NPP 211Zu fünft mit İdil Baydar

Wir sprechen mit İdil Baydar über Bedrohungen, Hass und Rassismus in Polizei und Gesellschaft, aber auch über Humor, Influencer und die Weisheit der Mütter sowie unvermeidlich auch über Innenminister Horst Seehofer.

İdil Baydar auf der Bühne als Jilet Ayse. CC-BY 2.0 Die Linke

Das dürfte die erste Crossover-Folge von Logbuch:Netzpolitik und dem netzpolitik.org-Podcast sein: Wir sind in diesem Podcast zu fünft, haben uns aber vor allem mit der Künstlerin İdil Baydar unterhalten.

Baydar erhält seit vielen Monaten in E-Mails und SMS Gewalt- und Todesdrohungen. Acht Anzeigen hat sie gestellt, aber die Täter findet die Polizei nicht. Ihre persönlichen Daten wurden allerdings 2019 nachweislich von einem Computer eines Polizeireviers im hessischen Wiesbaden aus abgefragt. Zwar musste im Sommer deswegen Hessens Polizeichef gehen, aber sonst blieb alles wie gehabt: Wer die Künstlerin so massiv bedroht, kann oder will die Polizei nicht herausfinden.

Das mediale Stichwort dazu lautet „NSU 2.0“: Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, die taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah, der TV-Moderator Jan Böhmermann oder die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız sind weitere Persönlichkeiten, denen mit tödlicher Gewalt gedroht und deren Daten zuvor illegal von Polizisten über Dienstcomputer abgegriffen wurden.

Constanze und Linus reden mit İdil (und zuweilen mit Jilet und Gerda) über Rassismus bei der Polizei und weit darüber hinaus, über Strukturen, die solchen Rassismus begünstigen, aber auch über Frauenhass.

Hier ist die MP3 zum Download. Es gibt auch eine oga-Datei des Podcasts.



Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass wir nun endlich eine Crossover-Folge gemacht haben. Mitglieder der Redaktion von netzpolitik.org sind regelmäßig im Logbuch:Netzpolitik zu Gast und Linus war früher festes Mitglied der Redaktion von netzpolitik.org.

Auch wegen des Namensbestandteils „Netzpolitik“ kommt es immer wieder zu Verwechselungen zwischen unseren Podcast-Angeboten. Noch dazu treten in dieser Folge mit Linus und Constanze zwei bekannte Vertreterinnen des CCC auf, um die Verwirrung komplett zu machen.

Verwirrte E-Mails hatten wir in den letzten Jahren jedenfalls mehrfach. Das kostenlose und werbefreie Logbuch:Netzpolitik kann und solle man unbedingt abonnieren, um in der Regel wöchentlich von Tim und Linus netzpolitisch beschallt zu werden.

NPP ist der Podcast der Redaktion von netzpolitik.org und genau wie das Logbuch kostenlos und werbefrei abonnierbar.

6 Ergänzungen

  1. Oha, erst habe ich dem Innenausschuss (dort wird am Montag beraten zum Bürgerbeauftragten für Polizeifragen und zu den rechtsextremen Vorgängen in Neukölln) geschrieben, ich messe die Korrekturen daran, ob Idil Baydar sagt, wir sind auf einem richtigen Weg, – und dann habe ich diesen Podcast gehört – das wird ja ein harter Brocken für unseren Berliner Innenausschuss …
    : )

