulen würde es nur noch in gentrifizierten Großstadtvierteln geben, weil dort vielleicht höhere Steuereinnahmen durch die jeweiligen Eltern erzielt werden.
Vieles am staatlichen Handeln ist also oftmals nicht effizient im wirtschaftlichen Sinne, aber das ist auch nicht der Fokus staatlichen Handelns. Staatliches Handeln oder Handeln für unsere Daseinsvorsorge muss in Teilen ineffizient in der rein profitorientierten Betrachtung sein, weil es für uns alle da ist.
Dennoch muss staatliches Handeln zumindest einiges effizienter machen, speziell im Digitalen. Von einem Staat kann heute ein angemessenes Niveau an Digitalisierung erwartet werden, denn ohne dieses droht auch wiederum Vertrauensverlust.
Eff… wofür denn jetzt?
In dieser Woche forderte Telekom-Chef Timotheus Höttges Bürokratieabbau in Europa nach dem Vorbild von DOGE. Unternehmen in Europa seien zu viel Regulierung unterworfen, das würde im Vergleich zu den USA Unternehmen lähmen, so die Aussage.
Bürokratie ist immer nicht sonderlich beliebt, speziell bei Unternehmen. Bürokratie und Regulierung wird eigentlich immer unterstellt, nicht notwendig zu sein. Das stehe der Effizienz und Profitmaximierung von Unternehmen im Weg und sei schlecht für die Wirtschaft. Bürokratie ist aber wichtig, um innerhalb unseres Rechtsrahmens für uns alle gleiche Bedingungen schaffen zu können.
Bemerkenswerterweise ist der Aufwand für die ungeliebte Bürokratie seit 2012 nicht wirklich gestiegen. Nach dem Bürokratiekostenindex des Statistischen Bundesamts wurden bürokratische Aufwände für Unternehmen sogar leicht weniger. Bürokratie ist an sich effizienter geworden.
Allerdings haben bestimmte Regularien zu proaktiver Arbeit in Unternehmen geführt und damit die Bürokratie erst wieder wahrnehmbar gemacht. Regelungen wie die Datenschutzgrundverordnung oder der AI Act legen Unternehmen Anforderungen an Dokumentation und Risikobewertungen auf. Letztlich eine Beweislastumkehr, weil Unternehmen jetzt zeigen müssen, dass sie von sich aus Dinge richtig machen.
Bemerkenswert aber auch: In Skandinavien wird die gleiche Regelungsdichte eher weniger stark störend wahrgenommen, weil die Qualität der durch die öffentliche Verwaltung erbrachten Dienstleistungen höher ist. Eigentlich geht es also weniger um weniger Bürokratie, sondern um bessere, effizientere Bürokratie.
Bei öffentlichen Forderungen nach Effizienz ist also heute die Frage zu stellen, um was es beim Rufen nach Effizienz eigentlich geht: Geht es um bessere Bürokratie, die unter Wahrung des bisherigen Rechtsrahmens die Arbeit mit Regulationen einfacher macht? Oder geht es um den plumpen Versuch, Regulationen abzuschaffen?
Unternehmen müssen aufpassen, dass sie nicht immer wieder einer Methode Lobo habhaft werden wollen: Politische Grenzüberschreitungen zu normalisieren, diese zwar in Teilen als schlecht zu framen, am Ende aber doch wieder ähnliche Konstrukte wie eine Staats-KI zu fordern, nur halt eine demokratische europäische. Weil ist ja besser für die Wirtschaft.
Am Ende können wir die Diskussionen um vermeintliche Effizienz auch kurz und effizent halten: Worum gehts auch eigentlich bei der Forderung nach Effizienz? Maximaler Profit? Abschaffung von Verbraucher*innen-Rechten? Schaffung einer Tech-Oligarchie? Oder doch um redliche Motive in unser aller Interesse?
Wenn es uns hoffentlich allen darum geht, Effizienz im Rahmen unserer Demokratie und freiheitlich demokratischen Grundordnung zu erreichen, dann sollten wir die argumentativen Kettensägen schleunigst weglegen. Vielleicht wird die digitalpolitische Diskussion dann auch wieder effizient.
0 Ergänzungen