Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist tot. Als ich die Meldung am 31. Dezember vergangenen Jahres las, spürte ich förmlich eine Erschütterung der Macht. Vielleicht waren das aber auch die beginnenden Jahresend-Feierlichkeiten in Neukölln – ich bin mir nicht ganz sicher. Sicher aber ist: Es gibt viele Menschen – mich eingeschlossen –, deren Trauer darüber, dass Benedikt verstorben ist, sich in Grenzen hält. Denn mit ihm ging einer von uns, der das Leben von queeren Menschen sehr viel schwerer gemacht hat.
In fast jedem Nachruf auf Benedikt finden sich Absätze über den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Der ehemalige Erzbischof von München und Freising sowie spätere Chef der Glaubenskongregation in Rom soll laut Kirchendokumenten einen pädophilen Priester vor Sanktionen geschützt haben. Er wies jedoch zunächst von sich, etwas von dessen Taten gewusst zu haben.
Benedikt XVI. sah die Ehe für Alle nicht nur als Sünde an, für ihn war das eine „Manipulation der Natur“, sie führe zum Verlust der „Würde des Menschen“. Ich finde es sehr würdevoll, wenn Menschen heiraten können. Für ihn war die Ehe für Alle jedoch eine „Deformierung des Gewissens“, die „im Widerspruch zu allen bisher aufeinander folgenden Kulturen der Menschheit“ steht.
„Einer der größten queerfeindlichen Hetzer“
Auch queer.de hat diese Haltung in einem Nachruf kommentiert und nannte Joseph Alois Ratzinger – so der bürgerliche Name des verstorbenen Papstes – einen „der größten queerfeindlichen Hetzer“. Daraufhin zeigte jemand queer.de wegen der „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ nach §189 StGB an und die Berliner Polizei nahm Ermittlungen auf.
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) ließ über Landesgeschäftsführer Jörg Reichel auf Twitter mitteilen: „Langatmige Ermittlungen oder eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft wären ein Angriff auf die Pressefreiheit.“ Inzwischen musste die Polizei die Ermittlungen aber offenbar einstellen, da es keine antragsberechtigten Verwandten mehr gebe, die das „Vergehen“ hätten anzeigen können.
Dessen ungeachtet finde ich diesen Fall lehrreich – in dem es um weit mehr geht als um Pressefreiheit, nämlich um die Freiheit, Tatsachen wiederzugeben, auch und gerade dann, wenn eine prominente Person verstorben ist.
Mutter Teresa, die 1997 starb, lebt im kollektiven Gedächtnis als das Sinnbild der Aufopferung für Arme und Kranke weiter. Viele ihrer Anhänger*innen konnten ihre Heiligsprechung kaum erwarten. Dabei hat sie sich nicht immer nur heilig verhalten. So etwas muss gesagt werden dürfen, ohne Angst vor Strafverfolgung zu haben. Sicherlich werden diejenigen, die Teresas Wirken als etwas Wunderbares und Nachahmenswertes ansehen, es als Verunglimpfung des Andenkens empfinden, wenn etwa Vice einen Artikel mit dem Titel „Mutter Teresa war eigentlich eine herzlose Heuchlerin“ schreibt. Doch auch diese dunkle Seite gehört zu Mutter Teresa offenbar dazu.
Über die Toten nur Gutes?
Von meiner Oma hörte ich oft: „Über die Toten nur Gutes.“ Ich verstehe diesen Wunsch. Damit wir uns nicht mehr mit ihren Taten auseinandersetzen müssen. Damit wir uns nicht länger mit dem Schlechten in den Menschen, die vielleicht sogar Teil der Familie waren, auseinandersetzen müssen. Damit wir uns nicht damit auseinandersetzen müssen, dass wir geschwiegen haben, dass wir es ausgeblendet haben, was in unserem Umfeld oder in der Familie geschah.
Für viele Menschen gilt der Papst immer noch als moralische Instanz, nach dessen Aussagen sie ihre eigenen Werte überprüfen und ausrichten. Doch Benedikt hat erst im vergangenen Jahr die Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirchen um Verzeihung gebeten. Persönliche Verantwortung übernahm er jedoch nicht.
Benedikts Meinung über die Gleichstellung von queeren Menschen mit dem Rest der Gesellschaft ist aus meiner persönlichen Sicht queerfeindliche Hetze. Denn ich und meine queeren Geschwister sowie die Ehe für Alle sind keine „Manipulation der Natur“. Wir sind Menschen, die in ihrem Leben durch solche Aussagen eingeengt werden. Wir erfahren diese als Hetze, die regelmäßig auch in physische Gewalt mündet.
Unentwegt machen Menschen Fehler. Einige Fehler sind zu vernachlässigen und entschuldbar, andere aber sind schwerwiegend und nur mit Mühe zu verzeihen, vielleicht sogar unverzeihlich. Gerade Letztere muss man benennen dürfen. „Über die Toten nur Gutes“ gilt nicht, wenn es nicht nur Gutes zu sagen gibt. Ganz gleich, ob das allen passt oder nicht.
Wenn die Ehe für alle eine Manipulation der Natur ist, wäre in derselben Logik jede Keuschheit – ausgeübt als katholischer Funktionär – eine Manipulation der Natur. Denn, wenn Kern der Natur ist, sich fortzupflanzen (ansonsten wäre die Ehe für alle ja kein Problem), ist die gesamte katholische Kirche eine Manipulation der Natur. Schon sehr inkonsistent.
Ich finde, eine korrekte Schlussfolgerung. Also das mit der katholischen Kirche.
Über die Toten nur Gutes? Hitler? Stalin? Vlad Tepes der Pfähler? Ted Bundy? Et cetera.
Nur weil Ratzinger einmal der Obermufti einer großen Religion war, die zwar Nächstenliebe predigt, aber nicht lebt, muss ich noch lange nicht gut über ihn sprechen. Tot oder lebend, das ist völlig egal. Was er zu verantworten hatte, beeinflusste viele Leben bis hin zur Zerstörung. Den Teufel werde ich tun und gut über ihn reden, nur weil sich manche seiner Fans dann unangenehm an seine Missetaten erinnert fühlen könnten. Da fühle ich mich dann auch in meiner Meinungsfreiheit beeinträchtigt, denn was ich zu sagen hätte ist schließlich nachweislich wahr. Von daher: s. Überschrift des Artikels.
Ich bin der Meinung, dass ich als jemand dessen eigenes Leben durch ihn indirekt mehrfach negativ beeinflusst wurde, jedes juristische und moralische Recht habe, sogar sehr schlecht über ihn zu sprechen! Und das nicht bloß im Selbstgespräch.
„Ueber die Toten nur Gutes“ ist ein klassisches buergerliches Mittel zur Vertuschung der eigenen Missetaten. So wie „der Kluegere gibt nach“ das Durchsetzen eigener Interessen mit Gewalt rechtfertigt.