  2. Das war ja mal ein Dauerbeschuss/Gewitter von Ansichten, Erkenntnissen, Schlussfolgerungen seitens Idil Baydar. Etwas impulsiv und ungeordnet, aber mit vielen Erkennnissen, die uns helfen könnten auf dem Weg die Gesellschaft wieder dichter zusammenrücken zu lassen. Ich fand außerordentlich gut, dass Idil Baydar nir vergessen hat beide Seiten zu sehen und auch ein Einfühlungsvermögen für die „Nazis“ / Querdenker usw. mitgebracht hat. Sie betonte das Menschliche, was uns alle verbindet und hat es in den oben Nazis“ / Querdenker ebenso gesehn wie in sich selbst. Einen sehr guten Satz fand ich von Ihr, als sie sagte: Wir „Weißen“ müssen in uns gehen und uns klar machen was es heißt weiß zu sein und selber erkennen zu welcher priviligierten Gruppe man gehört. Und so wie die „Nazis“ das „weiß“ als Identitätsmerkmal verwenden sollten wir (Otto-Normal-Verbraucher) uns erstmal klar werden was das bedeutet, um auch in den Diskurs mit den Nazis gehen zu können, wenn dass möglich ist. Denn die wissen genau was dass bedeutet. Eine bemerkenswerte Frau, die Idil Baydar, die sich in beide Seiten einfühlen kann und genau beobachtet. Beide Seiten lässt sie aufeinanderprallen auf der Bühne und auch in diesem Podcast. Dranbleiben lohnt sich auch wenn es ertmal etwas chaotisch erscheint. Aber die ihre besten Erkenntnisse fallen in ihren Nebensätzen. Genau hinhören. Vielen Dank an euch drei.

  3. Die Folge ist richtig gut! Sehr gerne öfter Rassismus zum Thema machen. Wie Idil schon sagte, nur weil wir progressiv denken, dürfen wir das nicht als selbstverständlich sehen.

    Ich kann den Tenor nur bestätigen. Meine Eltern sind beide gebürtige Deutsche und der Familienstammbaum soweit nachvollziehbar ebenfalls. Meine Frau ist Enkelin von Gastarbeitern und sie lebt schon als dritte Generation ihrer Familie in Deutschland. Die Realität, welche wir beide in Deutschland wahrnehmen ist grundverschieden. Bei ihr kommt es schon mal vor, dass sie jemand wegen ihrer Haarfarbe negativ anspricht, sie rassistisch beschimpft oder ihr vor die Füße spuckt. Rassismus ist Teil ihres Alltags. Mir als blonden Deutschen ist derartiges noch nie passiert, weshalb meine Wahrnehmung dahingegen extrem gering war. Bevor ich meine Frau kennengelernt und mit Betroffenen über Rassismus gesprochen habe, war das kein Thema für mich und ich habe es eher schulterzuckend abgenickt.

    Mit der Heirat habe ich ihren Familiennamen angenommen, der nicht türkisch klingt, aber klar auch klar kein deutscher Name ist. Seitdem werde ich von fremden Personen teilweise als Gesprächseinleitung gefragt, wo ich denn herkomme oder wo ich geboren bin. An sich keine schlimme Frage. Aber versetze ich mich in die Lage meiner Frau und höre das ein Leben lang, fühle ich mich natürlich nicht angenommen in Deutschland. Wenn jeder erstmal deine Herkunft wissen will, weil du anders aussiehst als der Durchschnittsotto, dann fühlst du dich zwangsläufig exkludiert. Ich trage den Namen nun etwa ein Jahr und mir geht die Fragerei jetzt schon auf den Sack.

    Wie ich einleitend darum gebeten habe, bitte benennt Rassismus so oft es geht beim Namen. Wir als deutsche Gesellschaft sind weit davon entfernt vom Rassismus freigesprochen zu sein. Unsere Strukturen und Denkmuster von vorigen Generationen sind klar rassistisch geprägt und von gelungener Integration darf in Deutschland bitte nicht die Rede sein. Ein weiter Weg, den wir gemeinsam gehen sollten.

