Die Abhör-Affäre in Griechenland um das Spionageprogramm Predator weitet sich aus. Medienberichten zufolge ist heute zunächst Grigoris Dimitriadis zurückgetreten, Generalsekretär des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Dessen Büro schreibt, dass auch der Geheimdienstchef Panagiotis Kontoleon seinen Rücktritt eingereicht hat.
Der Netzwerk von Investigativjournalist:innen Reporters United hatte zuvor berichtet, wie ein Firmengeflecht unter Beteiligung von Dimitriadis an staatlichen Einsätzen des Trojaners mitverdient. Daran beteiligt ist die Firma Intellexa, die Predator in Griechenland vertreibt.
Weitere Brisanz erhält die Enthüllung auch dadurch, dass Dimitriadis und Mitsotakis verwandt sind: Der Generalsekretär ist der Neffe des Ministerpräsidenten, dem wiederum der Geheimdienst als Nutzer von Predator direkt untersteht.
Auch heutiger EU-Parlamentarier abgehört
Hersteller von Predator ist die von israelischen und ungarischen Staatsangehörigen als Aktiengesellschaft in Nordmazedonien gegründete Firma Cytrox. Sie soll in beiden Ländern Büros zur Herstellung der Cyberwaffen unterhalten. Cytrox gehört inzwischen zu einer Gesellschaft in Ungarn, als Eigentümer gilt der 70-jährige Luftwaffenveteran Meir Shamir aus Israel.
Bereits im April machte das griechische Internetmagazin Inside Story bekannt, dass die Spähsoftware auf dem Telefon des Journalisten Thanasis Koukakis gefunden wurde. Der auf Finanzen und Korruption spezialisierte Experte, der unter anderem für CNN in Griechenland arbeitet, hat deshalb bei der obersten Staatsanwaltschaft eine Beschwerde eingereicht. Daraufhin leitete ein griechischer Staatsanwalt eine Untersuchung ein.
Vergangene Woche kam schließlich heraus, dass auch der Vorsitzende der sozialistischen Oppositionspartei PASOK Nikos Androulakis mit Predator ins Visier genommen wurde. Er soll Ende 2021 eine SMS mit einem entsprechenden Link erhalten haben, auf den er allerdings nicht klickte. Mittlerweile sitzt der Politiker für die Fraktion der Sozialdemokratie als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Auch Androulakis hat nun eine Anzeige wegen versuchter Spionage bei der Staatsanwaltschaft gestellt.
Untersuchungsausschuss in Athen
Die linke Fraktion SYRIZA hatte als größte Oppositionspartei in Griechenland zunächst erfolglos die Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu dem Spionageprogramm angeregt. Einen entsprechenden Antrag lehnte das Parlament in Athen jedoch mehrheitlich ab. Erst nachdem auch die PASOK-Partei mit Bekanntwerden der Spionage gegen Androulakis eine Untersuchung forderte, wurde einem gemeinsamen Antrag von SYRIZA und PASOK auf Einberufung des Ausschusses stattgegeben. SYRIZA forderte den Premierminister auf, in den beiden Fälle zu ermitteln.
Als Urheber der Überwachung gilt der zentrale Geheimdienst EYP, der in Griechenland für inländische, auswärtige und militärische Belange zuständig ist und dem Ministerpräsidenten direkt unterstellt ist. Vor dem Parlamentsausschuss für Institutionen und Transparenz soll der nun zurückgetretene Leiter des Dienstes vergangene Woche zugegeben haben, dass seine Behörde den Journalisten Koukakis ausspionierte, berichtet Reuters.
Mit welcher Rechtfertigung Koukakis bespitzelt wurde, ist nicht bekannt. Im Rahmen der Anhörung soll der EYP-Chef darauf hingewiesen haben, dass seine Behörde auch nach Hinweisen oder Anfragen ausländischer Geheimdienste tätig werde.
EU-Ausschuss könnte Vorfälle in Griechenland untersuchen
Auch die Europäische Union befasst sich derzeit auf mehreren Ebenen mit dem Einsatz von staatlichen Spionageprogrammen gegen Oppositionelle und Medienschaffende. Seit März tagt ein parlamentarischer Ausschuss zum Einsatz des Trojaners Pegasus in Ungarn, Polen und Spanien. Einige Mitglieder des Ausschusses fordern nun, auch die Fälle mit Predator in Griechenland zu untersuchen. Vom Mandat wäre dies gedeckt, der Ausschuss soll neben Pegasus auch andere Spähsoftware untersuchen.
Auch die EU-Kommission schaltete sich ein. Nach Bekanntwerden der Spionage mit Pegasus hatte sie mehrere Schreiben an die Regierungen in Warschau, Budapest und Madrid gerichtet. Mit einem weiteren Brief wurde auch die israelische Regierung, die Exporte des Trojaners genehmigt hat, um Stellungnahme gebeten.
Auf eine Anfrage des ebenfalls aus Griechenland stammenden Linken-Politikers Dimitrios Papadimoulis hat die Kommission gestern zu der Spionage mit Predator Stellung genommen. Papadimoulis ist Vizepräsident des EU-Parlamentes, das dürfte die Kommission zu einer etwas ausführlicheren Antwort verleitet haben. Diese kommt ausgerechnet vom Justizkommissar Didier Reynders, der vermutlich selbst mit einer Spähsoftware wie Pegasus angegriffen wurde.
Wenig Initiative der EU-Kommission
Das unrechtmäßige Abhören könnte laut Reynders gegen mehrere EU-Gesetze verstoßen, darunter die Datenschutzgrundverordnung, die Richtlinie zu Angriffen auf Informationssysteme und die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. Es obliege der griechischen Regierung, für die Überwachung und Durchsetzung der EU-Vorschriften zu sorgen, erinnert die Brüsseler Behörde.
Jedoch ist auch die Kommission als „Hüterin der EU-Verträge“ in der Pflicht, Verstöße gegen EU-Gesetze festzustellen und zu verfolgen. Letztes Jahr hatte die Kommission eine Empfehlung zur Sicherheit von Journalist:innen veröffentlicht, wonach die Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, dass diese nicht illegal online verfolgt oder überwacht werden. Möglicherweise findet sich auch ein Verweis auf die Härtung digitaler Produkte gegen staatliche Spionageangriffe in dem Vorschlag für einen europäischen Rechtsakt zur „Cyber-Resilienz“, den die Kommission im Herbst vorlegen will.
Viel mehr ist von der Kommission nicht zu erwarten. Man* sehe den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments zu Pegasus mit Interesse entgegen. Dessen Abschlussbericht mit entsprechenden Empfehlungen soll erst im Frühjahr 2023 vorliegen. Die Kommission will schließlich für die Umsetzung dieser Empfehlungen sorgen, verspricht Reynders.
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