  4. Ich habe bis zu Ende zugehoert und bin nur so mittel beeindruckt … die durchaus guten Ansaetze und Argumente, die Falk oben zu recht erwaehnt, gehen etwas unter in Idil’s ‚Gishgalloping‘ (gibt’s dafuer einen deutschen Ausdruck?) und ihrem dominanten Gespraechsgebaren:
    Constanze ueber den Mund zu fahren, sie solle sich erst mal intensiv mit dem Thema befassen, bevor sie nach pragmatischen Loesungsansaetzen fragt, ist ziemlich frech. Und Linus mal ausreden zu lassen, nachdem man vorher wortreich gefordert hat ‚wir muessen alle miteinander reden‘, haette helfen koennen.
    Ich verstehe den Level von Emotionalitaet, in Idil’s Fall besonders, und ich stimme in vielen konkreten Punkten der Analyse der aktuellen Situation zu … aber ich bin misstrauisch Menschen gegenueber, die das Gefuehl dafuer verloren haben, dass etwas nicht stimmt, wenn ich 70+ Prozent Redeanteil habe in einem Gespraech.
    Ach so, und da schwingt schon etwas Apokalyptisches mit: ‚DIE POLIZEI‘ steckt mit denen unter einer Decke, alle Politiker haben versagt, wenn sie Seehofer nicht absaegen und cancel culture ist unsere letzte und einzige Moeglichkeit etwas gegen die Rechten zu tun, weil sonst macht’s ja keiner. Gefaehrlich nah am Vigilantismus, wenn’s so ein Wort gibt …
    Ansonsten gute Idee mit dem Crossover – ich bin durch Tim’s und Linus‘ Logbuch zu euch gekommen und hoere in Zukunft sicher oefter mal rein! :-)

  5. Ich werde jetzt einen Satz schreiben, der vermutlich falsch aufgenommen wird. Bitte bis zum Ende lesen:
    Diskriminierung findet nicht nur von rechts, sondern auch von links statt. Und das ist ein großes Problem. Ein sehr großes, welches wir aktuell haben und wozu Idil Baydar auf andere Weise etwas dazu erzählt hat.

    In den letzten 2 Jahren habe ich für viele Firmen gearbeitet und sehr viele Menschen im direkten Arbeitsumfeld (mit hohem AfD-Wähleranteil) zu ihren politischen Meinungen befragt und Diskussionen geführt. Nur ein kleiner Bruchteil jener waren wirklich grundsätzlich ablehnend Ausländern gegenüber. Die meisten waren eher auf dem Level „wenn sie sich integrieren, sind sie willkommen“. Und das hat sich auch bei jenen Arbeitern bestätigt, die Migrationshintergrund haben und genauso mitgearbeitet haben, wie alle anderen auch. Sie wurden von fast allen typisch deutschen Mitarbeitern anerkannt. Aber viele AfD-Wähler haben sich als „Nazis“ bezeichnet gefühlt. Und das werden sie teilweise von einigen Linken (nicht einmal zwangsweise extremere Linke). Das ist ebenfalls Diskriminierung. Man gleicht Unrecht nicht durch anderes Unrecht aus.

    Und hier fängt das Problem an. Der Diskurs wird mit solchen Dingen bereits vor der Entstehung abgebrochen, weil es immer um „Kontra bieten“ geht. Das trifft auf beide Seiten zu. Was Constanze Kurz erzählt, sich aktivistisch zum Thema zu positionieren, endet nicht selten in einem „Kantezeigen“, bei dem man gar nicht mehr versucht den Menschen gegenüber zu verstehen (nicht bezogen auf Constanze). Es ist aber genau das, für das auch Idil Baydar einsetzt, wie ich sie verstehe. Weniger „Kantezeigen“ bedeutet ja nicht, dass man von seiner Meinung abrücken muss oder gar die des Gegenübers annehmen soll. Aber es bedeutet den Diskurs überhaupt erst eröffnen zu können, da keine Abwehrhaltung aufgebaut wird, bzw diese langsam abgebaut werden kann. Keinen Diskurs zu haben bedeutet auch einen Nährboden für Verschwörungsmythen zu ermöglichen etc. Ein sehr komplexer Teufelskreislauf, den man aber selbst aufbrechen kann – jeder für sich für die ganze Gesellschaft.

    Natürlich löst es nicht alle Probleme und Viele sind auch politisch gemacht (von CDU/CSU), aber es kann die ganze Situation deutlich entspannen. In dem Sinne, danke für die Podcast an alle Beteiligten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.